Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Zurechnung mittelbarer Unfallfolgen gem § 11 Abs 1 Nr 1 SGB 7. Durchführung einer Heilbehandlung: notwendige Bedingtheit durch Gesundheitserstschaden. Operation durch Durchgangsarzt: Anlageleiden. irrige Annahme des Versicherten. dem Unfallversicherungsträger zurechenbares Verhaltens des Durchgansarztes. Treu und Glauben. Umstände des Einzelfalls

 

Orientierungssatz

1. Für die Zurechnung mittelbarer Unfallfolgen gem § 11 Abs 1 Nr 1 SGB 7 muss die Heilbehandlung durch das (behauptete oder anerkannte) Unfallereignis notwendig bedingt sein (hier aber: Operation eines nicht unfallbedingten, sondern anlagebedingten Gesundheitszustands durch einen Durchgangsarzt).

2. Die bloß irrige Vorstellung des Versichherten, er nehme an einer notwendigen, von dem Unfallversicherungsträger veranlassten Heilbehandlungsmaßnahme iS von § 11 Abs 1 Nr 1 SGB 7 teil, reicht nicht aus, den Zurechnungstatbestand zu erfüllen. Vielmehr muss der Träger oder seine Leistungserbringer für den Versicherten den Anschein (beim Erlass von Verwaltungsakten oder bei der Abgabe von Willenserklärungen auch den Rechtsschein) gesetzt haben, es solle eine solche unfallversicherungsrechtliche Maßnahme durchgeführt werden. Das ist der Fall, wenn ein an Treu und Glauben orientierter Versicherter an der Stelle des konkret Betroffenen die Erklärungen und Verhaltensweisen der auf Seiten des Trägers tätig gewordenen Personen als Aufforderung zur Teilnahme an einer vom Unfallversicherungsträger gewollten Maßnahme verstehen durfte.

3. Allein aus der Zurechenbarkeit des Verhaltens des Durchgangsarztes dem Versicherten gegenüber lässt sich nicht ohne weiteres ableiten, dass dieser nach Treu und Glauben die Erklärungen und Verhaltensweisen der auf Seiten des Trägers tätig gewordenen Person als Aufforderung zur Teilnahme an einer vom Unfallversicherungsträger gewollten Maßnahme verstehen durfte (hier: Kenntnis des Versicherten über die unterschiedlichen Standpunkte der befassten Ärzte hinsichtlich der weiteren Heilbehandlung bzw über den bestehenden weiteren Sachaufklärungsbedarf vor der Operation).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 06.09.2018; Aktenzeichen B 2 U 16/17 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. September 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten sind für das gesamte gerichtliche Verfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt gegenüber der Beklagten die Anerkennung weitergehender Arbeitsunfallfolgen, die Weitergewährung von Verletztengeld sowie die Übernahme von Heilbehandlungskosten.

Der 1991 geborene Kläger erlitt als Auszubildender in einer Spedition am 19. September 2012 einen von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfall, indem er von einem Hubwagen (sog. Schnellläufer) angefahren wurde, wodurch es zu einem Anpralltrauma des rechten Handgelenks kam (vgl. Durchgangsarztbericht ≪DAB≫ vom 19. September 2012 und Unfallanzeige vom 28. November 2012). Der Kläger begab sich wegen zunehmender Schmerzen zunächst in durchgangsärztliche Behandlung zu Dr. A im Wklinikum. Dort wurde am rechten Handgelenk zunächst klinisch eine 2 x 2 cm große Schürfwunde ellenseitig rechts, keine Fehlstellung, eine schmerzbedingte UInar- und Radiusabduktion bei intakter Flexion und Extension festgestellt. Die Röntgenuntersuchung erbrachte dann eine diskrete dorsale Subluxationsstellung der Elle im Radioulnargelenk ohne Frakturnachweis. In der MRT-Untersuchung vom 26. September 2012 zeigte sich weiterhin keine (okkulte) Fraktur. Es wurde eine Subluxationsstellung der Elle nach dorsal festgestellt und diese als “wahrscheinlich„ habituell angesehen. Eine Verletzung der angrenzenden Weichteile und Bänder oder des Discus triangularis fand sich nicht, ebenso wenig eine Ergussbildung im Bereich des Handgelenks oder der Handwurzel. Eine CT-Untersuchung beider Handgelenke vom 28. September 2012 ergab eine geringe Fehlstellung der distalen Elle, vgl. hierzu etwa Zwischenbericht von Dr. A vom 02. Oktober 2012 über die am 28. September 2012 durchgeführte Untersuchung.

Der Kläger wurde in der Folgezeit u.a. vom Durchgangsarzt Dr. S am A-Krankenhaus weiteruntersucht und -behandelt, der klinisch in Supination des rechten Handgelenks eine vermehrte Dislokation der Elle mit Knackphänomenen bei Reposition und Druckschmerz feststellte, vgl. Zwischenbericht vom über die Nachuntersuchung vom 09. Oktober 2012. Dr. S führte im vorgenannten Zwischenbericht aus, dass die vom Kläger vorgetragenen erheblichen Schmerzen sowie die glaubhafte Versicherung, dass die o.g. Beschwerden vor dem Unfall nicht bestanden hätten, ihn trotz des MRT-Befunds an ein frisches Ereignis mit Unfallzusammenhang glauben ließen, weshalb er die probatorische Transfixation der Elle mit Stellschraube für vier bis sechs Wochen zu Lasten der gesetzlichen Unfallversicherung für indiziert halte. Der Kläger solle sich zur sofortigen OP-Versorgung beim Krankenhaus N vorstellen. D...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Kranken- und Pflegeversicherungs Office. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen