Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Leistungsvereinbarung nach § 75 Abs 3 SGB 12. Eingliederungshilfe. Ermessen des Sozialhilfeträgers. Vertragsbindung. Betreuung von behinderten Menschen mit schwerem herausfordernden Verhalten. Ablehnung eines Leistungsangebots. Zuständigkeit der Schiedsstelle für Streitigkeiten über Vergütungsvereinbarung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zum Ermessen des Sozialhilfeträgers bei Abschluss einer öffentlich-rechtlichen Leistungsvereinbarung nach § 75 Abs 3 SGB 12.

2. Zum Nachranggrundsatz im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen.

3. Zur Vertragsbindung der Träger der Sozialhilfe und der Einrichtungsträger im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen.

4. Zur Betreuung von behinderten Menschen mit schwerem herausforderndem Verhalten.

5. Der Sozialhilfeträger kann ein Leistungsangebot eines Einrichtungsträgers nicht unter Hinweis auf fehlenden Bedarf oder unter Verweis auf seiner Auffassung nach bessere oder geeignetere Formen der Betreuung ablehnen.

 

Orientierungssatz

Die Schiedsstelle nach § 80 SGB 12 hat ausschließlich über Streitigkeiten um Vergütungsvereinbarungen nach § 75 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 12 zu entscheiden. Die jeweils zugrunde liegende Leistungsvereinbarung (§ 75 Abs 3 S 1 Nr 1 SGB 12) muss vor Anrufung der Schiedsstelle vereinbart und notfalls vor Gericht erstritten werden.

 

Tenor

1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, mit der Antragstellerin vorläufig für die Dauer von maximal einem Jahr ab dem 1. Februar 2006 auf der Grundlage des Angebots vom 24. Juni 2005 eine Leistungsvereinbarung im Sinne des § 75 Abs. 3 Ziffer 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) über die Erbringung von Vollstationären Hilfen (mit integriertem tagesstrukturierendem Angebot) in Therapeutischen Wohngruppen für Menschen mit einer geistigen und/oder mehrfachen Behinderung und zusätzlichen massiven Verhaltensauffälligkeiten abzuschließen.

Die Beteiligten haben dabei davon auszugehen, dass die maximale Verweildauer 24 Monate beträgt und dass auch nicht erwachsene Personen aufgenommen werden können.

Im Übrigen wird die Beschwerde hinsichtlich des Antrages a) zurückgewiesen.

2. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, mit der Antragstellerin vorläufig für die Dauer von maximal einem Jahr ab dem 1. Februar 2006 auf der Grundlage des Angebots vom 24. Juni 2005 eine Leistungsvereinbarung im Sinne des § 75 Abs. 3 Ziffer 1 SGB XII über die Erbringung von Vollstationären Hilfen (mit integriertem tagesstrukturierendem Angebot) für Menschen mit einer geistigen und/oder mehrfachen Behinderung und zusätzlichen auf nicht absehbare Zeit bestehenden massiven Verhaltensauffälligkeiten abzuschließen.

Der Antragsgegner hat dabei davon auszugehen, dass es für den von dem Leistungsangebot erfassten Personenkreis einen eigenen Leistungstyp im Sinne des § 3 des Rahmenvertrages nach § 79 Abs. 1 SGB XII geben muss und dass der Betreuungsbedarf des im Angebot beschriebenen zu betreuenden Personenkreises nicht ausreichend vom Leistungstyp I.2.1 der Anlage zum Rahmenvertrag erfasst wird. Nicht gebunden ist der Antragsgegner an den im Angebot genannten Personalschlüssel. Er muss aber akzeptieren, dass ein höherer Personalbedarf besteht als im Durchschnitt beim Leistungstyp I.2.1 mit der Hilfebedarfsgruppe 5.

Im Übrigen wird die Beschwerde hinsichtlich des Antrages b) zurückgewiesen.

3. Die Antragstellerin trägt ein Drittel der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Der Antragsgegner trägt zwei Drittel der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der Gerichtskosten.

Im Übrigen behalten die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten auf sich.

Der Streitwert wird auf … € festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners zum Abschluss von zwei Leistungsvereinbarungen im Sinne des § 75 Abs. 3 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) auf der Grundlage von hierzu gemachten Leistungsangeboten.

1.) Die Antragstellerin ist als eingetragener Verein organisiert. Sie ist Mitglied des Diakonischen Werkes der evangelischen Landeskirche in W. Als Einrichtungsträger der Behindertenhilfe betreut sie in verschiedenen Einrichtungen über 4500 Menschen mit Behinderungen. Dazu gehört auch die stationäre Betreuung zahlreicher Menschen mit geistiger und/oder mehrfacher Behinderung und unter diesen auch eines Personenkreises von Menschen, die zusätzlich schwere Verhaltensauffälligkeiten (z.B. im Sinne der Auto- oder Fremdaggression) zeigen. Dies führte und führt im Rahmen ihrer Betreuung in unregelmäßigen Zeitabständen zur Notwendigkeit von Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken oder medikamentöser Behandlungen (Psychopharmaka, Sedativa). Die Antragstellerin hat Anfang der Neunzigerjahre begonnen, Menschen aus diesem Personenkreis in intensiv betreute Wohngruppen zusammen zu fassen. Dabei sah ihr Konzept schon bald eine Unterscheidung zwischen zeitlich befristeter Betreuung in Intensivgruppen mit dem Zie...

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