Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Streit zwischen Krankenkasse und Kassenärztlicher Vereinigung wegen zu Unrecht gezahlter Gesamtvergütung. grds keine gerichtliche Überprüfung der Wirksamkeit der gesamtvertraglichen Vereinbarung. Bindungswirkung. Nichtigkeit. Verstoß gegen Typenvorgaben und Anforderungen des § 85 Abs 2 SGB 5. Bemessung der Gesamtvergütung auf der Grundlage von Einzelleistungen. Regelung zur Vermeidung der Überschreitung des Ausgabenvolumens. Grundsatz der Beitragssatzstabilität. Überprüfung der Gesamtvergütungsvereinbarungen durch Aufsichtsbehörde

 

Orientierungssatz

1. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Krankenkasse gegen eine Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) wegen zu Unrecht gezahlter Gesamtvergütung von vornherein keinen Erstattungsanspruch geltend machen kann. § 85 Abs 1 SGB 5 bewirkt unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen der einzelnen Krankenkasse und der KÄV, weil nicht der Landesverband, der den Gesamtvertrag geschlossen hat, sondern die einzelne Krankenkasse zur Entrichtung der vereinbarten Gesamtvergütung für ihre Mitglieder verpflichtet ist. Wenn damit das Gesetz selbst direkte Beziehungen zwischen den einzelnen Krankenkassen und der KÄV konstituiert, sind Konstellationen denkbar, in denen Zahlungen zwischen den Institutionen Krankenkasse und KÄV auch dann rückabgewickelt werden müssen, wenn beide nicht unmittelbar durch Vertragsbeziehungen miteinander verbunden sind, sondern das Vertragsverhältnis zwischen dem Landesverband und der KÄV gestaltet wird (vgl BSG vom 28.9.2005 - B 6 KA 71/04 R = BSGE 95, 141 = SozR 4-2500 § 83 Nr 2 RdNr 30).

2. Grundsätzlich kann die einzelne Krankenkasse im Rechtsstreit mit der KÄV keine gerichtliche Überprüfung der Wirksamkeit der gesamtvertraglichen Vereinbarung erreichen, nachdem dem zuständigen Landesverband der Krankenkassen mit der Übertragung der Abschlusskompetenz die Rechtsmacht zugewiesen worden ist, die beteiligten Krankenkassen zur Zahlung der auf sie entfallenden Gesamtvergütung an die KÄV zu verpflichten (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl BSG vom 5.11.2008 - B 6 Ka 55/07 R = SozR 4-2500 § 83 Nr 5 RdNr 13; BSG vom 17.10.2007 - B 6 KA 34/06 R = SozR 4-2500 § 83 Nr 4 RdNr 18; BSG vom 28.9.2005 - B 6 KA 71/04 R aaO RdNr 17).

3. Die BSG-Rechtsprechung hat bislang offen gelassen, ob eine Krankenkasse generell gehindert ist, gegenüber einer KÄV, an die sie gemäß § 85 Abs 1 S 1 SGB 5 eine Gesamtvergütung zu entrichten hat, die Nichtigkeit des maßgeblichen Gesamtvertrages geltend zu machen und entsprechende Ansprüche verneint, wie die Voraussetzungen der Nichtigkeit nicht gegeben waren (vgl BSG vom 5.11.2008 - B 6 Ka 55/07 R aaO RdNr 13; BSG vom 17.10.2007 - B 6 KA 34/06 R aaO RdNr 19; BSG vom 28.9.2005 - B 6 KA 71/04 R aaO RdNr 24).

4. Offen gelassen hat die BSG-Rechtsprechung insoweit, ob die (Teil-)Nichtigkeit eines Gesamtvertrages anzunehmen wäre, der sich völlig von den Typenvorgaben und Anforderungen des § 85 Abs 2 SGB 5 löst und etwa entgegen § 85 Abs 2 S 3 SGB 5 unterschiedliche Vergütungen für die Versorgung verschiedener Versichertengruppen vorschreibt. Jedenfalls handelt es sich bei § 85 Abs 4 SGB 5 und § 85 Abs 2 S 2 SGB 5 nicht um Verbotsgesetze im Sinne des 134 BGB. Eine ausfüllungsbedürftige Norm, die gerade die Grundlage für Verhandlungen der Vertragspartner darstellt, kann ihrerseits nicht Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB sein (vgl BSG vom 28.9.2005 - B 6 KA 71/04 R aaO RdNr 25).

5. Es ist grundsätzlich zulässig, dass die Vertragspartner die Gesamtvergütung in der Weise festlegen, dass sie zum einen in Anknüpfung an die Gesamtvergütungsvereinbarung des Vorjahres Kopfpauschalen vorsehen. Zum anderen können außerhalb dieser Pauschalen weitere Leistungsvergütungen auf der Grundlage von Einzelleistungen vereinbart werden. Gemäß § 85 Abs 2 S 7 SGB 5 ist bei einer teilweisen oder vollständigen Bemessung der Gesamtvergütung auf der Grundlage von Einzelleistungen ein Gesamtausgabenvolumen zu errechnen und eine Regelung zur Vermeidung von dessen Überschreitung zu treffen. § 85 Abs 2 S 7 SGB 5 ist dahin auszulegen, dass das aus den Einzelleistungen voraussichtlich entstehende Ausgabenvolumen betragsmäßig zu errechnen und anzugeben ist oder das Gesamtausgabenvolumen, das auch die weiteren Teile der Gesamtvergütungsfestlegung wie Kopfpauschale usw hinzurechnet, insgesamt zu errechnen und anzugeben ist. Zugleich ist eine Regelung zur Vermeidung der Überschreitung des Ausgabenvolumens zu treffen (vgl BSG vom 23.6.2010 - B 6 KA 4/09 R = SozR 4-2500 § 85 Nr 56 RdNr 25, 26ff).

6. Das BSG misst zwar der Regelung des § 85 Abs 2 S 7 SGB 5 als Ausfluss des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität einen vergleichbar hohen Rang wie der Beitragssatzstabilität zu. Nachdem jedoch ein Verstoß gegen die Beitragssatzstabilität keinen qualifizierten Verstoß darstellt, der zur Nichtigkeit einer gesamtvertraglichen Vereinbarung führen kann, muss dies entsprechend für den vergleichbar bedeutsamen Verstoß gegen die Rege...

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