Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuerkennung einer Versorgung wegen eines aus der Impfung resultierenden Impfschadens

 

Orientierungssatz

1. Zur Anerkennung eines Impfschadens ist erforderlich, dass die Impfung, die gesundheitliche Primärschädigung in Form einer unüblichen Impfreaktion und die Schädigungsfolge als Dauerleiden nachgewiesen und nicht nur wahrscheinlich sind. Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der Primärschädigung sowie zwischen dieser und den Schädigungsfolgen genügt es, wenn die Kausalität wahrscheinlich ist.

2. Bei der durchgeführten Impfung muss es sich um eine öffentlich empfohlene Schutzimpfung handeln.

3. Die notwendige öffentliche Empfehlung muss sich nicht nur auf das "Ob", sondern auch auf die Durchführungsmodalität beziehen, insbesondere hinsichtlich des zu verwendenden Impfstoffes. Stellt der verwendete Impfstoff zum Zeitpunkt der durchgeführten Impfung nicht mehr die öffentlich empfohlene Impfmodalität dar, ist die Zuerkennung einer Versorgung wegen des aus der Impfung resultierenden Impfschadens ausgeschlossen.

4. Ist das gesetzliche Merkmal der öffentlichen Empfehlung hinsichtlich der Impfung nicht erfüllt, kommt die Zuerkennung einer Versorgung dann in Betracht, wenn das Verhalten der mit der Durchführung bestimmter Impfungen regelmäßig befassten Medizinalperson den Schluss erlaubt, die Impfung sei öffentlich empfohlen und die zuständige Behörde hätte das Verhalten dieser Person bei pflichtgemäßer Sorgfalt verhindern können.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 06.10.2011; Aktenzeichen B 9 VJ 8/10 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. November 2006 wird zurückgewiesen.

Eine Kostenerstattung findet auch für das Berufungsverfahren nicht statt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die 1953 geborene Klägerin begehrt die Zuerkennung von Versorgung wegen eines geltend gemachten Impfschadens.

Sie war im Alter von vier Jahren an einer Polioinfektion erkrankt, in deren Folge körperliche Beeinträchtigungen zurückblieben, die sich in der rechten Körperhälfte deutlicher zeigten als in der linken (Verkürzung des rechten Beines, Spitzform des rechten Fußes, Muskelatrophien des rechten Beines bis zum Gesäß). Eine Impfung gegen Polio erfolgte bei der Klägerin nicht. 1998 zog sie sich eine Kopfverletzung zu und suchte ihren Arzt Prof. Dr. Z auf, der ihr am 30. April 1998 in den Oberarm den Impfstoff Td-pur und oral den Impfstoff Polio-Vaccinol verabreichte. Wegen anschließend aufgetretener allgemeiner Schwäche und einer Fußheberschwäche rechts begab sich die Klägerin noch am selben Tag in die stationäre Behandlung in den D-Kliniken K und anschließend in der S-Klinik. Mehrere Aufenthalte in medizinischen Einrichtungen folgten.

Am 15. Oktober 1998 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Gewährung von Versorgung wegen eines Impfschadens und machte hierzu geltend, seit der Impfung am 30. April 1998 leide sie an einer verschlechterten Kraft in beiden Armen und Beinen sowie der sonstigen Muskeltätigkeit. Während sie zuvor problemlos hätte laufen können, seien ihr nunmehr zügiges Laufen oder gar Rennen unmöglich. Außerdem empfinde sie eine starke Erschöpfung mit Müdigkeit. Nach Einholung einer Stellungnahme der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. D vom 8. April 1999 lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 4. Mai 1999, berichtigt hinsichtlich des fehlerhaft angegebenen Impfdatums mit Bescheid vom 21. Mai 1999, ab. Auf den Widerspruch der Klägerin holte der Beklagte ein Kausalitätsgutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. St vom 27. Februar 2001 ein und wies in dessen Ergebnis den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 2001 zurück.

Mit der am 17. April 2001 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt und geltend gemacht, die eindeutig zu verzeichnende Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes sei auf die Impfung mit Lebend-Impfstoff zurückzuführen. Wegen eben jenes Risikos habe die Ständige Impfkommission (STIKO) ihre Empfehlung geändert und lasse nur noch die Impfung mit abgetöteten Viren zu.

Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie und Oberarztes an der Sch-Klinik Dr. T vom 29. November 2005 eingeholt und die Klage mit Urteil vom 8. November 2006 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei zu der Überzeugung gelangt, die Polio-Impfung am 30. April 1998 habe nicht zu einer gesundheitlichen Schädigung der Klägerin geführt. Zwar sei es nach dem Gutachten des Dr. T zu einer akuten Impfreaktion gekommen, doch habe es sich nicht um eine sog. Impf-Polio gehandelt, da weder hohes Fieber noch eindeutig nachweisbare neue Lähmungen vorgelegen hätten und außerdem eine Impf-Polio erst Tage nach der Impfung ausbreche. Die Beschwerden der Klägerin seien auf ein sog. Post-Polio-Syndrom zurückzuführen, das zwar durch eine Impfung richtungweisend verschlechtert werden könne, jedoch sei dies hier unwahrscheinlich.

Mit der am 24. Januar...

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