Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. Unfallkausalität. wesentliche Wirkursache. Nachweis. Wahrscheinlichkeit. Ablenkung. WhatsApp-Lesen während der Autofahrt. zeitlicher Ablauf. polizeilicher Unfallbericht. dokumentierte Kommunikation des Chat-Verlaufs

 

Orientierungssatz

Kann aufgrund des zeitlichen Ablaufs der Unfallfahrt die Vermutung einer Ablenkung durch eine Smartphon-Nutzung während der Fahrt nicht als wesentliche (Mit-)Unfallwirkursache im Sinne der Wahrscheinlich nachgewiesen werden, steht der Heimweg gem § 8 Abs 2 Nr 1 SGB 7 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 20.06.2018 abgeändert und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 07.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2017 verurteilt, dem Kläger ab 25.01.2017 eine Halbwaisenrente zu gewährten.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 20.06.2018 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines Wegeunfalls des bei der Beklagten versicherten und am 25.01.2017 verstorbenen Vaters des Klägers K. S. (nachfolgend V.). Für den am 08.10.2016 geborenen Kläger übt das Jugendamt beim Landratsamt Schwäbisch-Hall die Amtsvormundschaft aus.

Der 1997 geborene V. war bei der Firma k.-p GmbH in S. als Auszubildender beschäftigt. Am 25.01.2017 verließ er nach Arbeitsende gegen 15.05 Uhr die Firma, um mit seinem Personenkraftwagen (Pkw) zu seiner in R. wohnenden Freundin S. M. G. (nachfolgend M.), der Mutter des Klägers, zu fahren. Auf der Landesstraße L 1066 zwischen W. und M. kam V. auf einer langen Geraden links von der Fahrbahn ab und stieß in einem abfallenden schneebedeckten Straßengraben gegen einen ca. 30 cm dicken Baum. Der Pkw drehte sich aufgrund dessen und kam nach weiteren circa 15 m entgegen seiner eigentlichen Fahrrichtung an einem Gebüsch zum Stehen. Bei diesem Unfall erlitt V. eine tödliche Fraktur der Halswirbelsäule; die mit einem Rettungshubschrauber eingeflogene Notärztin konnte nur noch den Tod des V. feststellen.

Ausweislich des Verkehrsunfallberichts des Polizeipräsidiums A. vom 25.01.2017 ging die erste Unfallmeldung bei der Polizei um 15.33 Uhr ein. Die erste Streife sei um 15.49 Uhr am Unfallort eingetroffen, habe auf der Fahroberfläche keine Spurenzeichnung festgestellt werden können, obwohl die Fahrbahnfläche schneefrei und trocken gewesen sei. Der Körper des V. sei zum Zeitpunkt des Eintreffens der Notärztin bereits „kalt“ gewesen. Durch Rettungskräfte, die als erste am Unfallort gewesen seien und V. aus dem Pkw geborgen hätten, sei festgestellt worden, dass im Auto noch ziemlich laut Musik gelaufen sei und das Handy des V. auf dessen Schoß gelegen habe. Hinweise auf eine Drittbeteiligung hätte es nicht gegeben; Zeugen, die den Unfall beobachtet haben, hätten nicht ermittelt werden können. Die wenigen feststellbaren und ermittelten Spuren hätten darauf hingedeutet, dass das Fahrzeug langsam und stetig von der Fahrbahn abgekommen ist, ohne jegliche Besonderheit wie eine Ausweich- und/oder Schleuderbewegung.

Im Schlussvermerk des Verkehrsunfallberichts führte Polizeiobermeister F. weiter aus, im Smartphone des V. habe festgestellt werden können, dass dieser seiner Freundin eine WhatsApp geschrieben habe, die um 15.18 Uhr gesendet und auch um 15.18 Uhr gelesen worden sei. Dem Chatverlauf sei zu entnehmen gewesen, dass die Freundin zuvor um 15.17 Uhr zwei Nachrichten an V. geschickt hatte. Es habe aber nicht nachverfolgt werden können, ob und gegebenenfalls wann V. diese gelesen habe. Aufgrund der Zeitangaben werde davon ausgegangen, dass der Kontakt per WhatsApp während der Fahrt stattgefunden habe. Diese Ablenkung könne auch den „atypischen Unfallhergang“ erklären. Letztlich habe über einen Routenplaner in Erfahrung gebracht werden können, dass V. von seiner Arbeitsstelle bis zum Unfallort ca. 17 Minuten benötigt habe. Diese Zeiten stimmten somit mit dem Arbeitsende (15.05 Uhr) und dem ungefähren Unfallzeitpunkt (ca. 15.25 Uhr) überein.

In einem gegenüber der Staatsanwaltschaft Heilbronn erstatteten Gutachten der DEKRA Automobil GmbH (Außenstelle S.-H.) vom 10.02.2017 wurde zusammenfassend ausgeführt, dass bei der technischen Untersuchung des Pkw des V. keine unfallursächlichen Mängel hätten festgestellt werden können.

Mit Bescheid vom 07.07.2017 lehnte die Beklagte gegenüber dem Kläger die Anerkennung des Ereignisses vom 25.01.2017 als Arbeitsunfall sowie die Zahlung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Zur Begründung führte die Beklagte an, V. habe zwar grundsätzlich auf dem Weg von der Arbeit zu seiner Freundin unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden, zum Zeitpunkt des Unfalls sei er aber durch sein Smartphone abgelenkt gewesen. Es sei nachgewiesen, dass er während der Fahrt in s...

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