Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. stationäre Einrichtung der Behindertenhilfe. Eingliederungshilfe für behinderte Menschen als vordergründiger Leistungszweck. keine Pflegeeinrichtung iSd § 71 Abs 2 SGB 11. Pauschalabgeltung pflegebedingter Aufwendungen gemäß § 43a SGB 11. darüber hinaus keine Leistungsverpflichtung der Pflegekasse. Rechtmäßigkeit des Modells der Binnendifferenzierung. Betriebsteil mit pflegerischen Zwecken im Vordergrund. Abschluss eines Versorgungsvertrages nicht ausgeschlossen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Stationäre Einrichtungen, bei denen im Vordergrund des Leistungszwecks die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen steht, sind keine Einrichtungen im Sinne des § 71 Abs 2 SGB XI und der Aufenthalt in solchen Einrichtungen löst über die Pauschalleistung gemäß § 43a SGB XI hinaus keine Leistungsverpflichtung der Träger der sozialen Pflegeversicherung nach dem SGB XI aus.

2. Stationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe, die dem Modell der Binnendifferenzierung folgen, können hinsichtlich eines Betriebsteils Pflegeeinrichtung im Sinne des § 71 Abs 2 SGB XI sein, soweit die pflegerischen Zwecke insoweit im Vordergrund stehen.

3. Das Modell der Binnendifferenzierung ist rechtlich nicht zu beanstanden.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 30. September 2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte der Klägerin bei Aufenthalten im häuslichen Bereich der Eltern Pflegegeld zu gewähren hat.

Die am 1989 geborene Klägerin ist bei der Beklagten sozial pflegeversichert. Sie leidet infolge einer neonatalen hypoxisch-ischämischen Encephalopathie an einer schweren Mehrfachbehinderung mit schwerer spastischer Tetraparese, global komplexer Entwicklungsstörung, symptomatischer Epilepsie, Dystrophie, Minderwuchs, Microcephalie, schwerer thorakolumbaler Skoliose und intermittierender Aerophagie mit Unruhezuständen. Die Klägerin bezog bis 31. Dezember 2016 Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe III. Nach dem Gutachten der Pflegefachkraft R., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK), vom 6. November 2008 betrug der grundpflegerische Hilfebedarf täglich 355 Minuten; eine pflegestufenrelevante Reduzierung des Hilfebedarfs war nicht zu erwarten (vgl. Bl. 13/20 VerwA). Zum 1. Januar 2017 erfolgte eine Überleitung in den Pflegegrad 5.

Die Klägerin besuchte zunächst im Rahmen einer internatsmäßigen Unterbringung die Heimsonderschule der KBF in M., eine vollstationäre Einrichtung der Behindertenhilfe, deren Kosten vom Beigeladenen zu 2 getragen wurden. Die Beklagte zahlte die Pauschalleistung gemäß § 43a Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) von seinerzeit monatlich 256,00 € (Bescheid vom 13. Juli 2006). Darüber hinaus gewährte sie der Klägerin für die Tage, an denen sie sich im Haushalt ihrer Eltern aufhielt und von der Mutter gepflegt wurde, anteiliges Pflegegeld. Für die Mutter der Klägerin entrichtete die Beklagte im Hinblick auf die festgestellte Rentenversicherungspflicht als Pflegeperson Rentenversicherungsbeiträge.

Seit 2. September 2013 ist die Klägerin im Unterstützungszentrum O. Straße in B. untergebracht. Hierbei handelt es sich um ein Wohn- und Betreuungsangebot für 24 Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen (im Folgenden: Einrichtung) in Trägerschaft des Beigeladenen zu 1. Die Einrichtung ist gegliedert in das Wohngebäude, in dem sich Wohneinheiten mit integrierter Küche für jeweils zwei bzw. sechs Personen befinden, sowie die im Nachbarhaus befindlichen separaten Räumlichkeiten, in denen ein tagesstrukturierendes Förder- und Betreuungsangebot erbracht wird. Die Kosten der Unterbringung wurden zunächst vom Beigeladenen zu 2 getragen. Hierzu hatte er mit dem Beigeladenen zu 1 eine Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) geschlossen. Die Einrichtung - so die Angaben der Klägerin - war von Anfang an als sog. „binnendifferenzierte“ Einrichtung konzipiert, d.h. als Einrichtung, die mit jeweils selbstständigen Teilen einerseits die Voraussetzung einer stationären Pflegeeinrichtung und andererseits die Voraussetzungen einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe erfüllen sollte.

Die Klägerin und der Beigeladene zu 1 schlossen mit Wirkung ab 24. April 2014 einen „Wohn- und Betreuungsvertrag“ u.a. mit folgendem Inhalt:

㤠2

Leistungen der Einrichtung

Ziel des Vertrages ist es, dem Bewohner Unterkunft, Pflege, Betreuung und Assistenz zu gewähren, die ihm ein Leben unter Wahrung seiner Menschenwürde und Sicherung seiner Selbstbestimmung ermöglicht. Die Einrichtung erbringt die folgenden Leistungen:

- Überlassung von Wohnraum (§ 3)

- Wäschepflege (§ 4)

- Verpflegung (§ 5)

- Betreuungs- und Assistenzleistungen (§ 6)

- Leistungen der Verwaltung (§ 7)

- Vermittlung ärztlicher und sonstiger Leistungen der Krankenversicherung (§ 8)

- Barbetragsverwaltung (§ 9)

- hygienischer Sach...

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