Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Aufsichtsmaßnahme gegen eine Krankenkasse. Bewertungsspielraum des Versicherungsträgers. besondere Versorgung. Selektivvertrag. Vereinbarung zur Erbringung und Abrechnung von ambulanten Operationen. Leistungen außerhalb des EBM-Ä 2008 bzw des AOP-Kataloges. Verstoß gegen § 87 Abs 1 und § 115b Abs 2 SGB 5

 

Orientierungssatz

1. Der Grundsatz maßvoller Ausübung der Rechtsaufsicht gebietet es, der beaufsichtigten Behörde einen gewissen Bewertungsspielraum zu belassen. Bewegt sich das Handeln oder Unterlassen des Versicherungsträgers im Bereich des rechtlich noch Vertretbaren, sind förmliche Aufsichtsmaßnahmen, die dieses beanstanden, rechtswidrig. Der Bewertungsspielraum des Beaufsichtigten endet allerdings, wenn er gegen allgemein anerkannte Bewertungsmaßstäbe verstoßen hat, die diesen Spielraum einengen oder ausschließen. Erst eine entsprechende Grenzüberschreitung stellt eine Rechtsverletzung im Sinne des § 89 SGB 4 dar (vgl BSG vom 22.3.2005 - B 1 A 1/03 R = BSGE 94, 221 = SozR 4-2400 § 89 Nr 3, RdNr 33).

2. Wird in einem Vertrag nach § 140a SGB 5 vereinbart, dass die teilnehmenden Fachärzte und Krankenhäuser Operationen ambulant erbringen und abrechnen dürfen, obwohl diese nicht im Leistungskatalog des Kapitels 31.2 in Verbindung mit Anhang 2 des EBM-Ä 2008 und/oder im AOP-Katalog enthalten sind, stellt dies einen Verstoß sowohl gegen § 87 Abs 1 SGB 5 als auch gegen § 115b Abs 2 SGB 5 dar.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 27.01.2021; Aktenzeichen B 6 A 1/20 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 50.000,- € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines aufsichtsrechtlichen Verpflichtungsbescheids.

Die Klägerin ist eine bundesweite Krankenkasse im Sinne des § 4 Sozialgesetzbuch, 5. Band, Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in der Kassenart einer Betriebskrankenkasse (§ 4 Abs. 2 Alt. 2 SGB V); die Beklagte ist die Trägerin ihrer Aufsichtsbehörde (§ 90 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Band 4, Gemeinsame Vorschriften der Sozialversicherung, SGB IV), des Bundesversicherungsamts (BVA).

Auf Nachfrage des BVA hatte die Klägerin den Abschluss eines “Vertrages über Integrierte Versorgung nach §§ 140a ff. SGB V“ mit der Fa. C. GmbH & Co. KG angezeigt. Der Vertrag war als Selektivvertrag über eine besondere ambulante ärztliche Leistung nach § 140a SGВ V angelegt. Da die damalige Version erheblichen aufsichtsrechtlichen Bedenken begegnete, kündigte die Klägerin diesen zum 31. Dezember 2016.

Am 16. März 2017 legte die Klägerin dem BVA den Entwurf einer neuen Vertragsfassung eines „Vertrags zur Besonderen Versorgung nach § 140a SGB V über die Durchführung von operativen Eingriffen und deren Qualitätssicherung“ mit der Fa. C. GmbH & Co. KG nebst Anlagen zunächst zur Vorabprüfung vor. Die Fa. C. GmbH & Co. KG (nachfolgend: C.) fungiert als Managementgesellschaft und ist für die Konzeptabwicklung zuständig; sie erstellt interprofessionelle „Patientenpfade“ in Zusammenarbeit mit allen teilnehmenden Leistungserbringern in Abstimmung mit der Klägerin (§ 3).

Als Vertragsziele wurden vereinbart (§ 1):

Die Vernetzung und Verzahnung von haus- und fachärztlichen Leistungen, Krankenhaus, Heilmittelversorgung und Rehabilitation,

Die Vermeidung von Doppeluntersuchungen und -versorgungen,

Die Verkürzung von Wartezeiten und Behandlungsverzögerung durch kurzfristige OP-Terminvergabe nach Indikationsstellung und zeitlich genau definierte Behandlungsabläufe,

Die Vermeidung von Behandlungsabbrüchen.

Ein Vertragsschwerpunkt liegt im Bereich operativer Eingriffe; hierzu regelt § 2:

(1) Operativ tätige Leistungserbringer und C. verpflichten sich dazu, die Eingriffe ausschließlich nach dem Leistungskatalog dieses Vertrages in Einrichtungen auszuführen, die folgende Voraussetzungen erfüllen:

a) Bei ambulanten Eingriffen:

Es handelt sich um eine Einrichtung mit einer vertragsärztlichen Zulassung.

b)Bei Eingriffen mit einer Verweildauer von bis zu 3 Nächten/4 Tagen:

Es handelt sich um eine Einrichtung mit einer Zulassung nach § 30 GewO, die ausschließlich von Vertragsärzten als Praxiskliniken im Sinne der §§ 115 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit 140 a Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 betrieben werden.

c) Bei stationären Eingriffen über 3 Nächte/4 Tage:

Es handelt sich um eine Einrichtung mit Zulassung nach § 108 SGB V.

(2) Werden Eingriffe entgegen den Regelungen des Abs. 1 ausgeführt, besteht kein Vergütungsanspruch im Rahmen dieses Vertrages gegenüber der BAHN-BKK, da diese explizit vom Vertrag ausgeschlossen sind. Bei bereits erfolgten Vergütungen hat die BAHN-BKK ein Rückerstattungsrecht.

Nach § 6 Abs. 1 des Vertrages sind alle gemäß § 95 SGB V zugelassenen Fachärzte teilnahmeberechtigt, soweit diese im Rahmen ihrer vertragsärztlichen Zulassung zur Erbringung der im vereinbarten Leistungskatalog aufgeführten Operationen ermächtigt sind. Für Krankenhäuser gilt gemäß § 8 Abs. 1: Teilnahmeberechtigt...

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