Leitsatz (redaktionell)

1. Unfallversicherungsschutz auf dem Weg zur Garage.

2. Garagen, die keinen Zutritt zum Wohngebäude haben und daher erst nach dem Durchschreiten der Außentür des Wohngebäudes erreicht werden können, gehören nicht mehr zum häuslichen Bereich, so daß der Weg zur Garage bereits dem Unfallversicherungsschutz (RVO § 550 Abs 1 S 1) unterliegt.

 

Normenkette

RVO § 550 Abs. 1 Fassung: 1974-04-01

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 1. Juli 1974 wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Die bei der Beklagten für den Fall der Krankheit versicherte Sachbearbeiterin Charlotte H (H.) bewohnte zur Unfallzeit mit ihrem Ehemann ein Einfamilienhaus auf eingezäuntem Grundstück. Auf dem Grundstück steht eine mit dem Haus nicht verbundene Garage. Als Frau H. am 3. Januar 1973 gegen 6.30 Uhr vom Wohnhaus eine Treppe hinab zur Garage ging, um mit dem dort abgestellten Kraftwagen zur Arbeit zu fahren, stürzte sie infolge Glatteises und verletzte sich am rechten Arm. Die Klägerin lehnte durch Bescheid vom 6. März 1973 einen Entschädigungsanspruch ab, weil die Garage zum unversicherten häuslichen Bereich gehöre und auf dem Weg zwischen Wohnhaus und Garage kein Versicherungsschutz bestehe. Frau H. hat den Bescheid nicht angefochten.

Mit der am 6. Dezember 1973 beim Sozialgericht (SG) Köln erhobenen Klage forderte die Klägerin von der Beklagten 399,60 DM, die sie für Heilbehandlung von Frau H. aufgewendet habe und die, da ein Arbeitsunfall nicht vorgelegen habe, von der Beklagten zu tragen seien. Die Beklagte erhob Widerklage und forderte von der Klägerin das an Frau H. für die Zeit vom 14. Februar bis 18. März 1973 gezahlte Verletztengeld in Höhe von 987,69 DM sowie Verwaltungskosten in Höhe von 45,75 DM, zusammen 1.033,44 DM und den Ersatz des Wertes der weiteren noch nicht festgestellten und noch erwachsenden Leistungen. Das SG hat die Klage abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage verurteilt, der Beklagten deren Aufwendungen anläßlich des Unfalls der Frau H. am 3. Januar 1973 im Rahmen des § 1510 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu ersetzen. Bezüglich der Klageabweisung hat das SG die Berufung zugelassen (Urteil vom 1. Juli 1974). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, daß Frau H. sich nach dem Durchschreiten der Außentür des Hauses bereits auf dem versicherten Weg zur Arbeit befunden habe. Die Klage sei daher abzuweisen und der Widerklage stattzugeben gewesen.

Die Klägerin hat mit Einwilligung der Beklagten Sprungrevision eingelegt. Zur Begründung des Rechtsmittels trägt sie im wesentlichen vor: In Fällen, in denen die Garage auf dem Grundstück des Einfamilienhauses stehe und erst nach dem Durchschreiten der Außentür des Wohngebäudes zu erreichen sei, müsse von einem aufgespaltenen häuslichen Bereich ausgegangen werden, so daß die Garage zum häuslichen Bereich zu rechnen sei. Dies bedeute, daß der versicherte Weg erst mit dem Verlassen der Garage beginne und bereits mit dem Erreichen der Garage wieder ende.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG Köln vom 1. Juli 1974 aufzuheben und

1.

die Beklagte zu verurteilen, die anläßlich des Unfalls der Frau H. vom 3. Januar 1973 erwachsenen Aufwendungen in Höhe von 399,60 DM zu erstatten und

2.

die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt vor, es sei ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), daß sowohl die vom Wohnhaus getrennt liegende als auch die im Kellergeschoß gelegene, aber vom Wohnhaus nicht direkt, sondern ebenfalls erst nach Durchschreiten einer Außentür zu erreichenden Garagen nicht zum häuslichen Bereich gehörten. Bei Wohngebäuden, die innerhalb eines umfriedeten Grundstücks lägen, sei der persönliche Lebensbereich, mit dessen Verlassen das Zurücklegen des Weges i. S. des § 550 RVO beginne, durch die Außentür des Wohngebäudes begrenzt.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Sprungrevision der Klägerin ist nach § 161 SGG in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 30. Juli 1974 (BGBl I 1625) geltenden Fassung zulässig, aber nicht begründet.

Die von den Beteiligten mit Klage und Widerklage geltend gemachten Ersatzansprüche hängen davon ab, ob der Unfall, von dem Frau H. am 3. Januar 1973 betroffen worden ist, ein Arbeitsunfall war. Sofern der Unfall kein Arbeitsunfall gewesen ist, hat die Beklagte nach § 1509 a RVO der Klägerin die von dieser aus Anlaß des Unfalls Frau H. gewährten Leistungen in dem Umfang zu ersetzen, wie die Beklagte sie nach dem Recht der Krankenversicherung hätte erbringen müssen. Hat es sich dagegen um einen Arbeitsunfall gehandelt, sind der Beklagten von der Klägerin nach § 1510 Abs. 2 RVO diejenigen Leistungen zu ersetzen, die von der Beklagten aus Anlaß des Unfalls Frau H. im Auftrag der Klägerin gewährt worden sind. Das angefochtene Urteil enthält zwar keinerlei Feststellungen, um welche Leistungen im einzelnen es sich handelt, jedoch kann den in Bezug genommenen Schriftsätzen entnommen werden, daß die Beklagte u. a. fünf Wochen lang an Frau H. Verletztengeld gezahlt hat (Schriftsatz vom 17. Januar 1974). Diese Leistung beruht auf der zwischen den Spitzenverbänden der Träger der Unfallversicherung und den Trägern der Krankenversicherung abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung vom 28. Juni 1963 (DOK 1963, 334). Diese sieht u. a. vor, daß die Krankenkassen die Berechnung und Auszahlung des Verletztengeldes übernehmen und bestimmt die Höhe der von den Trägern der Unfallversicherung den Krankenkassen für ihre Unterstützungsleistung zu zahlenden Verwaltungskosten. Der Anspruch auf Ersatz von Leistungen, die unter den in der Verwaltungsvereinbarung erteilten allgemeinen Auftrag fallen, gründet sich auf eine entsprechende Anwendung des § 1510 Abs. 2 RVO (vgl. BSG 39,24, 26).

Mit dem SG ist der Senat der Auffassung, daß der Unfall, von dem Frau H. am 3. Januar 1973 betroffen wurde, ein Arbeitsunfall war.

Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der Auslegung des § 550 Abs. 1 RVO ab, der mit dem bis zum 31. Dezember 1973 geltenden § 550 Satz 1 RVO identisch ist (vgl. § 15 Nr. 1 des Siebzehnten Rentenanpassungsgesetzes vom 1. April 1974 - BGBl I 821). Hiernach gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats bildet die Grenze zwischen dem noch nicht oder nicht mehr dem Versicherungsschutz unterliegenden häuslichen Bereich und dem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit, sofern der Weg von der Wohnung des Versicherten aus angetreten wird oder dort endet, die Außentür des vom Versicherten bewohnten Gebäudes. Es macht keinen Unterschied, ob das vom Versicherten bewohnte Gebäude ein städtisches Mehrfamilienhaus mit abgeschlossenen Einzelwohnungen (BSG 2, 239), ein Zweifamilienhaus mit separaten Wohnungseingängen auf eingezäuntem Grundstück (Urteil vom 29. Januar 1965 - 2 RU 21/64) oder ein Einfamilienhaus auf eingezäuntem Grundstück (BG 1965, 314) ist. Bei dieser Abgrenzung hat der erkennende Senat sich von dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit leiten lassen, mit dem es nicht zu vereinbaren ist, den Versicherungsschutz von beliebig zu variierenden Verschiedenheiten des einzelnen Falles abhängig zu machen. Versicherungsschutz besteht somit auch auf dem Teil des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit, den der Versicherte innerhalb des eingezäunten Grundstücks eines ihm gehörenden Ein- oder Zweifamilienhauses zurücklegt, zumal da es nicht Zweck des § 550 Abs. 1 RVO ist, Versicherungsschutz nur für die dem Versicherten im Zusammenhang mit seiner Berufstätigkeit drohenden Verkehrsgefahren zu gewähren (BSG 2, 239, 241) und sich auch außerhalb des Wohngebäudes eine klare, den Erfordernissen der Rechtssicherheit entsprechende Abgrenzung des für Beginn oder Ende des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit maßgebenden häuslichen Bereichs nicht finden läßt (Urteil vom 29. Januar 1965 - 2 RU 21/64). Den vorstehend genannten Entscheidungen des erkennenden Senats lagen Sachverhalte zugrunde, die dadurch gekennzeichnet sind, daß die Versicherten für die Zurücklegung des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit kein eigenes Fahrzeug (Kraftfahrzeuge, Fahrrad) als Transportmittel verwendeten.

Im Grundsatz gilt aber auch dann nichts anderes, wenn der Versicherte für die Zurücklegung des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit ein solches Transportmittel benutzt. Der erkennende Senat hat in Weiterentwicklung seiner Rechtsprechung den Versicherungsschutz bereits für den Teil des Weges bejaht, den der Versicherte auf umzäuntem Ein- oder Zweifamilienhausgrundstück zurücklegt, nachdem er das für den Weg zu benutzende Fahrzeug (Moped, Kraftwagen) aus dem Abstellraum (Keller, Garage) herausgeholt hat (BSG 22, 240; Urteil vom 24. August 1966 - 2 RU 175/65). Gleiches würde auch für den Weg von dem Ort der Tätigkeit anzunehmen sein, bevor der Raum betreten wird, in dem das benutzte Fahrzeug abgestellt werden soll. Der erkennende Senat hat dies jedoch noch nicht entschieden (vgl. BSG 22, 10, 12). Die Grenze zwischen dem noch nicht oder nicht mehr dem Versicherungsschutz unterliegenden häuslichen Bereich und dem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit bildet hier entgegen der Ansicht der Beklagten nicht schon der für das Abstellen des Fahrzeuges vorgesehene Raum, sondern in der Regel ebenfalls die Außentür des Wohngebäudes. Der erkennende Senat hat dies in seiner neueren Rechtsprechung schon mehrfach herausgestellt und zur Begründung darauf hingewiesen, daß eine zum Abstellen eines Kraftfahrzeuges benutzte Garage nicht zum unversicherten häuslichen Bereich gehört, mag die Garage sich im Kellergeschoß des Wohnhauses befinden, aber von dort nicht direkt, sondern erst nach Durchschreiten der Außentür des Wohngebäudes zu erreichen sein oder vom Wohnhaus getrennt liegen (BSG 37, 36, 38; SozR Nr. 4 zu § 550 RVO). Damit hat die insbesondere von dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit geprägte Rechtsprechung des erkennenden Senats an den früher verwendeten Abgrenzungskriterien der baulichen Verbundenheit der Garage mit dem Wohngebäude (siehe die Ausführungen in SozR Nr. 4 zu § 550 RVO in Bezug auf BSG 24, 243) oder der Nutzungs- und Verfügungsmöglichkeit des Versicherten über die zum Abstellen des Fahrzeuges benutzten Räumlichkeiten (BSG 22, 10, 12; BG 1965, 114) nicht mehr festgehalten. Dies schließt nunmehr in aller Regel auch aus, in dem vom Wohngebäude nicht unmittelbar zugänglichen Raum zum Abstellen des für den Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit als Transportmittel benutzten Fahrzeuges auch nur einen Teilbereich eines gespaltenen häuslichen Bereichs zu sehen (so noch im Urteil vom 29. Januar 1965 - 2 RU 21/64 - in Bezug auf BSG 22, 10; zum häuslichen Teilbereich vgl. BSG 19, 257). Dabei wird nicht verkannt, daß Garagen und ähnliche zum Abstellen von Fahrzeugen benutzte Räumlichkeiten, auch wenn sie zu dem Wohngebäude des Versicherten keinen unmittelbaren Zugang haben, zumindest auf eingezäunten Ein- und Zweifamilienhausgrundstücken, der persönlichen (privaten) Lebenssphäre des Versicherten zugerechnet werden könnten, wie dies auch für das eingezäunte Grundstück selbst möglich wäre. Da sich jedoch innerhalb dieser Lebenssphäre keine klare dem Erfordernis der Rechtssicherheit und dem Zweck des § 550 Abs. 1 RVO entsprechende Abgrenzung für den Beginn und das Ende des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit finden läßt, ist es gerechtfertigt, diese Lebenssphäre nicht dem durch das Wohnen des Versicherten gekennzeichneten "häuslichen Bereich" zuzurechnen; die Grenze bildet in der Regel auch hier die Außentür des vom Versicherten bewohnten Gebäudes (vgl. BSG 2, 239; Urteil vom 29. Januar 1965 - 2 RU 21/64 -; BSG 22, 240; BG 1965, 314; Urteil vom 24. August 1966 - 2 RU 175/60; SozR Nr. 4 zu § 550 RVO).

Für den hier zu entscheidenden Fall bedeutet dies, daß Frau H. nach dem Durchschreiten der Außentür des Wohngebäudes auf dem Weg zur Garage, den sie zurücklegte, um mit dem darin abgestellten Kraftwagen zu ihrer Arbeitsstelle zu fahren, bereits unter Versicherungsschutz stand. Die Tatsache, daß es sich um eine auf dem eingezäunten Grundstück frei stehende Garage handelt, die ohne das Grundstück zu verlassen erreicht werden kann, ist rechtlich unerheblich. Entscheidend ist vielmehr, daß die Garage keinen Zugang zum Wohngebäude hat und daher nicht zum unversicherten häuslichen Bereich gehört.

Die Klägerin ist unter Abweisung ihrer Klage auf die Widerklage somit zu Recht verurteilt worden, der Beklagten die geltend gemachten und der Höhe nach nicht bestrittenen Aufwendungen aus Anlaß des Arbeitsunfalls der Frau H. am 3. Januar 1973 zu ersetzen. Die Revision der Klägerin war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

Eine Kostenentscheidung entfällt (§ 193 Abs. 4 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652482

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