Entscheidungsstichwort (Thema)

Normfeststellungsklage. Feststellungsinteresse (bejaht). Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis (bejaht). Mindestmenge. Qualitätssicherung. Perinatalzentrum Level 1. Frühgeborene mit Geburtsgewicht unter 1.250 Gramm. Planbarkeit. Leistungsmenge und Leistungsqualität. Abhängigkeit in besonderem Maße (verneint). IQWiG. Krankenversicherung. Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Qualitätssicherung für zugelassene Krankenhäuser. Rechtswidrigkeit der Heraufsetzung der Mindestmengenregelung für Perinatalzentren. Statthaftigkeit und Zulässigkeit einer Normfeststellungsklage von Krankenhausträgern gegen einen Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Heraufsetzung der Mindestmenge für die stationäre Versorgung Frühgeborener mit Geburtsgewicht unter 1.250 Gramm von 14 auf 30 mit Wirkung vom 1. Januar 2011 ist rechtswidrig. Die Mindestmengenvereinbarung des Gemeinsamen Bundesausschusses (Beschluss vom 17. Juni 2010) ist insoweit nichtig.

2. Der bloße Trend einer Risikoreduktion ist nicht geeignet, die besondere Abhängigkeit der Leistungsqualität von der Leistungsmenge im Sinne von § 137 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB V zu belegen.

 

Orientierungssatz

Zur Frage der Statthaftigkeit und Zulässigkeit einer Klage von Krankenhausträgern gegen einen Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (Mindestmengenvereinbarung) als Normfeststellungsklage.

 

Tenor

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Beklagten vom 17. Juni 2010 insoweit rechtswidrig und damit nichtig ist, als er unter I. Nr. 1 die Mindestmenge für Perinatalzentren des Level 1 (Versorgung von Früh- und Neugeborenen mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1.250 g) mit Wirkung vom 1. Januar 2011 von 14 auf 30 Fälle erhöht.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen

 

Tatbestand

Die 16 Klägerinnen betreiben Krankenhäuser. Sie wenden sich gegen die Heraufsetzung der Mindestmenge für Perinatalzentren des Level 1 von 14 auf 30 ab 1. Januar 2011.

Mit dem Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser (Fallpauschalengesetz, FPG) vom 23. April 2002 (BGBl. I S. 1412) ermöglichte der Gesetzgeber als ein Element der Qualitätssicherung die Einführung von Mindestmengen für die Erbringung bestimmter Leistungen in zugelassenen Krankenhäusern. § 137 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) bestimmte in der Fassung des FPG u.a.:

(Abs. 1) Die Spitzenverbände der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung vereinbaren mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft unter Beteiligung der Bundesärztekammer sowie der Berufsorganisationen der Krankenpflegeberufe Maßnahmen der Qualitätssicherung für nach § 108 zugelassene Krankenhäuser einheitlich für alle Patienten. Dabei sind die Erfordernisse einer sektor- und berufsgruppenübergreifenden Versorgung angemessen zu berücksichtigen; dazu ist der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Vereinbarungen nach Satz 1 regeln insbesondere

(…)

(Nr. 3.) einen Katalog planbarer Leistungen nach den §§ 17 und 17b des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist, Mindestmengen für die jeweiligen Leistungen je Arzt oder Krankenhaus und Ausnahmetatbestände

(…)

Mit dem 1. Januar 2004 übertrug das Gesetz die Kompetenz für Maßnahmen der Qualitätssicherung im Rahmen von § 137 SGB V dem Gemeinsamen Bundesausschuss (im Folgenden: Beklagter; Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz, GMG) vom 14. November 2003, BGBl. I S. 2190).

Bereits im Mai 2004 stellten die Spitzenverbände der Krankenkassen einen Antrag auf Aufnahme einer Mindestmenge von 40 für die Behandlung von Neugeborenen mit sehr niedrigem Geburtsgewicht (very-low-birth-weight, VLBW, kleiner als 1.500 g) in neonatalen Intensiveinheiten.

Der Beklagte beschloss jedoch eine ab 1. Januar 2006 wirksame “Vereinbarung über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Neugeborenen„ (“NICU-Vereinbarung„,  Beschluss vom 20. September 2005). Die Vereinbarung enthält keine Mindestmengen, jedoch Anforderungen an Infrastruktur, sächliche und personelle Ausstattung sowie Kriterien über die stationäre Aufnahme von Früh- und Neugeborenen. Aufgestellt wird zudem ein vierstufiges Versorgungskonzept:

- Perinatalzentrum Level 1 für die Versorgung von Frühgeborenen mit einer Reife ≪ 1.250 g und/oder ≪ 29+0 Schwangerschaftswoche (SSW),

- Perinatalzentrum Level 2 für die Versorgung von Frühgeborenen mit einer Reife von 1.250 - 1.499 g und/oder 29+0 bis 32+0 SSW,

- Perinataler Schwerpunkt (Unreife bei Geburtsgewicht von mindestens 1.500 g, postnatale Therapie absehbar, leistungsfähige Neugeborenenmedizin in Krankenhäusern mit Geburts- und Kinderklinik),

- Geburtsklinik (Geburt reifer Neugeborener ohne bestehendes Risiko, keine Kinderklinik vorhanden).

Mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in ...

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