Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Nachfolgezulassung. Befugnis des Berufungsausschusses zur Einholung eines Gutachtens zur Höhe des Verkehrswertes. Berücksichtigung des Substanzwertes und des Good-Will-Wertes. öffentliches Interesse an der Verhinderung überschreitender Kaufpreisforderungen. keine Verletzung des Eigentumsrechts oder des Grundsatzes der Privatautonomie. überprüfbarer Beurteilungsspielraum bei der Festsetzung des Verkehrswertes. Anwendbarkeit der Ertragswertmethode

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Zulassungsgremien sind im Nachbesetzungsverfahren trotz Einigung des abgebenden Arztes mit den Nachfolgebewerbern über den Kaufpreis der Praxis berechtigt, einen abweichenden Verkehrswert der Praxis festzusetzen, wenn der begründete Verdacht besteht, dass der vereinbarte Kaufpreis außerhalb einer plausiblen Größenordnung liegt (weil die durch Zulassungsbeschränkungen bewirkte Bereitschaft der Nachfolgebewerber zur Zahlung überhöhter Preise ausgenutzt wird).

2. Bei der Beurteilung des Verkehrswerts einer Praxis haben die Zulassungsgremien einen weiten Beurteilungsspielraum.

 

Orientierungssatz

1. Der Berufungsausschuss ist befugt, im Rahmen des Nachbesetzungsverfahrens für einen Vertragsarztsitz bzw einen Vertragspsychotherapeutensitz über den Verkehrswert der abzugebenden Praxis Ermittlungen anzustellen (vgl LSG Stuttgart vom 22.11.2007 - L 5 KA 4107/07 ER-B = GesR 2008, 154).

2. Verkehrswert iS von § 103 Abs 4 S 7 SGB 5 können lediglich der Substanzwert (der Sachanlagen) und der Wert des Good-Will (sog ideeller oder immaterieller Praxiswert) sein.

3. Setzt sich der Berufungsausschuss über eine Einigung über den Kaufpreis der Praxis hinweg, so verletzt er weder das Eigentumsrecht an der Praxis noch den Grundsatz der Privatautonomie. Beide Rechtspositionen finden durch § 103 Abs 4 S 7 SGB 5 und der darin enthaltenen Begrenzung der wirtschaftlichen Interessen des Praxisabgebers auf die Höhe des Verkehrswertes eine gesetzliche Schranke.

4. Die Anwendung der Ertragswertmethode für die Wertberechnung von freiberuflich betriebenen Praxen oder Kanzleien unter Abzug eines als angemessen erachteten Unternehmerlohns ist seit jeher umstritten (vgl BVerfG vom 16.10.1984 - 1 BvL 17/80 = BVerfGE 67, 348, BGH vom 24.10.1990 - XII ZR 101/89 = EzFamR BGB § 1376 Nr 7 und BFH vom 6.2.1991 - II R 87/88 = BFHE 163, 471). Gerade für die Berechnung des Verkehrswertes im Zusammenhang mit Zulassungsverfahren überzeugt das Vorgehen nach dieser Methode den Senat nicht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 14.12.2011; Aktenzeichen B 6 KA 39/10 R)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Rt. vom 25.11.2008 wird zurückgewiesen.

Auf die Klage wird Ziff. 1 des Beschlusses des Beklagten vom 19.12.2007/Bescheid vom 20.12.2007 hinsichtlich der Höhe des festgestellten Verkehrswerts aufgehoben; der Beklagte wird verpflichtet, über die Höhe des Verkehrswertes der Praxis der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 3/4 und der Beklagte und die Beigeladene Ziff. 4 gesamtschuldnerisch zu 1/4. Die übrigen Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 37.060,-- € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung des Verkehrswertes für ihre psychotherapeutische Praxis auf 2.940,- € durch den Beklagten.

Die am … 1952 geborene Klägerin war seit April 1999 als Psychologische Psychotherapeutin zur Teilnahme an der ambulanten vertragspsychotherapeutischen Versorgung gesetzlich Krankenversicherter zugelassen und besaß die Genehmigung zur Erbringung und Abrechnung tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Psychotherapie. Für den Planungsbereich T., in dem sich ihr Vertragsarztsitz befindet, wurde für die Fachgruppe der Psychologischen Psychotherapeuten wegen Überversorgung von ca. 590,5% (Stand Februar 2007) vom Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen eine Zulassungsbeschränkung angeordnet.

Die Klägerin ist aus persönlichen Gründen am 01.08.2007 nach N.-W. umgezogen. Sie hatte zuvor am 15.08.2006 ihren Verzicht auf die Zulassung als Psychologische Psychotherapeutin zum 31.12.2006 unter dem Vorbehalt erklärt, dass ein Praxisnachfolger ihre Zulassung erhält, und gleichzeitig die Ausschreibung ihres Kassenarztsitzes beantragt. Um den ausgeschriebenen Psychotherapeutensitz bewarben sich u. a. die Beigeladenen Ziff. 1 bis 3.

Die Klägerin schloss mit den Beigeladenen Ziff. 1 und 2 Praxisübergabeverträge für den Fall einer Zulassung ab und vereinbarte dabei (mündlich) einen Kaufpreis von 45.000,00 €. Mit der Beigeladenen Ziff. 3 kam ein Praxisübergabevertrag zunächst nicht zustande, weil diese den geforderten Verkaufspreis als überhöht ablehnte.

In seiner Sitzung am 30.01.2007 beschloss der Zulassungsausschuss, die Beigeladene Ziff. 3 zur Fortführung der Praxis der Klägerin auszuwählen, die Entscheidung über ihre Zulassung zu vertagen und die Ant...

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