Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Neuberechnung des für die Höhe des Übergangsgeldes maßgebenden Nettoarbeitsentgelts nach EStRGEG Art 42 sind nicht nur die bereits mit Wirkung ab 1975-01-01 in die Lohnsteuerkarte eingetragenen, sondern alle Freibeträge zu berücksichtigen, deren Eintragung bis zum Zeitpunkt der Neuberechnung des Nettoarbeitsentgelts durch den Versicherungsträger erfolgt ist.

2. Nach dem Grundsatz der Maßgeblichkeit der Lohnsteuerkarte darf ein Freibetrag bei der Neuberechnung des Nettoarbeitsentgelts erst von dem Zeitpunkt an berücksichtigt werden, zu dem seine Eintragung in die Lohnsteuerkarte wirksam wird.

 

Normenkette

AVG § 18 Abs. 1 Fassung: 1974-08-07, § 18a Abs. 1 Fassung: 1974-08-07; RVO § 1241 Abs. 1 Fassung: 1974-08-07, § 1241a Abs. 1 Fassung: 1974-08-07; EStRGEG Art. 42 Fassung: 1974-12-21

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 21.12.1977; Aktenzeichen L 3 An 707/76)

SG Stuttgart (Entscheidung vom 04.03.1976; Aktenzeichen S 6 An 2401/75)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Dezember 1977 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe des dem Kläger ab 1. Januar 1975 zustehenden Übergangsgeldes.

Der Kläger war bis Ende Oktober 1974 als Baustoffprüfer tätig. Im Durchschnitt der Monate Juli bis September 1974 betrugen sein Bruttoarbeitsentgelt DM 2.583,70 und sein Nettoentgelt DM 1.879,01 monatlich. Vom 29. Oktober 1974 an wurde er beim Berufsförderungswerk H zum graduierten Ingenieur der Fachrichtung Architektur umgeschult. Von diesem Zeitpunkt an bewilligte ihm die Beklagte ein nach dem entgangenen regelmäßigen Nettoentgelt bemessenes Übergangsgeld von kalendertäglich DM 62,63.

Zwecks Neuberechnung des Übergangsgeldes gemäß Art 42 des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuerreformgesetz (EG-EStRG) vom 21. Dezember 1974 (BGBl I S. 3656) erforderte die Beklagte vom Kläger mit Formularschreiben vom 27. Februar 1975 die Vorlage eines Auszuges aus der Steuerkarte für das Jahr 1975. Dem Kläger wurde daraufhin vom Finanzamt S am 1. April 1975 eine Lohnsteuerkarte ausgestellt und darauf ein auf die Zeit vom 1. Mai bis 31. Dezember 1975 mit monatlich DM 805,- verteilter steuerfreier Jahresbetrag von DM 6.439,- eingetragen.

Unter Außerachtlassung dieses Freibetrages errechnete die Beklagte für die Zeit ab 1. Januar 1975 ein regelmäßiges Nettoentgelt von DM 1.759,78 monatlich und daraus ein Übergangsgeld von DM 58,66 kalendertäglich. Durch Bescheid vom 16. Juni 1975 teilte sie dem Kläger mit, daß es bei der Zahlung des bisherigen (höheren) Betrages bleibe. Der Widerspruch, mit welchem sich der Kläger gegen die Nichtberücksichtigung des Freibetrages wandte, wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 1975). Mit Bescheid vom 30. Oktober 1975 paßte die Beklagte das Übergangsgeld für die Zeit ab 1. Oktober 1975 gemäß § 18c des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) an; es betrug nunmehr DM 69,58 kalendertäglich.

Mit Urteil vom 4. März 1976 hat das Sozialgericht (SG) Stuttgart die Klage auf Abänderung des Bescheides vom 16. Juni 1975 in der Fassung (idF) des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 1975 abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Im Verlaufe des Berufungsverfahrens hat die Beklagte das Übergangsgeld mit Wirkung ab 1. Oktober 1976 erneut auf nunmehr DM 77,23 kalendertäglich angepaßt (Bescheid vom 1. September 1976).

Durch Urteil vom 21. Dezember 1977 hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg das Urteil des SG vom 4. März 1976 aufgehoben, die Bescheide vom 16. Juni 1975 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 1975), 30. Oktober 1975 und 1. September 1976 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter Berücksichtigung des Lohnsteuerfreibetrages für das Jahr 1975 höheres Übergangsgeld zu gewähren; es hat die Revision zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Entgegen der Auffassung der Beklagten könnten bei der Neuberechnung des Übergangsgeldes nicht nur die am Stichtag (1. Januar 1975) vorliegenden Verhältnisse und die Lohnsteuerkarte nur in der Weise, wie sie gerade an diesem Tag ausgestellt gewesen sei, berücksichtigt werden. Vielmehr entspreche es sowohl dem Zweck des Art 42 EG-EStRG als auch dem berechtigten Anliegen des Versicherungsträgers nach einer raschen und möglichst unkomplizierten Neuberechnung am besten, alle, aber auch nur diejenigen tatsächlichen Verhältnisse des Versicherten zu berücksichtigen, die bei der (ersten) Neuberechnung durch den Versicherungsträger in der Lohnsteuerkarte 1975 eingetragen seien und sich nach steuerrechtlichen Vorschriften auf das ganze Steuerjahr bezögen. Das sei bei Freibeträgen der Fall; § 39a Abs 2 des Einkommensteuergesetzes sehe deren Verteilung auf das ganze Jahr vor. Eine Berücksichtigung nur der bereits am 1. Januar 1975 eingetragenen Freibeträge finde hingegen im Gesetz keine Stütze und führe zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Benachteiligung des Klägers. Änderungen der Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte in der Zeit nach der erstmaligen Berechnung des Übergangsgeldes aufgrund des Art 42 EG-EStRG rechtfertigten eine Neuberechnung der Leistung allerdings nicht.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des Art 42 EG-EStRG. Für die Berechnung des Übergangsgeldes nach dieser Vorschrift könne nur darauf abgestellt werden, was steuerlich für den Kläger am 1. Januar 1975 gegolten habe. Der zu seinen Gunsten eingetragene Freibetrag habe jedoch erst für die Zeit und mit Wirkung ab 1. Mai 1975 gegolten. Auf die Gründe für den verspäteten Antrag auf Lohnsteuerermäßigung komme es nicht an. Ebenso sei der Zeitpunkt der Neuberechnung des Übergangsgeldes unerheblich. Ihre - der Beklagten - Auffassung werde durch das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10. Mai 1977 - 11 RA 80/76 - und durch weitere Entscheidungen des BSG in ähnlich gelagerten Fällen gestützt.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Dezember 1977 aufzuheben, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 4. März 1976 zurückzuweisen und die Klage wegen des Bescheides vom 1. September 1976 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und die dagegen vorgebrachten Einwände der Beklagten für unbegründet.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte Revision der Beklagten ist zulässig und im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht begründet.

Das LSG hat die Beklagte dem Grunde nach zu Recht für verpflichtet gehalten, bei der Neuberechnung des Übergangsgeldes des Klägers den Lohnsteuerfreibetrag für das Jahr 1975 zu berücksichtigen. Dies allein trägt aber die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung eines höheren Übergangsgeldes nicht.

Rechtsgrundlage für die Neuberechnung des Übergangsgeldes ist Art 42 EG-EStRG. Hiernach wird, wenn Krankengeld oder Übergangsgeld in Höhe des Nettoentgeltes für eine Zeit nach dem 28. Februar 1975 zu zahlen ist und der Bemessungszeitraum ganz oder teilweise in der Zeit vor dem 1. Januar 1975 liegt, das regelmäßige kalendertägliche Nettoarbeitsentgelt neu berechnet. Die Neuberechnung wird vorgenommen, indem das regelmäßige kalendertägliche Bruttoarbeitsentgelt (Regellohn) um die gesetzlichen Lohnabzüge vermindert wird, die nach dem am 1. Januar 1975 geltenden Recht und der Lohnsteuerkarte für das Kalenderjahr 1975 in Betracht kommen würden. Führt die Neuberechnung zu einem höheren Krankengeld oder Übergangsgeld, so ist dieses vom Leistungsbeginn, frühestens vom 1. Januar 1975 an, zu zahlen.

Die Voraussetzungen des Art 42 Satz 1 EG-EStRG für eine Neuberechnung des Übergangsgeldes ab 1. Januar 1975 sind erfüllt. Dies ist unter den Beteiligten nicht streitig. Streitig ist, ob der auf der Lohnsteuerkarte des Klägers mit Wirkung ab 1. Mai 1975 eingetragene Freibetrag von insgesamt DM 6.439,- für das Kalenderjahr 1975 bei der Berechnung des Nettoarbeitsentgelts zu berücksichtigen ist. Das ist entgegen der Meinung der Beklagten der Fall.

Nach Ansicht der Beklagten kann nur der Freibetrag berücksichtigt werden, der mit Wirkung ab 1. Januar 1975 in die Lohnsteuerkarte eingetragen worden ist. Diese Ansicht ist schon mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht in Einklang zu bringen. Nach Art 42 Satz 2 EG-EStRG ist der Regellohn einmal um die nach dem am 1. Januar 1975 geltenden Recht und zum anderen um die nach der Lohnsteuerkarte für das Kalenderjahr 1975 in Betracht kommenden Lohnabzüge zu mindern. Der Gesetzgeber hat damit für die in Betracht kommenden Lohnabzüge zwei unterschiedliche Zeitbestimmungen getroffen und voneinander abgegrenzt. Für die allein auf dem geltenden Recht und nicht zugleich auf Eintragungen in der Lohnsteuerkarte beruhenden Lohnabzüge ist der 1. Januar 1975 maßgebend. Allenfalls insoweit kann es sich - was hier nicht abschließend entschieden zu werden braucht - um eine Stichtagsregelung des Inhaltes handeln, daß Rechtsänderungen nach dem 1. Januar 1975 nicht zu berücksichtigen sind. Hingegen ist ein Stichtag für die Berücksichtigung der in der Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnabzüge nicht bestimmt worden. Sie sind zur Minderung des Regellohns heranzuziehen, soweit sie "für das Kalenderjahr 1975" in Betracht kommen. Ob und unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, ist in Art 42 EG-EStRG nicht geregelt. Vielmehr wird mit dieser Formulierung ein Bezug zum Steuerrecht - der schon darin zum Ausdruck kommt, daß Art 42 EG-EStRG Bestandteil eines Steuergesetzes ist - hergestellt. Hiernach richtet es sich, welcher Lohnabzug nach der Lohnsteuerkarte für das Kalenderjahr 1975 in Betracht kommt. Nach § 39a Abs 2 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes in der erstmalig für den Veranlagungszeitraum 1975 geltenden Fassung vom 5. September 1974 (EStG 1975; BGBl I S 2165) kann die Eintragung eines Freibetrages iS des § 39a Abs 1 EStG 1975 bis zum 30. November des Kalenderjahres beantragt werden, für das die Lohnsteuerkarte gilt. Der Freibetrag ist ein Jahresbetrag; er ist durch Aufteilung in Monatsfreibeträge, erforderlichenfalls in Wochen- oder Tagesfreibeträge jeweils auf die der Antragsstellung folgenden Monate des Kalenderjahres gleichmäßig zu verteilen (§ 39a Abs 2 Satz 5 EStG 1975). Lediglich der Jahresfreibetrag, der im Monat Januar eines Kalenderjahres beantragt wird, darf abweichend hiervon mit Wirkung vom 1. Januar des Kalenderjahres an eingetragen werden (§ 39a Abs 2 Satz 6 EStG 1975). Somit kann in die Lohnsteuerkarte ein Freibetrag selbst dann noch eingetragen werden, wenn dies erst am 30. November beantragt wird und der Freibetrag damit in einer Summe auf den Monat Dezember entfällt. Grundsätzlich in derselben Weise kommt iS des Art 42 Satz 2 EG-EStRG ein Freibetrag "für das Kalenderjahr 1975" in Betracht. Dies ist nicht etwa nur dann der Fall, wenn der Freibetrag mit Wirkung ab 1. Januar 1975 eingetragen und somit die Eintragung spätestens bis zum 31. Januar 1975 beantragt worden ist. Hierin würde eine entscheidende Abweichung vom Steuerrecht als dem vom Gesetzgeber selbst gewählten Anknüpfungspunkt für die Neuberechnung des Übergangsgeldes liegen. Sie hätte ausdrücklich geregelt werden müssen. Das ist nicht geschehen. Darüber hinaus wäre bei einer Auslegung des Art 42 Satz 2 EG-EStRG iS der Auffassung der Beklagten die gesonderte Erwähnung der nach der Lohnsteuerkarte in Betracht kommenden Lohnabzüge überflüssig. Auch sie beruhen auf dem ab 1. Januar 1975 geltenden Recht und hätten neben den hiernach in Betracht kommenden Lohnabzügen nicht besonders erwähnt zu werden brauchen, wenn sie zur Minderung des Regellohns nur insoweit herangezogen werden könnten, als sie bereits mit Wirkung ab 1. Januar 1975 in die Lohnsteuerkarte eingetragen worden sind.

Schon nach dem Wortlaut des Art 42 Satz 2 EG-EStRG und seinem systematischen Zusammenhang mit dem Steuerrecht ist somit der Regellohn im Grundsatz um diejenigen Lohnabzüge zu mindern, denen Eintragungen in die Lohnsteuerkarte im Verlaufe des Kalenderjahres 1975 zugrunde liegen, auch wenn diese Eintragungen nicht schon zum 1. Januar 1975 wirksam geworden sind. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Der Regierungsentwurf des EG-EStRG hat vorgesehen, daß Kranken- und Übergangsgeld, welches auf das Nettoarbeitsentgelt begrenzt ist, für Bezugszeiten nach dem 31. Dezember 1974 auf Antrag insoweit neu zu berechnen ist, als sich aufgrund des EStRG ein höheres Nettoarbeitsentgelt ergibt (damals Art 37; vgl BT-Drucks 7/2722, S 22). Dies ist damit begründet worden, daß die Nettoarbeitsentgelte nach Inkrafttreten des EStRG vor allem bei Ledigen und Verheirateten ohne Kinder vielfach merklich höher seien als nach bisher geltendem Einkommensteuerrecht und demzufolge das durch das Nettoarbeitsentgelt begrenzte Kranken- bzw Übergangsgeld unter der Geltung des neuen Einkommensteuerrechts höher sei als das Kranken- und Übergangsgeld eines Leistungsbeziehers in vergleichbarer Einkommenssituation, dessen Maßnahme bereits vor dem 1. Januar 1975 begonnen habe. Damit den Leistungsverbesserungen aufgrund des EStRG Rechnung getragen werden könne, der Verwaltungsaufwand aber in Grenzen gehalten werde, sei eine Neuberechnung des Kranken- bzw Übergangsgeldes auf Antrag vorgesehen (aaO, S 37). Seine geltende Fassung hat Art 42 (damals Art 37) EG-EStRG während der Beratungen des Gesetzentwurfs im Finanzausschuß erhalten (vgl BT-Drucks 7/2931, S 43). Dadurch hat unter Beibehaltung des vom Regierungsentwurf verfolgten Zieles, die Entlastungen der Einkommensteuerreform auch an Kranke und Rehabilitanden weiterzugeben, die verwaltungsmäßige Durchführung der Neuberechnungen vereinfacht werden sollen. Auf das Antragserfordernis ist zugunsten einer gleichmäßigen Behandlung aller Berechtigten verzichtet worden (vgl BT-Drucks 7/2945, S 5 f). Den Gesetzesmotiven ist demnach nicht zu entnehmen, daß bei der Neuberechnung des Nettoarbeitsentgeltes lediglich die bereits mit Wirkung ab 1. Januar 1975 in die Lohnsteuerkarte eingetragenen Freibeträge zu berücksichtigen sind. Sie stehen dieser Ansicht sogar entgegen. Denn in diesem Falle würde die vom Gesetzgeber erstrebte gleichmäßige Behandlung der Berechtigten verhindert und nur ein geringer Teil von ihnen in die Verbesserungen durch die Reform der Einkommensteuer einbezogen. Dabei ist zusätzlich zu bedenken: Das EG-EStRG ist in dem am 24. Dezember 1974 ausgegebenen Bundesgesetzblatt Nr 141 und damit erst eine Woche vor seinem Inkrafttreten verkündet worden. Der Zeitraum zwischen der Verkündung des Gesetzes und dem 31. Januar 1975 hat wenig mehr als 5 Wochen betragen. Innerhalb dieses relativ kurzen Zeitraums hätten Rehabilitanden, um auf ihrer Lohnsteuerkarte bereits mit Wirkung ab 1. Januar 1975 Freibeträge eintragen zu lassen, nicht nur von Art 42 EG-EStRG Kenntnis erlangen und die Eintragung eines Freibetrages beantragen müssen (vgl § 39a Abs 2 Satz 6 EStRG 1975). Sie hätten vielmehr - wie dies nach den Feststellungen des LSG auch beim Kläger der Fall gewesen ist - darüber hinaus, obgleich hierzu bis dahin keine Veranlassung bestanden hat, erst einmal die Ausschreibung einer Lohnsteuerkarte beantragen müssen. Denn grundsätzlich hat die Gemeindebehörde Lohnsteuerkarten nur für unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer auszustellen (§ 39 Abs 1 Satz 1 EStG 1975). Rehabilitanden sind keine Arbeitnehmer. Bei dieser Sachlage hat bereits im Zeitpunkt der Verkündung des EG-EStRG damit gerechnet werden müssen daß bis zum 31. Januar 1975 nur ein geringer Teil der Rehabilitanden die Ausschreibung einer Lohnsteuerkarte und die Eintragung von Freibeträgen beantragen werden. Dieser auch dem Gesetzgeber voraussehbaren Erkenntnis würde es widersprechen, wenn gleichwohl gemäß der Ansicht der Beklagten bei der Neuberechnung des Übergangsgeldes nur die mit Wirkung ab 1. Januar 1975 auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen und somit spätestens am 31. Januar 1975 beantragten Freibeträge berücksichtigt werden könnten. Dies würde im Ergebnis zu einem vom Gesetzgeber gerade nicht gewollten Ausschluß des überwiegenden Teiles der Rehabilitanden von den Verbesserungen der ab 1. Januar 1975 eingeführten Reform der Einkommensteuer führen.

Nach seinem Wortlaut, systematischen Zusammenhang, Sinn und Zweck ist demnach Art 42 EG-EStRG dahingehend auszulegen, daß grundsätzlich bei der Neuberechnung des Nettoarbeitsentgeltes die Eintragungen in der Lohnsteuerkarte zu berücksichtigen sind, deren Vornahme im Verlaufe des Kalenderjahres 1975 nach steuerrechtlichen Vorschriften zulässig ist und tatsächlich erfolgt. In einer Hinsicht muß dieser Grundsatz allerdings eine Einschränkung erfahren. Im Rahmen des Art 42 EG-EStRG braucht die Beklagte nur diejenigen Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte zu berücksichtigen, die bis zum Zeitpunkt der ersten Neuberechnung des Übergangsgeldes in der Zeit nach dem 1. Januar 1975 erfolgt sind. Zur abermaligen Neuberechnung unter Berücksichtigung nachträglicher Eintragungen oder nachträglicher Änderungen der Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte ist sie nicht verpflichtet. Dies würde dem vom Gesetzgeber ebenfalls verfolgten Ziel einer Vereinfachung der verwaltungsmäßigen Durchführung der Neuberechnungen (vgl BT-Drucks 7/2945, S 6) widersprechen und ist auch vom Interesse der Rehabilitanden her nicht zwingend geboten. Diese werden im allgemeinen bis zum Zeitpunkt der Neuberechnung des Übergangsgeldes die Eintragung der für sie in Betracht kommenden Freibeträge in die Lohnsteuerkarte veranlaßt und damit die Voraussetzungen für eine Einbeziehung in die Verbesserungen der Einkommensteuerreform geschaffen haben. Dies gilt nach den Feststellungen des LSG auch für den Kläger. Die Einzelfälle, in denen dies ausnahmsweise nicht geschehen ist, müssen im Rahmen einer notwendigerweise generalisierenden Betrachtungsweise und im Interesse der Praktikabilität des Neuberechnungsverfahrens vernachlässigt werden.

Die Beklagte ist hiernach grundsätzlich zur Berücksichtigung des in die Lohnsteuerkarte des Klägers eingetragenen Freibetrages von DM 6.439,- bei der Neuberechnung des Übergangsgeldes verpflichtet. Sie hat diese Neuberechnung mit Bescheid vom 16. Juni 1975 vorgenommen. Die Ausstellung der Lohnsteuerkarte und somit auch die Eintragung des Freibetrages sind vor dem Erlaß dieses Bescheides erfolgt.

Das angefochtene Urteil enthält keine Ausführungen darüber, in welcher Weise die Beklagte den Freibetrag zu berücksichtigen hat. Das LSG hat die Beklagte ohne nähere Bestimmung zur Gewährung höheren Übergangsgeldes unter Berücksichtigung des Lohnsteuerfreibetrages verurteilt. Den Gründen des Urteils ist hierzu ebenfalls nichts eindeutiges zu entnehmen. Möglicherweise hat durch die Bezugnahme auf das Urteil des 6. Senats des LSG Baden-Württemberg vom 21. Juni 1977 - L 6 An 911/75 - (vgl dazu Urteil des erkennenden Senats vom 30. Mai 1978 - 1 RA 61/77 -) und auf die Möglichkeit der mühelosen rechnerischen Verteilung des Freibetrages "auf das ganze Jahr" (S 7 des Urteils) zum Ausdruck gebracht werden sollen, daß der Freibetrag bei einer monatlichen Berechnung des Nettoarbeitsentgelts mit einem Zwölftel des Jahresbetrages zu berücksichtigen ist. Dem kann vor allem aus rechtssystematischen Gründen nicht gefolgt werden.

Art 42 EG-EStRG steht - wie bereits ausgeführt - nach Systematik und sachlichem Inhalt in unlösbarem Zusammenhang mit dem Steuerrecht. Er enthält keine eigenständige Regelung über die Art der Neuberechnung des Übergangsgeldes. Vielmehr bezieht er insofern seinen sachlichen Gehalt aus dem Steuerrecht. Das gilt nicht nur für das materielle Steuerrecht im engeren Sinne, sondern auch für dessen Grundsätze über die Wirkung steuerrechtlicher Entscheidungen. Dazu gehört ua der speziell im Lohnsteuerrecht geltende Grundsatz der Maßgeblichkeit der Lohnsteuerkarte. Danach ist der Arbeitgeber ua beim Lohnsteuerabzug an die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte gebunden (vgl Nissen in Forkel-Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Stand Januar 1978, § 39 EStG, Anm 20; speziell zur Berücksichtigung von auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Freibeträgen bei der Einbehaltung der Lohnsteuer siehe ferner § 39 Abs 3 Satz 2 EStG 1975). Zwar ist der Rehabilitationsträger kein Arbeitgeber, ebensowenig wie der Rehabilitand lohnsteuerpflichtiger Arbeitnehmer ist. Gleichwohl gilt auch für ihre Rechtsbeziehungen der Grundsatz der Maßgeblichkeit der Lohnsteuerkarte. Dies folgt aus der engen Verbindung des Art 42 EG-EStRG mit dem Steuerrecht und ist auch vom Sinn und Zweck der Vorschrift her geboten. Die Vorteile der am 1. Januar 1975 in Kraft gesetzten Reform der Einkommensteuer kommen unmittelbar nur den Beziehern steuerpflichtiger Einkünfte zugute. Ihnen sollen durch Art 42 EG-EStRG ua die Empfänger von Übergangsgeld jedenfalls partiell gleichgestellt und sie damit ebenfalls in die Verbesserungen des neuen Einkommensteuerrechts einbezogen werden. Diese Gleichstellung wäre nicht mehr gewährleistet, wenn bei Empfängern von Übergangsgeld das Nettoarbeitsentgelt ohne Bindung an die Eintragungen in der Lohnsteuerkarte und damit nach anderen Grundsätzen als bei Beziehern lohnsteuerpflichtiger Einkünfte berechnet werden könnte. Schon dies gebietet eine Heranziehung des Grundsatzes der Maßgeblichkeit der Lohnsteuerkarte auch im Rahmen des Art 42 EG-EStRG. Das hat überdies den Vorteil der Verwaltungsvereinfachung für sich und vermeidet divergierende Entscheidungen. Durch seine Bindung an die Eintragungen durch die Finanzbehörden ist der Rehabilitationsträger der Notwendigkeit eigener Feststellungen und Entscheidungen enthoben.

In die Lohnsteuerkarte des Klägers ist ein Freibetrag erst mit Wirkung ab 1. Mai 1975 eingetragen worden. Somit muß und darf die Beklagte für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. April 1975 einen Freibetrag nicht berücksichtigen. Vielmehr hat sie für diesen Zeitraum das Übergangsgeld lediglich unter Berücksichtigung der nach dem am 1. Januar 1975 geltenden Recht in Betracht kommenden Lohnabzüge neu zu berechnen. Dem entspricht die Berechnung im angefochtenen Bescheid vom 16. Juni 1975. Sie hat gegenüber dem bis zum 31. Dezember 1974 gezahlten Betrag kein höheres Übergangsgeld ergeben. Damit kann der Kläger für die Zeit bis zum 30. April 1975 eine höhere Leistung nicht beanspruchen. Für die Zeit ab 1. Mai 1975 hingegen hat die Beklagte das Übergangsgeld entsprechend den Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte unter Berücksichtigung eines Freibetrages von insgesamt DM 6.439,- und monatlich DM 805,- zu berechnen. Ergibt sich daraus im Vergleich zu dem bisher gezahlten Betrag ein höheres Übergangsgeld, so ist dieses dem Kläger gemäß Art 42 Satz 3 EG-EStRG zu zahlen. Eine entsprechende Verurteilung der Beklagten setzt die Feststellung voraus, wie sich die Berücksichtigung des Freibetrages von monatlich DM 805,- ab 1. Mai 1975 auswirkt und ob sie zu einem höheren als dem bisher gewährten Übergangsgeld führt. Derartige Feststellungen hat das LSG nicht getroffen. Ohne sie kann die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung höheren Übergangsgeldes keinen Bestand haben. Der Rechtsstreit muß daher unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zwecks Nachholung der erforderlichen Feststellungen an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651787

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