Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. zahnärztliche Behandlung. implantologische Leistungen. Ausnahmeindikation. psychogen verursachter Würgereiz. keine nicht willentlich beeinflussbare muskuläre Fehlfunktion im Mund- und Gesichtsbereich. Implantat als notwendiger Teil einer medizinischen Gesamtbehandlung. nicht nur Wiederherstellung der Kaufunktion

 

Orientierungssatz

1. Ein psychogen verursachter Würgereiz gehört nicht zu den nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich iSv Abschn B Nr VII.2 S 4 Buchst d der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesauschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (juris: ZÄBehRL).

2. Implantologische Leistungen, die der Abstützung von Zahnersatz dienen sollen, sind (nur dann) als Sachleistung zu erbringen, wenn sie notwendiger Teil einer medizinischen Gesamtbehandlung sind. Eine solche medizinische Gesamtbehandlung muss sich aus verschiedenen, nämlich aus human- und zahnmedizinischen notwendigen Bestandteilen zusammensetzen, ohne sich in einem dieser Teile zu erschöpfen.

3. Nicht die Wiederherstellung der Kaufunktion im Rahmen eines zahnärztlichen Gesamtkonzepts, sondern ein darüber hinausgehendes medizinisches Gesamtziel muss der Behandlung ihr Gepräge geben. Versicherte haben auf implantologische Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion nicht schon dann Anspruch, wenn es allein oder auch nur hauptsächlich darum geht, Versicherten einen Zahnersatz zu ermöglichen, weil andere Behandlungsmöglichkeiten zur Ersetzung fehlender Zähne nicht bestehen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 18.11.2020; Aktenzeichen B 1 KR 79/20 B)

 

Tenor

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 29. November 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Versorgung mit implantologischen Leistungen sowie einem implantatgestützten Zahnersatz.

Der Kläger ist 1956 geboren und bei der Beklagten krankenversichert. Er erhielt auf der Grundlage eines Heil- und Kostenplanes vom 6. November 2014 im Oberkiefer eine Interimsprothese.

Mit Schreiben vom 25. Februar 2015 beantragte er bei der Beklagten eine „andere Versorgung, auch außerhalb des Kassenvertrages“, denn er sei mit dem Provisorium unzufrieden und bekomme immer Brechreiz, wenn dieses eingesetzt werde.

Die Beklagte verwies ihn am 3. März 2015 darauf, dass zeitnah eine endgültige Planung und Versorgung erfolgen sollte, für eine über die vertragszahnärztliche Versorgung hinausgehende Interimsprothese sei eine Kostenübernahme ausgeschlossen.

Der Kläger beantragte daraufhin unter dem 8. März 2015, ihm gemäß einem Heil- und Kostenplan mit Zahnimplantaten zu versorgen. Er leide seit dem 10. Lebensjahr unter einem empfindlichen Magen und habe seit dem 13. Lebensjahr Magengeschwüre. Seit der Versorgung mit der Interimsprothese bekomme er starken Brechreiz. Sein Arzt habe erklärt, dass der Brechreiz sowie Schwindelgefühle von der Halswirbelsäule herrührten. Außerdem leide er seit über einem Jahr an starken Schmerzen im rechten Ohr. Er übersandte neben dem Behandlungsplan vom 10. März 2015 eine ärztliche Stellungnahme der Ärzte für Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie und Plastische Operationen Dres. K/N vom 16. Juli 2015. Die Ärzte begründeten die Notwendigkeit einer Versorgung mit drei Implantaten im Oberkiefer, damit, dass ein Zahnersatz ohne Gaumenabdeckung befestigt werden könne. Es bestehe wegen des extremen Würgereizes eine Ausnahmeindikation.

Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme für eine Implantatbehandlung mit Bescheid vom 29. Juli 2015 einschließlich eines implantatgestützten Zahnersatzes als Sachleistung im Rahmen der medizinischen Gesamtbehandlung ab, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorlägen. Eine Beteiligung der Krankenkassen an diesen Kosten einschließlich der Nebenleistungen sei nur in besonders schweren Fällen möglich, sofern eine der folgenden Indikationen vorliege und eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich sei:

-Größere Kiefer-oder Gesichtsdefekte, die ihre Ursache hätten in

- Tumoroperationen,

- Entzündungen des Kiefers,

- Operationen infolge von großen Zysten (z.B. große follikuläre Zysten oder Keratozysten),

- Operationen infolge von Osteopathien, sofern keine Kontraindikation für eine Implantatversorgung vorliegt,

- angeborenen Fehlbildungen des Kiefers (Lippen, Kiefer, Gaumenspalte, ektodermale Dysplasien)

- in Unfällen,

-bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie (Mundtrockenheit), insbesondere im Rahmen einer Tumorbehandlung,

-bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen (Fehlen der Mehrzahl der Zähne je Kiefer)

-sowie bei nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (z.B. Spastiken).

Die genannten Voraussetzungen lägen bei dem Kläger nicht vor.

Der Kläger erhob Widerspruch unter Übersendung eines Behandlungsplanes über die Versorgung mit...

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