Leitsatz (amtlich)

Ein Bescheid, durch den eine Dauerrente innerhalb der Schutzfrist des RVO § 609 S 2 aF (= RVO § 622 Abs 2 S 2 nF) herabgesetzt oder entzogen wird, ist - unbeschadet der Rechtsprechung des RVA (Entscheidung des Erweiterten Senats Nr 2490 in AN 1911, 477) - rechtswidrig (vergleiche BSG 1960-02-23 10 RV 667/58 = BSGE 12, 16 und SozR Nr 6 zu § 62 BVG).

 

Normenkette

RVO § 609 S. 2 Fassung: 1924-12-15, § 622 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 30. Juni 1964 und das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 19. Juni 1062 sowie der Bescheid der Beklagten vom 2. September 1960 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v. H. über den 31. Oktober 1960 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin wurde am 22. September 1956 von einem Arbeitsunfall betroffen. Sie erlitt eine Weichteilverletzung am rechten Oberschenkel. Die Landesversicherungsanstalt (LVA) für das Saarland - Abteilung Allgemeine Arbeitsunfallversicherung - gewährte ihr durch Bescheid vom 12. April 1958 eine vorläufige Rente, und zwar im Anschluß an die Vollrente vom 21. November 1957 an eine Teilrente von 40 v. H. der Vollrente. Diese Rente entzog die LVA der Klägerin durch Bescheid vom 4. November 1958 mit Ablauf des Monats Dezember 1958.

Auf die hiergegen eingelegte Berufung (alten saarländischen Rechtes) holte das Oberversicherungsamt (OVA) für das Saarland vom Städtischen Krankenhaus S ein ärztliches Gutachten über die im Zeitpunkt der ärztlichen Untersuchung noch bestehenden Unfallfolgen und deren Auswirkung auf die Erwerbsfähigkeit der Klägerin ein. Dieses Gutachten wurde am 27. Januar 1959 von den Ärzten dieses Krankenhauses mit dem Ergebnis erstattet, daß die Unfallfolgen nur noch in einer leichten Beugehemmung im rechten Kniegelenk bestünden, durch welche die Erwerbsfähigkeit der Klägerin noch um 20 v. H. beeinträchtigt werde. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) für das Saarland vom 16. Februar 1960 wurde der Sitzungsarzt Dr. R gehört, der ebenfalls wegen der Teilversteifung des rechten Kniegelenks die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 20 v. H. schätzte.

Daraufhin hob das SG durch Urteil vom 16. Februar 1960 den Bescheid der LVA vom 4. November 1958 auf und verurteilte diese, der Klägerin vom 1. Januar 1959 an eine Dauerrente nach einer MdE von 20 v. H. zu gewähren. Die Klägerin hat dieses Urteil nicht angefochten.

Die inzwischen kraft Gesetzes an die Stelle der LVA als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung getretene Süddeutsche Holz-Berufsgenossenschaft hat nach weiterer Überprüfung der Unfallfolgen durch Bescheid vom 2. September 1960 der Klägerin die Dauerrente von 20 v. H. mit Ablauf des Monats Oktober 1960 entzogen, weil Auf Grund neuerlicher ärztlicher Begutachtung anzunehmen sei, daß sich die für die Feststellung der bisherigen Rente maßgebend gewesenen Verhältnisse wesentlich gebessert hätten.

Mit der Klage hiergegen hat die Klägerin geltend gemacht, daß die Herabsetzung ihrer Rente schon deshalb noch nicht hätte vorgenommen werden dürfen, weil der Neufeststellung der Dauerrente das von der Rechtskraft des Urteils des SG vom 16. Februar 1960 an laufende Schutzjahr des § 609 der Reichsversicherungsordnung (RVO) entgegengestanden habe. Das SG hat durch Urteil vom 19. Juni 1962 die Klage auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 2. September 1960 abgewiesen. Es ist der Ansicht, daß der Nachweis einer wesentlichen Besserung im Unfallfolgezustand der Klägerin erbracht und die Schutzfrist des § 609 RVO im Zeitpunkt des Erlasses des Entziehungsbescheids vom 2. September 1960 bereits abgelaufen gewesen sei; denn diese Frist habe schon am 1. Januar 1959 begonnen, dem Tage, von dem an die Klägerin die Dauerrente von 20 v. H. bezogen habe.

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihren Einwand wiederholt, das die Entziehung der Dauerrente hindernde Schutzjahr habe erst am 15. April 1960, dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils des SG vom 16. Februar 1960, begonnen. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Dauerrente in Höhe von 20 v. H. der Vollrente an sie weiterzugewähren. Die Beklagte hat diesem Antrag mit dem Hinweis darauf widersprochen, daß die Klägerin die Dauerrente 22 Monate lang bezogen habe. Durch Urteil vom 30. Juni 1964 hat das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung u. a. ausgeführt: Obwohl § 622 RVO idF des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 (RVO nF) auf den vorliegenden Streitfall kraft Rückwirkung grundsätzlich anzuwenden sei, lasse sich dieser Fall nicht nach neuem Recht beurteilen; denn die Dauerrente, um deren Schutz es sich hier handele, sei weder kraft Gesetzes noch durch einen Bescheid, sondern durch das Urteil des SG vom 16. Februar 1960 festgestellt worden. Für die Prüfung, ob die Beklagte das für die Neufeststellung einer Dauerrente zu berücksichtigende Schutzjahr beachtet habe, sei die zu § 609 Satz 2 RVO aF ergangene Rechtsprechung heranzuziehen, da diese Schutzfrist im neuen Recht in gleicher Weise wie vorher geregelt sei. Das Reichsversicherungsamt (RVA) habe entschieden, daß das Schutzjahr in dem Zeitpunkt beginne, von dem an der Verletzte die Rente beziehe und ein volles Jahr in dem Genuß der Rente bleiben müsse. Maßgebend für den Fristbeginn sei daher der Tag des Wirksamwerdens der zuletzt vorgenommenen Feststellung der Dauerrente, also der Tag, von dem an diese Rente bezogen werde. Das gelte auch, wenn der frühere Bescheid im Rechtsmittelverfahren aufgehoben worden sei; dann wirke das Urteil auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Versicherungsträgers zurück (AN 1913, 691; EuM 22, 9; 41, 308; 44, 274). Der abweichenden Auffassung des Reichsversorgungsgerichts (RVG 6, 78), das den entsprechenden Fristablauf aus § 57 Abs. 2 des RVG erst mit dem Zeitpunkt beginnen lasse, an dem das Urteil des Versorgungsgerichts rechtskräftig geworden sei, könne nicht gefolgt werden. Im vorliegenden Streitfall habe sonach durch den Bescheid der Beklagten vom 2. September 1960 die Dauerrente neu festgestellt werden dürfen, weil die Klägerin die Dauerrente von 20 v. H. auf Grund des Urteils des SG vom 16. Februar 1960 schon mit Wirkung vom 1. Januar 1959 an bezogen habe. Die sonstigen Voraussetzungen für die Entziehung der Rente nach § 622 RVO nF wie auch nach § 608 RVO aF seien auf Grund der ärztlichen Begutachtungen ebenfalls gegeben.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Das Urteil ist der Klägerin am 30. September 1964 zugestellt worden. Sie hat am 9. Oktober 1964 durch ihre Prozeßbevollmächtigten Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet. Sie rügt die Verletzung des § 609 RVO aF und trägt dazu vor: Bei der Feststellung des Beginns der Jahresfrist aus § 609 Satz 2 RVO aF habe das LSG die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht beachtet; dieses habe in dem Urteil vom 1. März 1963 entschieden, daß in Fällen der vorliegenden Art das Schutzjahr erst mit dem Erlaß der gerichtlichen Entscheidung und nicht schon mit dem Tage beginne, an dem der Änderungsbescheid hätte wirksam werden sollen (BSG 19, 5 ff).

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und des Bescheides der Beklagten vom 2. September 1960 nach ihrem Berufungsantrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie macht geltend, für die Prüfung der Frage, ob der Rentenentziehung vom 2. September 1960 das Schutzjahr entgegensteht, habe das LSG zutreffend die Vorschrift des § 609 Satz 2 RVO aF und die dazu ergangene Rechtsprechung angewandt. Nach dem Urteil des BSG vom 1. März 1963 sei der Beginn des Schutzjahres auf den Erlaß des gerichtlichen Urteils zwar nur unter der Voraussetzung festgesetzt worden, daß bis zur letzten mündlichen Verhandlung eine wesentliche Änderung der maßgeblich gewesenen Verhältnisse nicht habe festgestellt werden können. Im vorliegenden Fall sei jedoch durch das Urteil des SG vom 16. Februar 1960 eine wesentliche Besserung bejaht worden, und zwar für die Zeit, in welcher der Entziehungsbescheid vom 4. November 1958 wirksam geworden sei. Daraus ergebe sich ein wesentlicher Unterschied zu dem Sachverhalt, der dem Urteil des BSG vom 1. März 1963 zugrunde gelegen habe. Die Klägerin habe die Dauerrente 22 Monate lang bezogen; daher sei das Schutzjahr eingehalten gewesen, als die Rente zum 31. Oktober 1960 entzogen worden sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die Revision ist zulässig. Sie hatte auch Erfolg.

Nach § 622 Abs. 2 Satz 2 RVO nF darf eine Dauerrente ebenso wie vorher nach § 609 Satz 2 RVO aF nur in Abständen (Zeiträumen) von mindestens einem Jahr geändert (neu festgestellt) werden. Die Dauerrente, um deren Änderung (Neufeststellung) durch den Bescheid der Beklagten vom 2. September 1960 es sich im vorliegenden Streitfalle handelt, war durch das Urteil des SG für das Saarland vom 16. Februar 1960 erstmalig festgestellt worden, und zwar war die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 4. November 1958, durch den sie die bis Ende 1958 der Klägerin gewährte vorläufige Rente von 40 v. H. entzogen hatte, verurteilt worden, die Dauerrente nach einer MdE von 20 v. H. vom 1. Januar 1959 an zu gewähren. Die Klägerin, die den Entziehungsbescheid vom 2. September 1960 wegen Nichtbeachtung des Schutzjahres für rechtswidrig hält, verlangt im Instanzenzug die Weitergewährung der Dauerrente, ohne den Anspruch zeitlich begrenzt zu haben. Ihre Berufung gegen das klagabweisende erstinstanzliche Urteil ist daher, wie übrigens auch die Beklagte nicht ernstlich bezweifeln will, statthaft, jedenfalls nicht auf Grund des § 145 Nr. 2 SGG ausgeschlossen, weil etwa nur der "Zeitraum" bis zur nächstmöglichen Rentenentziehung im Streit befangen wäre. Das LSG hat somit zu Recht durch Sachurteil entschieden.

Sein Urteil hält jedoch dem Revisionsangriff nicht stand. Die Entscheidung über die Weitergewährung der Rente hängt von der unter den Beteiligten allein streitigen Frage ab, ob der Entziehung der Rente durch den Bescheid vom 2. September 1960 das in § 622 Abs. 2 Satz 2 RVO nF wie § 609 Satz 2 RVO aF vorgesehene - nach Ansicht der Klägerin erst im Februar 1961 abgelaufene - sogenannte Schutzjahr entgegensteht. Da hinsichtlich dieses Schutzjahres im alten wie im neuen Recht die gleiche Regelung getroffen ist, hat das LSG für die Entscheidung, wann in einem Falle der vorliegenden Art das Schutzjahr beginnt, zutreffend die Grundsätze für anwendbar erachtet, welche in der Rechtsprechung zu § 609 Satz 2 RVO aF entwickelt worden sind. Hierbei ist es jedoch, wie die Revision mit Recht geltend macht, noch der Auffassung des RVA (AN 1913, 691; EuM 22, 9; 41, 308; 44, 274) gefolgt, ohne zu berücksichtigen, daß sich mit ihr inzwischen der erkennende Senat in seinem Urteil vom 1. März 1963 (BSG 19, 5 ff) auseinandergesetzt hat und in Fällen der vorliegenden Art zu einem abweichenden Ergebnis gelangt ist. In diesem Urteil ist für den Fall, daß der Versicherungsträger eine Dauerrente auf Grund des § 608 RVO aF herabgesetzt hat und im gerichtlichen Verfahren unter Aufhebung des Herabsetzungsbescheides zur Weitergewährung der Rente - rechtskräftig - verurteilt worden ist, ausgesprochen worden, daß das Schutzjahr nicht schon mit dem Tage beginnt, von dem an der Herabsetzungsbescheid wirksam werden sollte, sondern erst mit dem Erlaß der gerichtlichen Entscheidung, wenn das Gericht die wesentliche Änderung der für die Feststellung maßgebend gewesenen Verhältnisse für den gesamten Zeitraum bis zur letzten mündlichen Verhandlung verneint hat. Im Sinne dieser Rechtsauffassung, an welcher der erkennende Senat festhält, ist auch der vorliegende Streitfall zu entscheiden. Der Beklagten ist zwar zuzugeben, daß der neuerliche Sachverhalt insofern anders liegt, als der umstrittenen Rentenentziehung keine Neufeststellung einer Dauerrente, sondern die Umwandlung einer vorläufigen Rente in eine geringere Dauerrente vorausgegangen war. Dies rechtfertigt jedoch keine abweichende Beurteilung der Rechtslage. Nach dem Grundgedanken der Entscheidung vom 1. März 1963 soll es dem Versicherungsträger verwehrt sein, sofort nach dem Erlaß der im Rechtszug ergangenen Entscheidung die Rente herabzusetzen oder zu entziehen, wenn die gerichtliche Entscheidung die letzten Änderungsverhältnisse im Sinne des § 608 RVO aF (= § 622 Abs. 1 RVO nF) berücksichtigt hat. Diese Voraussetzung ist hier, wie auch die Beklagte nicht in Zweifel zieht, gegeben. Das Urteil des SG für das Saarland vom 16. Februar 1960 beruht auf dem Ergebnis ärztlicher Gutachten, die im Klageverfahren und noch in der mündlichen Verhandlung vor dem SG erstattet worden sind.

Hiernach hat für die zur Zeit des Entziehungsbescheides vom 2. September 1960 laufende Dauerrente der Klägerin das Schutzjahr nicht schon am 1. Januar 1959, sondern erst am 16. Februar 1960 mit dem Erlaß des Urteils begonnen, durch das der Klägerin die erste - positive - Dauerrente zuerkannt worden ist. Die Entziehung dieser Dauerrente fällt somit in das gesetzliche Schutzjahr hinein.

Der Bescheid der Beklagten vom 2. September 1960 ist somit rechtswidrig. Er konnte weder für die Zeit, von der an durch ihn die Dauerrente entzogen werden sollte (1. November 1960), noch etwa für die Zeit, nach der das Schutzjahr abgelaufen war, wirksam sein. Die Beklagte war - unbeschadet der Rechtsprechung des RVA seit der Entscheidung des Erweiterten Senats Nr. 2490 (AN 1911, 447), nach der ein im letzten Monat des Schutzjahres ergangener Bescheid für wirksam erachtet worden ist - jedenfalls nicht zum Erlaß eines Entziehungsbescheides befugt, der mitten im Laufe des Schutzjahres erging. Nach der Zweckbestimmung des § 609 Satz 2 RVO aF (= § 622 Abs. 2 Satz 2 RVO nF) soll einer durch Änderung der Dauerrente in zu kurzen Zeiträumen bedingten Beunruhigung des Rentenempfängers, vor allem wegen der damit verbundenen Gefahr für dessen Gesundung, vorgebeugt werden (vgl. GE des RVA Nr. 2656 in AN 1913, 691, 693; EuM 22, 9, 10). Diesem Zweck kann die einjährige Schutzfrist nur gerecht werden, wenn sie - anders als das Fehlen materiell-rechtlicher Voraussetzungen für den Erlaß eines Änderungsbescheides, das diesen seinem Inhalt nach anfechtbar macht - den Versicherungsträger daran hindert, eine auf die Herabsetzung oder Entziehung der Dauerrente gerichtete Maßnahme jedenfalls für einen früheren als in der angeführten Entscheidung des RVA Nr. 2490 für zulässig erachteten Zeitpunkt zu treffen; m. a. W. die Schutzfrist steht jedem auch nur formellen Tätigwerden des Versicherungsträgers zu Ungunsten des Rentenempfängers entgegen. Deshalb ist ein Bescheid, der während des Laufs der Schutzfrist die Rente herabsetzt oder entzieht, schon wegen dieses Verstoßes gegen das Verbot des formellen Handelns rechtswidrig, ohne daß eine Prüfung in Betracht kommt, ob er in sachlich-rechtlicher Beziehung zu beanstanden wäre. Ergeht trotzdem ein solcher Bescheid, so kann im Rechtsmittelwege nur seine Aufhebung wegen unzulässigen Erlasses, nicht dagegen eine Nachprüfung auf die Richtigkeit seines Inhalts vorgenommen werden. Eine andere Behandlung eines solchen Bescheides ist jedenfalls auch nicht unter dem Gesichtspunkt möglich, daß der Eintritt seiner Wirksamkeit im Umdeutungswege auf die Zeit nach dem Ablauf der Jahresfrist verlegt wird. Dies hat das BSG in einem Anwendungsfall des § 62 Abs. 2 BVG, der den gleichen hier zu prüfenden Fragenkreis betrifft, in dem Urteil vom 23. Februar 1960 (BSG 12, 16, 19) bereits ausgesprochen. Diesem Urteil, auf dessen Ausführungen insoweit Bezug genommen wird, schließt sich der erkennende Senat an und vertritt in Übereinstimmung damit die Auffassung, daß das verfrühte und daher unzulässige Tätigwerden der Verwaltung nicht die Korrektur dieser Maßnahme in ein Tätigwerden zu dem richtigen Zeitpunkt erlaubt. Insofern unterscheiden sich, worauf bereits hingewiesen ist, Bescheide der vorliegenden Art von solchen, deren materiell-rechtlicher Inhalt im Rechtsmittelwege nachgeprüft werden darf. Zu einer Korrektur in dem angeführten Sinn bietet auch nicht etwa § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG die rechtliche Handhabe. Nach dieser Vorschrift kann durch die Klage auch die Änderung eines Verwaltungsakts begehrt werden. Diese Klageart ermöglicht es dem Gericht aber nicht, den ihm rechtswidrig erscheinenden Verwaltungsakt selbst durch einen anderen, sei es auch nur unter teilweiser Änderung des vorhandenen, zu ersetzen, da sonst der Grundsatz der Gewaltenteilung nicht gewahrt bliebe. Unter "Abänderung" eines Verwaltungsakts im Sinne der angeführten Vorschrift ist nur die teilweise Aufhebung des Verwaltungsakts zu verstehen (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 6. Aufl., Band I, S. 238 u I; Peters: Sautter/Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, Bd. 1, Anm. 2 a zu § 54 SGG S. 149).

Hiernach ist die Beklagte verpflichtet, die der Klägerin durch das Urteil des SG vom 16. Februar 1960 zugesprochene Rente nach einer MdE von 20 v. H. über den 31. Oktober 1960 hinaus zu gewähren. Bei entsprechender Verurteilung der Beklagten mußten daher die Entscheidungen der Vorinstanzen sowie der Entziehungsbescheid der Beklagten vom 2. September 1960 aufgehoben werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2380132

BSGE, 218

NJW 1966, 77

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