Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Schwerbehindertenausweis. grundsätzliche Befristung. kein Verwaltungsakt. GdB-Feststellungsbescheid. Hinweis auf Möglichkeit einer späteren Aufhebung. Ankündigung einer Nachuntersuchung. keine Befristung des Bescheids

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Schwerbehindertenausweis ist auch bei unbefristeter Feststellung des GdB nach § 152 Abs 5 S 3 SGB IX grundsätzlich zu befristen.

2. Ein behinderter Mensch kann nicht beanspruchen, dass der GdB unabhängig von möglichen künftigen Veränderungen seines Gesundheitszustandes auf Dauer unveränderbar festgestellt und ein entsprechender Ausweis ausgestellt wird.

 

Orientierungssatz

1. Im Übrigen könnte auch die Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises nach der Rechtsprechung des BSG kein schützenswertes Vertrauen auf den Fortbestand der zugrundeliegenden Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft begründen (vgl BSG vom 11.08.2015 - B 9 SB 2/15 R = SozR 4-1300 § 48 Nr 31).

2. Die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises ist kein Verwaltungsakt iS des § 31 SGB 10 (so auch LSG Erfurt vom 14.10.2021 - L 5 SB 1259/19 = Breith 2022, 427; vgl auch BSG vom 11.8.2015 - B 9 SB 2/15 R aaO).

3. Der Hinweis auf die Möglichkeit einer späteren Aufhebung einer GdB-Festsetzung oder die Ankündigung einer Nachuntersuchung stellen keine einschränkenden Nebenbestimmungen in Form einer Befristung des GdB-Feststellungsbescheids dar.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 02.07.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob eine GdB-Feststellung bzw. ein daraufhin ausgestellter Schwerbehindertenausweis unbefristet zu gewähren sind.

Bei der 1960 geborenen Klägerin stellte der Beklagte durch Bescheid vom 30.07.2018 zunächst einen GdB von 30 seit Antragstellung am 03.04.2018 fest. Dies beruhte auf folgender versorgungsärztlicher Bewertung: Depression, seelische Störung, funktionelle Organbeschwerden (Einzel-GdB 30), Bronchialasthma, Allergie (Einzel-GdB 10), Herzklappenfehler (Einzel-GdB 10). Nach erfolglosem Widerspruch erhob die Klägerin am 09.04.2019 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (Az. S 13 SB 1425/19). Im Laufe des Verfahrens bewertete der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten die Behinderung mit einem Gesamt-GdB von 60 und berücksichtigte dabei neben den bisherigen Funktionsbeeinträchtigungen neu auch eine Erkrankung der rechten Brust (in Heilungsbewährung) mit einem Einzel-GdB von 50. Eine Nachprüfung sei im Januar 2026 vorgesehen.

Auf Vorschlag des Sozialgerichts schlossen die Beteiligten ausgehend von der Auffassung des versorgungsärztlichen Dienstes den folgenden Vergleich:

1. Der Grad der Behinderung beträgt 60 (i.W. sechzig) seit 01.06.2020.

2. Über die Tragung der außergerichtlichen Kosten entscheidet das Gericht durch Beschluss gemäß § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG.

3. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit für erledigt.

Mit Bescheid vom 08.03.2021 stellte der Beklagte in Ausführung des Vergleiches einen GdB von 60 seit dem 01.06.2020 fest. Er wies zugleich auf die zu beachtende Heilungsbewährung und eine mögliche Neufeststellung bei Stabilisierung des Gesundheitszustandes hin. Vor einer solchen Neufeststellung nach § 48 SGB X werde die Klägerin jedoch angehört. Der Ausweis als Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft sei beigefügt. Dieser Schwerbehindertenausweis ist mit dem Aufdruck „gültig bis 1/2026“ versehen.

Die Bevollmächtigte legte mit Schreiben vom 08.04.2021 Widerspruch gegen den Bescheid ein. Der GdB betrage nach dem Vergleich 60 seit dem 01.06.2020. Dem gerichtlichen Vergleichsvorschlag sei keine Befristung zu entnehmen. Für die Klägerin sei Voraussetzung für den Vergleich gewesen, dass sie den GdB von 60 unbefristet erhalte. Der Schwerbehindertenausweis sei daher unbefristet auszustellen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.04.2021 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Nach § 152 Abs. 5 SGB IX sei die Gültigkeit des Ausweises für die Dauer von längstens 5 Jahren vom Monat der Ausstellung an zu befristen. In den Fällen, in denen eine Neufeststellung wegen wesentlicher Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen, die für die Feststellung maßgebend gewesen sind, nicht zu erwarten sei, könne die Gültigkeitsdauer des Ausweises unbefristet ausgestellt werden. Nach versorgungsärztlicher Auffassung sei der Verlauf der Behinderung der Klägerin nachzuprüfen, weil bei ihr grundsätzlich Behandlungs- und Rehabilitationsmöglichkeiten bestünden. Bei der Erkrankung der rechten Brust (in Heilungsbewährung) sei eine Heilungsbewährungszeit abzuwarten. Es bestehe daher kein Anspruch auf Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises. Sie erleide durch die Befristung keinerlei Rechtsnachteile, weil eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen und damit die Abänderung der getroffenen Feststellungen nur mittels eines förmlichen Verwaltungsverfahrens n...

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