Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes. Bestehen einer fortführungsfähigen Praxis. Fallzahlen von rund 50 % des Fachgruppendurchschnitts. Feststellung der Nichterforderlichkeit einer Nachbesetzung. Bedarfsprüfung bezogen auf den gesamten betroffenen Planungsbereich

 

Leitsatz (amtlich)

1. Fallzahlen von rund 50 % des Fachgruppendurchschnitts lassen nicht den Schluss zu, dass keine fortführungsfähige Praxis im Sinne von § 103 Abs 3a S 1 SGB V existiert.

2. Die Feststellungen der Versorgungsgründe im Sinne von § 103 Abs 3a S 3 SGB V setzt eine Bedarfsprüfung bezogen auf den gesamten betroffenen Planungsbereich voraus.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 01.03.2017 sowie der Beschluss des Beklagten vom 19.08.2015 aufgehoben, soweit damit ein Nachbesetzungsverfahren im Umfang eines halben Versorgungsauftrags abgelehnt wurde. Der Beklagte wird verpflichtet, insofern unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut über den Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird für beide Rechtszüge endgültig auf 5.000,00 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens im Umfang eines halben Versorgungsauftrags.

Der Kläger war seit dem 01.10.2010 in H., B., als Facharzt für Allgemeinmedizin mit vollem Versorgungsauftrag zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und nahm in Einzelpraxis an der hausärztlichen Versorgung teil. Der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat den Planungsbereich „Mittelbereich H.“ für Hausärzte bei einem Versorgungsgrad von 115,3 % mit einer Zulassungssperre versehen.

Die Praxis des Klägers wies zuletzt folgende Fallzahlen im Vergleich zum Fachgruppendurchschnitt auf:

Quartal

(1.) Praxis Kläger

(2.) Fälle hausarztzentrierte Versorgung

Kläger

Summe (1.) + (2.)

Fachgruppendurchschnitt ohne

hausarztzentrierte Versorgung

1/2014

302

97

399

780

2/2014

256

95

351

740

3/2014

236

95

331

746

4/2014

252

111

363

758

1/2015

292

126

418

803

2/2015

321

118

439

733

3/2015

279

115

394

738

Summe

1.938

757

2.695

5.298

Am 15.04.2015 beantragte der Kläger beim beklagten ZA die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens seines Vertragsarztsitzes mit vollem Versorgungsauftrag zum 30.09.2015.

Mit an den Kläger gerichtetem Schreiben vom 23.06.2015 gab der Beklagte die Stellungnahme der zu 1) beigeladene KV wieder. Danach sei aufgrund der Fallzahlen des Klägers lediglich die Nachbesetzung eines hälftigen Versorgungsauftrags zu befürworten. Es werde angeregt, dem Kläger den hälftigen Versorgungsauftrag von Amts wegen zu entziehen. Bereits seit fünf Quartalen sei der Kläger in reduziertem Umfang tätig, so dass davon auszugehen sei, dass kein Praxissubstrat (insbes. Patientenstamm) vorhanden sei, das eine Nachbesetzung der Praxis im vollen Umfang rechtfertigen könne. Die vom Kläger in Abrechnung gebrachten Fallzahlen hätten im Quartal 4/2013 ca. 62% unter dem Fachgruppendurchschnitt (287 zu 761 Fälle), im Quartal 1/2014 ca. 61% unter dem Fachgruppendurchschnitt (302 zu 780 Fälle), im Quartal 2/2014 ca. 65% unter dem Fachgruppendurchschnitt (256 zu 740 Fälle), im Quartal 3/2014 ca. 68% unter dem Fachgruppendurchschnitt (236 zu 746 Fälle) und im Quartal 4/2014 ca. 67% unter dem Fachgruppendurchschnitt (252 zu 758 Fälle) gelegen. Zusätzlich sei der Kläger (nach seinen eigenen Angaben) mit weniger als 90 Fällen je Quartal in geringem Umfang innerhalb der hausarztzentrierten Versorgung tätig gewesen. Da dem Eigentumsschutz des ausscheidenden Vertragsarztes nur dann umfassend der Vorrang gegenüber den Interessen des Gemeinwohls an der Vermeidung und dem Abbau von Überversorgung zu gewähren sei, wenn tatsächlich eine abzugebende Praxis existiere, träten die Interessen des Klägers hier insoweit zurück, als lediglich die Übergabe eines hälftigen Versorgungsauftrags befürwortet werden könne. Zudem habe eine Bedarfsanalyse ergeben, dass eine Nachbesetzung der bestehenden Praxis lediglich im Umfang eines hälftigen Versorgungsauftrags zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung erforderlich sei. Die Fallzahlen der im nahen Umkreis der Praxis niedergelassenen acht Fachkollegen machten deutlich, dass diese weitestgehend nicht über Kapazitäten zur Mehraufnahme von Patienten verfügten. Bei diesen Hausärzten hätten die Fallzahlen bei vier Praxen unter 600 Fällen, bei drei Praxen zwischen 600 und 900 Fällen und bei einer Praxis bei über 900 Fällen gelegen. Auch die Altersstruktur müsse Berücksichtigung finden. Drei der Hausärzte seien über 65, zwei zwischen 60 und 65 und drei zwischen 50 und 59 Jahre alt.

In der Sitzung des Beklagten am 19.08.2015 beantragte der Kläger die Nachbesetzung seines Vertragsarztsitzes mit vollem, hilfsweise hälftigem Versorgun...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Kranken- und Pflegeversicherungs Office. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen