Entscheidungsstichwort (Thema)

Verordnungsausschluss für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel. OTC-Übersicht. Spastische Abdominalbeschwerden beim Reizdarmsyndrom. Buscopan-Dragées. Schwerwiegende Erkrankung (verneint). Therapiestandard (verneint). spastische Abdominalbeschwerden beim Reizdarmsyndrom. schwerwiegende Erkrankung (verneint)

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Bestimmung der Begriffe der schwerwiegenden Erkrankung und des Therapiestandards in § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 14.05.2014; Aktenzeichen B 6 KA 21/13 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Aufnahme des nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels Buscopan® Dragées in die Anlage I der Arzneimittel-Richtlinie (OTC-Übersicht) als Standardtherapeutikum zur Behandlung spastischer Abdominalbeschwerden beim Reizdarmsyndrom.

Die Klägerin ist ein Pharmaunternehmen, das Arzneimittel erforscht, entwickelt, herstellt und vertreibt, darunter Buscopan® Dragées.

Das Arzneimittel Buscopan® Dragées (Wirkstoff: Butylscopolaminiumbromid, gewonnen aus der Duboisia-Pflanze [Familie der Nachtschattengewächse]) verfügt über eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Anwendungsgebiet “Behandlung von leichten bis mäßig starken Spasmen des Magen-Darm-Traktes sowie Behandlung spastischer Abdominalbeschwerden beim Reizdarmsyndrom„ (Fachinformation mit Stand vom Mai 2010). Es gehört zur Gruppe der Spasmolytika und ist ein krampflösendes Medikament, das den Spannungszustand der glatten Darmmuskulatur senkt und so Verkrampfungen löst. Buscopan® Dragées sind apotheken-, aber nicht verschreibungspflichtig (“OTC-Präparat„, over the counter = über den Tresen verkäuflich).

OTC-Präparate wurden durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. November 2003 (BGBl. I S. 2190) mit Wirkung vom 1. Januar 2004 grundsätzlich von der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgeschlossen. Die Verordnung dieser Arzneimittel ist nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V nur ausnahmsweise zulässig, wenn die Arzneimittel “bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten„. In der Anlage I zur Arzneimittel-Richtlinie legt der Beklagte fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten und mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können.

Mit Schreiben vom 20. Oktober 2008 beantragte die Klägerin beim Beklagten unter Beifügung eines “Gutachtens zur Beantragung der Erstattungsfähigkeit für Buscopan® Dragées für die Indikation ’Behandlung spastischer Abdominalbeschwerden beim Reizdarmsyndrom‚„ von PD Dr. med. S K. B und Prof. Dr. med. W K die Aufnahme von Buscopan® Dragées in Anlage I zur Arzneimittel-Richtlinie als Standardtherapeutikum zur Behandlung spastischer Abdominalbeschwerden beim Reizdarmsyndrom. Das Reizdarmsyndrom sei eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Es stelle zwar keine lebensbedrohliche Erkrankung dar, habe aber einen massiv negativen Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen und sei weit verbreitet. Das Kardinalsymptom bestehe im abdominellen Schmerz, hervorgerufen durch Darmspasmen. Die Lebensqualität von Reizdarmpatienten sei noch niedriger als die etwa an Diabetes, Asthma oder Migräne erkrankter Patienten. Buscopan® Dragées seien auch Therapiestandard bei der Behandlung des Reizdarmsyndroms. Zur Behandlung der schmerzverursachenden Darmspasmen seien in erster Linie spasmolytische Wirkstoffe wie Butylscopolaminiumbromid geeignet. Daneben sei in Deutschland nur noch das allerdings verschreibungspflichtige Mebeverin erhältlich. Die Therapieleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) sowie mehrere Übersichtsarbeiten empföhlen Spasmolytika im Allgemeinen und Buscopan im Besonderen zur Behandlung spastischer Schmerzen beim Reizdarmsyndrom. Selbst der Pschyrembel (“Klinisches Wörterbuch„) empfehle die Therapie mit Buscopan. Das Verhältnis von Nutzen und Risiko sei so günstig, dass Buscopan nicht der Verschreibungspflicht unterliege; es ermögliche eine effektive und kostengünstige Therapie.

Mit Beschluss vom 22. Januar 2009 (schriftlicher Bescheid vom selben Tag, mit “Entwurf„ überschriebene Anlage als Begründung) lehnte der Beklagte den Antrag auf Aufnahme von Buscopan® Dragées in die Anlage I zur Arzneimittel-Richtlinie ab. Aufgrund des Ausnahmecharakters der Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V könne nicht jede Art von Erkrankung den Anspruch auf eine Behandlung mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu Lasten der GKV begründen, sondern nur eine solche, die sich durch ihre Schwere oder ihre Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebe. Soweit eine solche Erkrankung nicht lebensbedrohlich sei, setze ihre Anerkennung als schwerwiegend voraus, dass sie von ihrer Schwere und dem Ausmaß der aus ihr fo...

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