Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachversicherung. unversorgtes Ausscheiden eines satzungsmäßigen Mitglieds einer geistlichen Genossenschaft. 30-jährige Verjährungsfrist bei unterbliebener Nachversicherung. rechtsmissbräuchliche Erhebung der Verjährungseinrede

 

Orientierungssatz

1. Zum Begriff der geistlichen Genossenschaft iS des § 8 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB 6 (Anschluss an LSG Stuttgart vom 25.10.2019 - L 8 R 1633/18).

2. Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein unversorgtes Ausscheiden vorliegt, ist allein die tatsächliche Beendigung der nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Tätigkeit (vgl LSG Stuttgart vom 21.6.2016 - L 11 R 2289/15).

3. Zur Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist nach § 25 Abs 1 S 2 SGB 4.

4. Zur rechtsmissbräuchlichen Erhebung der Verjährungseinrede (vgl BSG vom 27.6.2012 - B 5 R 88/11 R = BSGE 111, 107 = SozR 4-2600 § 233 Nr 2).

5. Bei der Prüfung, ob die Verjährungseinrede nach § 25 SGB 4 rechtsmissbräuchlich erhoben worden ist, muss dahingehend differenziert werden, ob der Beitragsschuldner eine Behörde oder eine juristische Person des Privatrechts ist, von der nicht dieselben juristischen Kenntnisse erwartet werden können wie von einem öffentlich-rechtlichen Träger.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 03.02.2022; Aktenzeichen B 5 R 34/21 R)

BSG (Beschluss vom 05.01.2022; Aktenzeichen B 5 R 34/21 R)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 20. April 2018 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 22.561,06 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Streitig ist die Entrichtung von Nachversicherungsbeiträgen für den Zeitraum vom 01.04.1973 bis 31.10.1982.

Der Kläger ist eine evangelische Freikirche pfingstlicher Prägung mit dem Ziel eines Aufbaus einer weltweiten Gemeinde B. Er ist als eingetragener Verein organisiert und unterhält mehrere sogenannte Glaubenshäuser, die als Gemeinderäume und der Lebensgemeinschaft dienen.

Der 1949 geborene Beigeladene war ab 1965 Mitglied in der Gemeinschaft und lebte in mehreren Glaubenshäusern, zuletzt im Haus A. zusammen mit etwa 240 bis 280 anderen Gläubigen. Zuletzt war er bis 1982 in der zugehörigen Autowerkstatt tätig, ohne dafür bezahlt zu werden. Als Gegenleistung wurden ihm Kost und Logis im Glaubenshaus A. bereitgestellt. Einer anderweitigen beruflichen Tätigkeit ging er in dieser Zeit nicht nach. Vom 01.01.1972 bis zum 31.03.1973 absolvierte der Beigeladene seinen Wehrdienst und kehrte anschließend in die Gemeinschaft zurück.

Nach dem Ausscheiden aus der Gemeinschaft ging der Beigeladene ab dem 01.11.1982 einer versicherungspflichtigen Beschäftigung außerhalb der Gemeinschaft nach. Mit Schreiben vom 15.03.2013 beantragte er bei der Beklagten die Durchführung einer Nachversicherung gemäß § 8 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Er habe von September 1965 bis Oktober 1982 bei dem Kläger gearbeitet. Er habe deshalb bereits früher bei einer Beratungsstelle der Beklagten vorgesprochen und einen Antrag auf Kontenklärung gestellt. Dort sei ihm die Auskunft erteilt worden, die Nachversicherung sei nicht Aufgabe der Rentenversicherung, sondern er müsse sich an den Kläger wenden. Dies sei unzutreffend, da die Nachversicherung Aufgabe der Beklagten sei.

Mit Schreiben vom 12.06.2013 forderte die Beklagte den Kläger daraufhin zur Durchführung der Nachversicherung auf.

Der Kläger erwiderte darauf, ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Beigeladenen und ihm habe zu keiner Zeit bestanden. Der Beigeladene habe als Bewohner in verschiedenen Missionshäusern gelebt, und als Bewohner eines Missionshauses habe ihm die selbstverständliche und freiwillig übernommene Aufgabe oblegen, auch den Haushalt der Glaubensgemeinschaft in Ordnung zu halten. Die anfallenden Haushaltstätigkeiten seien von allen Bewohnern der Missionshäuser untereinander aufgeteilt worden, ohne dass eine Kontrolle erfolgt oder Weisungen erteilt worden seien. Ein Entgelt für diese Tätigkeiten habe der Beigeladene nicht erhalten. Versicherungsfreiheit gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI habe nicht bestanden. Bis zum 31.12.1991 sei eine Versicherungsfreiheit nur auf Antrag der Gemeinschaft gewährt worden, doch sei ein solcher Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 1231 Abs. 3 Reichsversicherungsordnung (RVO), § 8 Abs. 3 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) vom Kläger nie gestellt worden. Eine Gewährleistungsentscheidung liege erst für den Zeitraum ab dem 01.01.1992 vor (Bescheid vom 10.07.1995 des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung Baden-Württemberg). Der Beigeladene habe aber bereits seit dem 31.10.1982 nicht mehr in einem der Missionshäuser gelebt. Vorsorglich werde die Einrede der Verjährung erhoben.

Mit Bescheid vom 29.10.2013 machte die Beklagte gegenüber dem Kläger zunächst nicht genauer bezifferte Nachversicherungsbeiträ...

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