Entscheidungsstichwort (Thema)

Rente wegen voller Erwerbsminderung. Wegefähigkeit. schwere Leistungseinschränkung. verschlossener Arbeitsmarkt. Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeuges

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Versicherter, der keinen Arbeitsplatz inne hat und nicht in der Lage ist, täglich viermal eine Wegstrecke von mehr als 500 Metern in weniger als 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen, ist wegeunfähig und damit voll erwerbsgemindert, auch wenn ihm ein Kraftfahrzeug zur Nutzung zur Verfügung steht.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 4. April 2008 aufgehoben.

Der Bescheid der Beklagten vom 28. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2004 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger von Februar 2004 bis April 2009 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Rente wegen Erwerbsminderung gemäß §§ 43, 240 SGB VI.

Der 1949 geborene Kläger absolvierte in der damaligen DDR von 1965 bis 1968 eine Ausbildung zum Tiefbauarbeiter und arbeitete zuletzt bis 1994 im Straßenbau bei der Firma I. Bauunternehmen, J.. Später war er als selbständiger Immobilienmakler tätig und ist seither arbeitslos. Mit Bescheid vom 15. Januar 2003 bewilligte die Beklagte ihm für die Zeit vom 1. Dezember 1998 bis 31. Mai 2001 Rente wegen Berufsunfähigkeit. Seit 1. Mai 2009 erhält der Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen (Bescheid vom 29. April 2009).

Nachdem ein früheres Rentenverfahren für ihn ohne Erfolg geblieben war (Klagerücknahme in dem Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Braunschweig zum Az.: S 2 RJ 221/02), beantragte der Kläger im Februar 2004 erneut Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog den ärztlichen Entlassungsbericht über ein dem Kläger vom 4. bis 25. November 2003 gewährtes stationäres Heilverfahren bei. Hierin wurde der Kläger bei den wesentlichen Diagnosen einer Lumboischialgie mit Claudicatio spinalis bei Spondylolisthese L 3/4 Grad Meyerding I, einer Depression, einer asthmoiden Bronchitis und einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit Stadium Fontaine I für - eventuell nach operativer Behandlung - noch in der Lage erachtet, sechs und mehr Stunden täglich körperlich leichte Arbeiten, überwiegend im Sitzen, ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen, Anforderungen an die Gang- und Standsicherheit und häufige Exposition gegenüber inhalativen Belastungen zu verrichten. Sodann holte die Beklagte ein Gutachten des Orthopäden Dr. K. vom 30. März 2004 ein, in dem dieser auf seinem Fachgebiet die wesentliche Diagnose eines chronischen Lendenwirbelsyndroms bei Spinalkanalstenose in den Segmenten L 3/4, L 4/5 und L 5/S 1 mitteilte und den Kläger unter Beachtung der sonstigen Diagnosen einer Abstinenz bei Alkoholkrankheit, eines Asthma Bronchiale, einer Störung der Persönlichkeitsentwicklung und eines Tinnitus für noch in der Lage hielt, vollschichtig körperlich leichte Arbeiten bei Meidung von Kälte-, Nässe und Zugluftexpositionen zu verrichten. Der Kläger sei auch noch in der Lage, viermal täglich Gehstrecken von jeweils 500 m in unter 20 Minuten zurückzulegen. Die Beklagte schloss sich dieser Bewertung an und lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 28. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2004 ab.

Im nachfolgenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Braunschweig hat der Kläger den Rentenantrag unter Hinweis insbesondere auf seine Schmerzen im Rücken und im linken Bein weiter verfolgt. Das Sozialgericht hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte beigezogen und ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. L. vom 10. Januar 2007 eingeholt. Der Sachverständige hat im Wesentlichen die Diagnosen einer gehstreckenabhängigen Schmerzsymptomatik im Bereich der Lendenwirbelsäule bei Einengung des Wirbelsäulenkanals mit linksseitigem Bandscheibenvorfall im Bereich L 3/4, eine Dysthymie mit Somatisierungstendenz, eine Persönlichkeitsstörung mit mangelhafter Impulskontrolle und Suchtneigung, einer Alkoholkrankheit mit derzeit glaubhafter Abstinenz und eines beidseitigen Ohrgeräusches mitgeteilt. Der Kläger sei noch für leichte, ganz überwiegend sitzend ausgeübte Tätigkeiten vollschichtig belastbar, nicht jedoch für Arbeiten unter Zeitdruck, im Akkord oder in Nachtschicht sowie in Zwangshaltungen. Aufgrund der Einengungen des Rückenmarkkanals und der hieraus resultierenden Claudicatio-Symptomatik sei der Kläger jedoch nicht mehr in der Lage, viermal täglich eine Wegstrecke von 600 m mit zumutbarem Zeitaufwand zu Fuß zurückzulegen. Einschließlich der erforderlichen fünfminütigen Pausen zur Rückbildung der Beschwerden ergebe sich für eine Wegstrecke von 600 m ein Zeitbedarf von etwa 40 Minuten. Das Sozialgericht hat die Klage nach Einholung weiterer ärztlicher Befundberichte mit Urteil vom 4. April 2008 abgewiesen. Der Kläger sei weder erwe...

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