Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitwirkungsrechte der Schwerbehindertenvertretung im Verfahren auf Gleichstellung eines Arbeitnehmers mit einem schwerbehinderten Menschen

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Zuständigkeitsbereich der Schwerbehindertenvertretung für ihre Beteiligung gem. § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX ist erst eröffnet, wenn die Gleichstellung eines Arbeitnehmers mit einem behinderten Menschen festgestellt ist. Im Verfahren der Gleichstellung selbst bestehen keine Mitwirkungsrechte.

 

Normenkette

SGB IX § 178 Abs. 2 S. 1, § 151 Abs. 2 S. 2; RL 2000/78/EG Art. 5; UN-BRK Art. 27 Abs. 1 S. 2i; SGB IX § 152

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 17.10.2017; Aktenzeichen 16 BV 16895/15)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 22.01.2020; Aktenzeichen 7 ABR 18/18)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 17.10.2017 - 16 BV 16895/15 - abgeändert. Die Anträge der Beteiligten zu 1) werden zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird für die Beteiligte zu 1) zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung zur vorsorglichen Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vor der Umsetzung eines behinderten Arbeitnehmers, der einen noch nicht beschiedenen Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen gestellt und den Arbeitgeber über die Antragstellung informiert hat.

Der Beteiligte zu 2) (nachfolgend: Jobcenter) ist eine gemeinsame Einrichtung der kommunalen Träger (Bezirksamt und Agentur für Arbeit) zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende gemäß § 44 b Abs. 1 SGB II (Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II)).

Die Beteiligte zu 1) (nachfolgend: Schwerbehindertenvertretung) ist die bei dem Jobcenter gemäß § 44 b SGB II i.V.m. § 44 h Abs. 1 SGB II gebildete Schwerbehindertenvertretung.

Das Jobcenter beschäftigt eine Arbeitnehmerin, die als behinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 30 anerkannt war, am 04.02.2015 einen Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen bei der Bundesagentur für Arbeit gestellt und den Geschäftsführer des Jobcenters über ihre Antragstellung informiert hat. Das Jobcenter setzte diese Arbeitnehmerinnen am 09.11.2015 für die Dauer von 6 Monaten in ein anderes Team um und wies ihr in diesem Zusammenhang einen anderen Arbeitsplatz im selben Dienstgebäude zu, ohne die Schwerbehindertenvertretung vor der Umsetzung zu unterrichten oder anzuhören und ohne eine solche Beteiligung bis zum Ende der Umsetzung nachzuholen. Die Bundesagentur für Arbeit stellte die Arbeitnehmerin mit Bescheid vom 21.04.2016 gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX (Sozialgesetzbuch Neuntes Buch) rückwirkend zum 04.02.2015 einem schwerbehinderten Menschen gleich.

Auf das Verlangen der Schwerbehindertenvertretung mit Schreiben vom 17.11.2015 gegenüber dem Jobcenter, sie bei zukünftigen Umsetzungen von Arbeitnehmern, die ihre Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen beantragt hätten, gemäß § 95 Abs. 2 S. 1 SGB IX (seit dem 01.01.2018: § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX) zu beteiligen, teilte das Jobcenter mit Schreiben vom 20.11.2015 mit, eine solche Beteiligung werde nicht erfolgen, da vor einer Entscheidung über den Gleichstellungsantrag kein Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung bestehe. Mit dem vorliegenden Verfahren verfolgt die Schwerbehindertenvertretung ihr Begehren auf (vorsorgliche) Beteiligung in der vorgenannten Konstellation weiter.

Sie hat die Auffassung vertreten, ihr Beteiligungsrecht bei der Umsetzung behinderter Menschen, die mit Kenntnis des Arbeitgebers einen Gleichstellungsantrag gestellt hätten, ergebe sich unmittelbar aus § 95 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 68 Abs. 2 SGB IX (seit dem 01.01.2018: § 178 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 151 Abs. 2 S. 2 SGB IX), da die Gleichstellung zwar erst durch Feststellung der Bundesagentur für Arbeit erfolge, jedoch mit dem Tag des Eingangs des Antrags rückwirkend wirksam werde. Nach dem Sinn und Zweck und nach dem Schutzgedanken der Regelung über die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung müsse § 95 Abs. 2 S. 1 SGB IX a. F. zutreffend dahingehend ausgelegt werden, dass der rückwirkende Schutz der gleichgestellten Menschen durch eine vorsorgliche Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung gewährleistet werde. Anknüpfungspunkt für das Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung seien die tatsächliche Schwerbehinderung oder die festgestellte Gleichstellung mit Rückwirkung ab Antragstellung, sofern der Antragsteller mit der Information des Arbeitgebers seinen Wunsch nach Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung erklärt habe. Die Regelung des § 95 Abs. 2 S. 1 SGB IX a. F. sei auch - mangels vollständiger Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (nachfolgend: Richtlinie 2000/78/EG) in das nationale deutsche Recht - europarechts- und völkerrechtskonform entsprechend Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG und entsprec...

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