Entscheidungsstichwort (Thema)

Anschlußheilbehandlung in einer Spezialeinrichtung. Rehabilitation. Erstattungsanspruch

 

Orientierungssatz

Die an eine wegen Schädigungsfolgen durchgeführte Krankenhausbehandlung anschließende stationäre Behandlung in einer Spezialeinrichtung (Anschlußheilbehandlung) gehörte bereits vor dem Inkrafttreten des GRG zu den versorgungsrechtlichen Leistungen der Heilbehandlung; die hierfür entstandenen Kosten sind der Krankenkasse gemäß § 19 Abs 1 BVG zu erstatten.

 

Normenkette

BVG § 10 Abs 1 S 1, § 11 Abs 1, § 19 Abs 1 S 1; RVO § 184a; BVG § 19 Abs 1 S 2, § 18c Abs 1 S 3, § 18c Abs 2 S 1, § 11 Abs 1 S 1 Nr 6; GRG Art 37 Nr 2 Buchst a

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 29.11.1988; Aktenzeichen L 4 V 70/88)

SG Koblenz (Entscheidung vom 12.04.1988; Aktenzeichen S 11 V 115/87)

 

Tatbestand

Die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) verlangt vom Beklagten eine Erstattung von 5.138,28 DM als die von ihr getragenen Kosten einer "Anschlußheilbehandlung" in der S. Anschlußheilbehandlungs-Ostseekurklinik H.   für Prävention und Rehabilitation von Erkrankungen des Herz- und Kreislaufsystems, der Atemwege und der Bewegungsorgane. Stationär behandelt wurde dort der Beigeladene, der bei der Klägerin pflichtversichert ist, wegen einer als Schädigungsfolge iS des § 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) anerkannten chronischen Bronchitis vom 6. Februar bis 20. März 1985 anschließend an eine stationäre Krankenhausbehandlung. Das Sozialgericht (SG) hat der Leistungsklage stattgegeben (Urteil vom 12. April 1988). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 29. November 1988). Der Erstattungsanspruch aus § 19 Abs 1 Satz 1 und 2 BVG sei deshalb begründet, weil die Klägerin die Behandlungskosten sowohl nach § 184a Reichsversicherungsordnung (RVO) aufgrund der Krankenversicherung des Beigeladenen als nach § 10 Abs 1 Satz 1 iVm § 11 Abs 1 BVG wegen der anerkannten Schädigungsfolgen getragen habe. Diese medizinische Rehabilitationsleistung sei zwar keine Krankenhausbehandlung im engeren Sinn, die nach § 11 Abs 1 Satz 1 Nr 5 und Satz 2 BVG als Heilbehandlungsmaßnahme gewährt werden müsse. Aber sie umfasse die in § 11 Abs 1 Satz 1 Nrn 2, 3, 5 und 9 BVG genannten Einzelleistungen und diene den in § 10 Abs 1 Satz 1 BVG beschriebenen Zwecken der Heilbehandlung.

Der Beklagte rügt mit der - vom LSG zugelassenen - Revision, die Vorinstanzen hätten eine Verpflichtung der Versorgungsverwaltung, Anschlußheilbehandlung zu gewähren und dementsprechend die Aufwendungen der Krankenkasse für eine solche Leistung zu erstatten, zu Unrecht angenommen. Diese Leistung sei in § 11 Abs 1 BVG nicht vorgesehen, und diese Vorschrift regele erschöpfend und abschließend den Leistungskatalog der Heilbehandlung. Die Voraussetzungen für einen Härteausgleich, als welcher eine stationäre Behandlung in einer Spezialeinrichtung mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) in besonderen Fällen gewährt werden könne, hätten in diesem Fall nicht vorgelegen.

Der Beklagte beantragt,

unter Aufhebung der Urteile des LSG und des SG die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie vertritt die Ansicht, die Aufnahme der Behandlung in einer Spezialeinrichtung in § 11 Abs 1 BVG durch das am 1. Januar 1989 in Kraft getretene Gesundheits-Reformgesetz solle nur klarstellen, daß diese Leistung der Heilbehandlung schon vorher zu gewähren gewesen sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist nicht begründet.

Wie die Vorinstanzen mit Recht entschieden haben, hat der Beklagte der klagenden AOK die Kosten zu erstatten, die ihr durch die stationäre Anschlußheilbehandlung wegen einer anerkannten Schädigungsfolge (chronischer Bronchitis) in einer dafür geschaffenen Spezialeinrichtung - ua für die Rehabilitation bei Atemwegserkrankungen mit physikalischen Anwendungen und Atemtherapie - entstanden sind. Der Versorgungsträger hat die Kosten der Leistung deshalb, weil diese die Krankenkasse sowohl nach dem BVG als nach § 184a RVO in der zur Zeit der Aufwendung geltenden Fassung seit dem Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation - RehaAnglG - vom 7. August 1974 - BGBl I 1881 - als "Behandlung für Unterkunft und Verpflegung in einer ..... Spezialeinrichtung" aus dem Krankenversicherungsverhältnis zu gewähren hatte, nach der Spezialvorschrift des § 19 Abs 1 Satz 1 und 2 BVG in der zur Zeit der Behandlung - Anfang 1985 - geltenden und daher anzuwendenden Fassung vom 22. Januar 1982 (BGBl I 21)/20. Juni 1984 (BGBl I 761) endgültig zu übernehmen (zur Spezialvorschrift: BSG SozR 3100 § 16 Nr 4; BSG USK 84146; Urteil vom 10. Dezember 1987 - 9a RV 3/85 -).

Da die bezeichnete Versorgungsleistung nicht unter die in § 18c Abs 1 Satz 2 BVG aufgezählten fällt, die den Versorgungsbehörden der Kriegsopferversorgung obliegen, war sie von der für den Beigeladenen zuständigen AOK nach § 18c Abs 1 Satz 3 und Abs 2 Satz 1 BVG in einer Art von gesetzlicher Auftragsverwaltung zu erbringen (BSGE 32, 150, 151 f = SozR Nr 4 zu § 14 BVG).

Die "stationäre Behandlung in einer Rehabilitationseinrichtung" wird zwar als Heilbehandlungsmaßnahme ausdrücklich erst in § 11 Abs 1 Satz 1 Nr 6 BVG idF des am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Art 37 Nr 2 Buchstaben a, aa Gesundheits-Reformgesetz - GRG - vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) genannt. Sie stand aber auch schon 1985 dem versorgungsberechtigten Beigeladenen als Maßnahme der versorgungsrechtlichen Heilbehandlung iS der medizinischen Rehabilitation zu (§§ 5, 24 Abs 1 Nr 1, Art II § 1 Nr 11 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - vom 11. Dezember 1975 - BGBl I 3015 -; § 1 Abs 1, § 9 Nr 1 BVG). Die Neufassung hat die vorhergehende Rechtslage nur klargestellt. Das ist allerdings der Gesetzesbegründung, die auf einer unzulänglichen, die Anschlußheilbehandlung nur als Härteausgleich zulassenden Rechtsvorstellung des BMA, des federführenden Bundesministers, zu beruhen scheint, nicht deutlich zu entnehmen (Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP - BT-Drucks 11/2237 S 262 zu Art 35 Nr 22, worauf der GRG-Entwurf der Bundesregierung verweist - BT-Drucks 11/2493 S 6 Anlage 1). Um diese besondere stationäre Rehabilitationsmaßnahme war schon vor dem Inkrafttreten des GRG der Leistungskatalog der Heilbehandlung in § 11 Abs 1 Satz 1 BVG aF, gemessen an den Zwecken und Zielen der Heilbehandlung gemäß § 10 Abs 1 BVG, über den unzulänglichen Wortlaut des § 11 Abs 1 Satz 1 BVG aF (seit Art 27 Nr 3 RehaAnglG) hinaus zu ergänzen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Ergebnis im Wege der erweiternden teleologischen Auslegung des Begriffes "stationäre Behandlung in einem Krankenhaus (Krankenhausbehandlung)" - § 11 Abs 1 Satz 1 Nr 5 BVG aF - oder durch richterliche Füllung einer Gesetzeslücke im Wege der Analogie zu gewinnen ist.

Die versorgungsrechtliche Heilbehandlung von Schädigungsfolgen ist nach § 10 Abs 1 Satz 1 BVG in der seit dem RehaAnglG geltenden Fassung ua zu gewähren, um Gesundheitsstörungen zu beseitigen oder zu bessern, eine Zunahme der Leiden zu verhüten, körperliche Beschwerden zu beheben und die Folgen der Schädigung zu erleichtern. Diesen Zwecken müssen geeignete Heilmaßnahmen iS des § 11 Abs 1 BVG dienen. Wenn schon in diesem Leistungskatalog in der Fassung vor dem GRG einzelne Maßnahmen wie Krankengymnastik, Bewegungs-, Sprach- und Beschäftigungstherapie sowie Belastungserprobung und Arbeitstherapie (§ 11 Abs 1 Satz 1 Nrn 3 und 9 BVG aF) ausdrücklich genannt waren, die besonders zur Rehabilitation, bei der eine ärztliche Behandlung nicht im Vordergrund steht, geeignet sind, dann mußten sie auch stationär in einer dafür geeigneten Spezialeinrichtung als einer besonderen Art von Krankenhaus (im weiteren Sinn) gewährt werden können. Falls eine solche Behandlung - wie hier im Fall des Beigeladenen - notwendig, zweckmäßig und ausreichend war, mußte sie zur Erfüllung der Heilbehandlungszwecke des § 10 Abs 1 Satz 1 BVG übernommen werden (§ 11 Abs 1 Satz 5 BVG iVm § 182 Abs 2 RVO). Wenn die Krankenhaus- und Heilstättenbehandlung (§ 11 Abs 1 Satz 1 Nrn 5 und 6 BVG aF) erst geboten ist, falls andere Behandlungsverfahren keinen genügenden Erfolg haben oder in absehbarer Zeit erwarten lassen (§ 11 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 BVG), konnte 1985 für die stationäre Anschlußheilbehandlung in einer Spezialeinrichtung nichts anderes gelten im Verhältnis zur ambulanten Rehabilitation dieser Art (vgl jetzt § 11 Abs 1 Satz 3 BVG idF des Art 37 Nr 2 Buchstabe a, bb GRG). Sie war ausreichende und zweckmäßige Maßnahme statt einer weiteren Behandlung in einem Krankenhaus im engeren, noch zu beschreibenden Sinn geboten (vgl Begründung zur Neufassung im GRG, zu Art 35 Nr 22). Dann mußte sie auch erbracht werden.

Diese Erweiterung des Leistungsprogrammes war in der Zeit seit dem RehaAnglG besonders auch deshalb notwendig, weil die Kriegsopferversorgung, eines der Rehabilitationsgebiete im Sinn des Gesetzes (§ 2 Abs 1 Satz 1 Nr 5 RehaAnglG), neben der gesetzlichen Unfallversicherung schon immer, besonders seit den ersten Jahren nach dem 2. Weltkrieg sich als "Mutter" einer umfassenden und vielgestaltigen Rehabilitation entwickelt hatte und Rentenleistungen erst nachrangig nach einer möglichen und zumutbaren Rehabilitation gewährte (§ 11 Abs 1 Satz 1, § 30 Abs 1 Satz 3 BVG idF des 5. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 6. Juni 1956 - BGBl I 463 -; § 30 Abs 6 idF des 1. Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 - BGBl I 453 -; § 29 BVG idF des 8. Anpassungsgesetzes - KOV - vom 14. Juni 1976 - BGBl I 1481). Das RehaAnglG sollte sogar den Leistungskatalog des Versorgungsrechts erweitern (Begründung zu § 11 - BR-Drucks 307/72 S 64). Angesichts dessen konnte vor dem GRG die Krankenhausbehandlung iS des § 11 Abs 1 Satz 1 Nr 5 BVG aF nicht auf den engen Bereich beschränkt sein, wie sie als Behandlung in einem Krankenhaus im allgemeinen Rechtssinn des Sozialrechts und des Krankenhausfinanzierungsrechts verstanden wird, dh - im Unterschied zur Behandlung in einer Spezialeinrichtung der Rehabilitation - als stationäre Behandlung - Ersatz von ambulanter ärztlicher oder zahnärztlicher Behandlung (Nr 1) und Versorgung mit Arzneimitteln (Nr 2) verbunden mit notwendiger Pflege, Unterkunft und Verpflegung - in einer Einrichtung, in der durch ärztliche und pflegerische Hilfe Krankheiten, Leiden und Körperschäden festgestellt, geheilt oder gelindert werden sollen (§ 2 Abs 1 Nr 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz vom 29. Juni 1972 - BGBl I 1009-/23. Dezember 1985 - BGBl 1986 I 33 -; vgl auch § 5 Abs 1 Nr 7 idF des Gesetzes vom 20. Dezember 1984 - BGBl I 1716 - zur Rehabilitationseinrichtung; Art 1 § 107 Abs 1 GRG - für Krankenhäuser - und § 107 Abs 2 Nr 1 Buchstabe b, Nrn 2 und 3 für Rehabilitationseinrichtungen; vorher BSG SozR Nr 19 zu § 184 RVO; BSGE 31, 271, 281 f = SozR Nr 30 zu § 184 RVO mwN; BSGE 46, 41, 43, 45 f = SozR 2200 § 184a Nr 1; BSGE 50, 47, 49 = SozR 2200 § 184a Nr 3; BSGE 51, 44, 46 ff = SozR 2200 § 184a Nr 4; BSG SozR 1300 § 105 Nr 1; Peters/Mengert, Handbuch der Krankenversicherung, Bd 1, 18. Aufl 1985, Stand: 1988, § 184, Anm 2, b). Falls jedoch die Krankenhausbehandlung iS des § 11 Abs 1 Satz 1 Nr 5 BVG aF derart eng gemeint gewesen wäre, wäre diese Leistungsart als durch die stationäre Rehabilitation in einer Spezialeinrichtung ergänzt anzusehen gewesen.

Abgesehen vom Leistungszweck und der Entwicklungsgeschichte, die für dieses Gesetzesverständnis sprechen, waren schon vor dem GRG die verschiedenen Rehabilitationsgebiete vereinheitlicht. Die besonderen Vorschriften der Kriegsopferversorgung über Voraussetzungen, Art und Umfang der Rehabilitationsleistungen müssen seit dem RehaAnglG den - übergeordneten - Grundsätzen der §§ 10 bis 20 RehaAnglG entsprechen (§ 9 Abs 1), und nach § 10 RehaAnglG sind die medizinischen Rehabilitationsleistungen umfassend gemäß der den Heilbehandlungszwecken des § 10 Abs 1 Satz 1 BVG genügenden Zielsetzung ua in Spezialeinrichtungen mit Unterkunft und Verpflegung zu gewähren. Außerdem decken sich nach § 11 Abs 1 Satz 5 BVG aF Art und Umfang der versorgungsrechtlichen Heilbehandlung, soweit das BVG nichts anderes bestimmt, mit den Leistungen, zu denen die gesetzliche Krankenkasse ihren Mitgliedern verpflichtet ist. Die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung haben aber, wie dargelegt, schon seit dem RehaAnglG eine stationäre medizinische Rehabilitation in Spezialeinrichtungen ua als Anschlußheilbehandlung zu gewähren, ebenso wie die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 559 RVO) und der Rentenversicherung (§ 1237 RVO usw). Das BVG bestimmte vor dem GRG nicht ausdrücklich, daß die soziale Entschädigung als einziger Rehabilitationsbereich diese Maßnahme nicht zu erbringen hätte.

Die zu enge Rechtsauffassung der Versorgungsverwaltung, daß die Anschlußheilbehandlung nicht zu den versorgungsrechtlichen Leistungen der Heilbehandlung gehöre, hätte schließlich die unvertretbare Folge, daß der Beschädigte nach Versorgungsrecht weiterhin unnötig in einem Krankenhaus im engeren Sinn zu behandeln gewesen wäre, was wesentlich mehr kostet (Wilke/Fehl, Soziales Entschädigungsrecht, 6. Aufl 1987, § 11 BVG Rz 39a E).

Wenn die Anschlußheilbehandlung schon für die Zeit vor dem GRG ebenso wie eine Krankenhausbehandlung als Versorgungsleistung zu erbringen war, bestand auch für den Erstattungsanspruch aus § 19 Abs 1 BVG die gleiche Rechtslage wie für stationäre Behandlungen im Krankenhaus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658395

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