Leitsatz (amtlich)

1. Zur Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, wenn ein Kommanditist für Beitragsforderungen des Sozialversicherungsträgers nach HGB § 176 in Anspruch genommen wird (Anschluß an BSG 1975-06-26 3/12 RK 1/74 = SGb 1976, 144 mit teilweise ablehnender Anmerkung von Glücklich).

2. Auch die Beitragsschulden einer Kommanditgesellschaft gehören zu den Verbindlichkeiten, für die ein Kommanditist nach HGB § 176 zu haften hat (Anschluß an BSG aaO).

 

Leitsatz (redaktionell)

Die in HGB § 176 Abs 1 S 2 vorgeschriebene unbeschränkte Haftung der Kommanditisten für die bis zur Eintragung in das Handelsregister begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft erstreckt sich auch auf die bis zur Eintragung entstehenden Beitragsforderungen; entsprechendes gilt bei Eintritt von Kommanditisten in eine bestehende Handelsgesellschaft hinsichtlich der in HGB § 176 Abs 2 vorgesehenen Haftung für die Zeit zwischen ihrem Eintritt und ihrer Eintragung in das Handelsregister.

 

Normenkette

SGG § 51 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; HGB § 176 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1897-05-10, Abs. 2 Fassung: 1897-05-10; RVO § 393 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1924-12-15

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten und der Beigeladenen zu 4) wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 16. Januar 1974 aufgehoben, Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger - ein Kommanditist der inzwischen aufgelösten T G KG (KG) - für die von der Beklagten zunächst vergeblich von der KG geforderten Beitragsrückstände, Säumnis-, Mahn- und Vollstreckungskosten der KG einzustehen hat.

Komplementär der durch Gesellschaftsvertrag vom 18. November 1966 gegründeten und später in das Handelsregister eingetragenen KG war Günther G (Beigeladener zu 2). Kommanditisten der KG waren Yvo K und Hans B (Beigeladener zu 1). In einem neuen Gesellschaftsvertrag vom 2. Juni 1967, der durch einen weiteren Gesellschaftsvertrag vom 25. August 1967 abgeändert wurde, war der Kläger Kommanditist, und die beiden bisherigen Kommanditisten Yvo K und der Beigeladene zu 1) sowie der Beigeladene zu 2) waren Komplementäre. Eine Eintragung in das Handelsregister unterblieb. Das Registergericht Hamburg wies durch Beschluß vom 7. August 1968 die Anmeldungen der Gesellschaftsverträge vom 2. Juni und 25. August 1967 zurück, Über das Vermögen der KG wurde am 19. Februar 1969 das Konkursverfahren eröffnet. Die KG wurde aufgelöst. Die Klage des über das Vermögen der KG bestellten Konkursverwalters gegen den Kläger, die im Gesellschaftsvertrag vom 2. Juni 1967 vorgesehene Kommanditeinlage von 40.000,- DM zu zahlen, wies das Landgericht (LG) Hamburg mit rechtskräftigem Urteil vom 29. Oktober 1970 (2.0.296/69) ab, weil der Kläger diese Einlage geleistet und nicht zurückerhalten habe. Das Konkursverfahren wurde durch Beschluß des Amtsgerichts Hamburg vom 20. April 1972 mangels Masse eingestellt.

Nachdem die Beklagte vergeblich versucht hatte, die Schuld der KG an Sozialversicherungsbeiträgen, Säumniszuschlag, Mahngebühren und Vollstreckungskosten in Höhe von 18.813,24 DM von Yvo K und den Beigeladenen zu 1) und 2) beizutreiben, forderte die Beklagte mit Bescheid vom 6. Januar 1969 vom Kläger, er habe diesen Betrag zu zahlen. Sie begründete dies damit, der Kläger hafte nach § 176 des Handelsgesetzbuches (HGB) wie ein persönlich haftender Gesellschafter für alle Verbindlichkeiten der KG; er sei auf Grund des Gesellschaftsvertrags vom 2. Juni 1967 in die KG eingetreten, aber noch nicht in das Handelsregister eingetragen. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 1971). Auf seine Klage hat das Sozialgericht (SG) Hamburg den Bescheid der Beklagten vom 6. Januar 1969 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 1971 aufgehoben (Urteil vom 31. Mai 1972). Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat die Berufungen der Beklagten und der Bundesanstalt für Arbeit, der Beigeladenen zu 4), zurückgewiesen. Es hat die Revision zugelassen (Urteil vom 16. Januar 1974).

Gegen das Urteil des LSG haben die Beklagte und die Beigeladene zu 4) Revision eingelegt. Sie rügen eine Verletzung des § 176 HGB.

Die Beklagte und die Beigeladene zu 4) beantragen,

die Urteile des LSG und des SG aufzuhaben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen zu 4) zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen zu 4) sind begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Zutreffend hat das Berufungsgericht den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (§ 51 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes) bejaht. Nach dieser Vorschrift entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung. Um eine solche Streitigkeit handelt es sich hier. Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 6. Januar 1969 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 1971, also gegen einen Verwaltungsakt, mit dem er von der Beklagten zur Zahlung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge, Säumniszuschläge, Mahngebühren und Vollstreckungskosten herangezogen worden ist. Diese Forderungen sind öffentlich-rechtlicher Art. Wenn auch die Forderungen die KG betreffen, ändert sich an deren Rechtsnatur nichts dadurch, daß die Beklagte den Kläger nach § 176 Abs. 2 HGB für die Verbindlichkeiten der KG in Anspruch nimmt. Sie erstrebt damit eine Haftungsverlagerung von der KG auf den Kläger. Nach § 176 Abs. 1 Satz 1 HGB haftet jeder Kommanditist für die bis zur Eintragung begründeten Verbindlichkeiten der KG gleich einem persönlich haftenden Gesellschafter, wenn die Gesellschaft mit Zustimmung des Kommanditisten ihre Geschäfte begonnen hat, bevor sie in das Handelsregister eingetragen worden ist. Tritt ein Kommanditist in eine bestehende Handelsgesellschaft ein, so findet nach § 176 Abs. 2 HGB die Vorschrift des Abs. 1 Satz 1 für die in der Zeit zwischen seinem Eintritt und dessen Eintragung in das Handelsregister begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft entsprechende Anwendung. Soweit der Kommanditist den Gläubigern der KG unbeschränkt haftet, steht er in dieser Hinsicht einem Komplementär gleich (§§ 161 Abs. 2, 128 HGB). In dieser Hinsicht hält die Beklagte den Kläger für verpflichtet, für die verschiedenen öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten der KG an deren Stelle zu haften. Dadurch wird der Gegenstand des Rechtsstreits als einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung nicht berührt.

In der Sache selbst kann das angefochtene Urteil jedoch keinen Bestand haben. Das LSG hat die Haftung des Klägers als Kommanditist nach § 176 Abs. 2 HGB für die Beitragsrückstände, Säumnis-, Mahn- und Vollstreckungskosten, die von der KG nicht zu erlangen waren, verneint. Es sieht in § 176 HGB Folge und Ausdruck eines im Handelsrecht allgemein anerkannten Vertrauensschutzes und daher eine Schutzvorschrift zugunsten des gutgläubigen Verkehrs. Allerdings gelte der Grundsatz des allgemeinen Vertrauensschutzes auch im öffentlichen Recht. Jedoch sei Voraussetzung, daß eine Institution des öffentlichen Rechts auf Grund des bei ihr erweckten Vertrauens tätig werde. Fehle dagegen die Entschließungsfreiheit der Institution, mit einem Rechtssubjekt in Beziehung zu treten, so sei für den Gedanken des Vertrauensschutzes kein Raum. Die Beitragsforderung der Beklagten sei nicht auf Grund Rechtsgeschäfts, sondern kraft Gesetzes entstanden. Die Beklagte habe sich den Kläger nicht als ihren "Geschäftspartner" aussuchen können. Sie habe also Verbindlichkeiten nicht etwa im Vertrauen auf das Bestehen bestimmter Haftungsverhältnisse begründen können. Aus diesem Grunde könne die Regelung des § 176 HGB im vorliegenden Falle keine Anwendung finden (ebenso: Schlegelberger/Geßler, HGB, 4. Aufl. 1963, § 176, Anm. 6; Düringer/Hachenburg, Komm. zum HGB, 3. Aufl. 1932, § 176, Anm. 6; Ritter, Komm. zum HGB, 2. Aufl. 1931; Neumann/Duesberg, Die Außenhaftung der Kommanditisten, DB 1965, 769 ff, 771; LG Osnabrück, Nds. Rechtspfl. 1959, 274).

Dieser - die Haftung des Kommanditisten nach § 176 Abs. 2 HGB einschränkenden - Auffassung ist der 3. Senat des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 26. Mai 1975 - 3/12 RK 1/74 - (SGb 1976, 144 mit ablehnender Anmerkung von Glücklich) nicht gefolgt. Er hat ausgeführt, die Vorschrift des § 176 HGB diene zwar zunächst den Bedürfnissen des (rechts-) geschäftlichen Verkehrs. Ohne sie müßte, wer in Geschäftsbeziehungen zu einer noch nicht in das Handelsregister eingetragenen KG trete, u. U. umständliche Erkundigungen über die Haftungsverhältnisse der Gesellschaft einziehen oder bei seinen Entschließungen eine mehr oder minder große Unsicherheit in Kauf nehmen. Um Gläubiger davor zu schützen, aber auch, um die Gesellschafter der KG zu einer baldigen Eintragung ihrer Gesellschaft, der Person der Kommanditisten und des Betrags ihrer Einlage zu veranlassen, habe der Gesetzgeber die Kommanditisten, die dem Gesellschaftsbeginn zugestimmt hätten, bis zum Tage der Registereintragung hinsichtlich der Haftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten den Komplementären gleichgestellt. Diese unbeschränkte Kommanditistenhaftung biete dem Geschäftsverkehr eine klare und sichere Grundlage für seine Dispositionen. Die unbeschränkte Haftung der Kommanditisten nach § 176 HGB gelte jedoch nicht nur für rechtsgeschäftlich begründete Verbindlichkeiten der KG, sondern für deren sämtliche Verbindlichkeiten. Dritte, die gegen eine KG bereits eine Forderung - aus Vertrag oder auf Grund Gesetzes - besäßen, müßten wissen, welche Gesellschafter ihnen unbeschränkt hafteten. Nur so könnten sie entscheiden, ob sie etwa mit Rücksicht auf die besondere Kreditwürdigkeit der ihnen persönlich haftenden Gesellschafter Stundung der Forderung oder deren alsbaldige Erfüllung verlangen sollten. Solange Gläubiger die dazu erforderlichen Kenntnisse nicht schnell und zuverlässig aus dem Handelsregister erlangen könnten, weil die KG noch nicht eingetragen sei, müsse zu ihren Gunsten die unbeschränkte Haftung aller Gesellschafter - auch der Kommanditisten, die dem Geschäftsbeginn zugestimmt hätten (§ 176 Abs. 1 HGB) - gelten. Die Regelung des § 176 HGB biete zudem die Gewähr, daß die Gesellschafter bei Zahlungsschwierigkeiten nicht noch nach Abschluß des Gesellschaftsvertrags, aber vor Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister versuchen würden, durch - möglicherweise sogar rückdatierte - Vereinbarungen ihre Haftung über das ursprünglich vorgesehene Maß hinaus zu begrenzen.

Dem tritt der erkennende Senat nach eigener Prüfung im Interesse klarer Haftungsverhältnisse bei, deren Änderung durch Eintragung der KG in das Handelsregister nicht zuletzt in die Hand des - vorerst bis zur Eintragung voll haftenden - Kommanditisten gelegt ist (vgl. RGZ 128, 172, 181). Den Kommanditisten vor der Eintragung der KG in das Handelsregister unterschiedlich je nach der Rechtsnatur der Verbindlichkeiten nach § 176 Abs. 2 HGB haften zu lassen, würde zu wenig sinnvollen Ergebnissen führen. Das zeigt sich insbesondere deutlich an folgendem: Arbeitnehmer einer KG sind berechtigt, ihre Forderungen aus einem Arbeitsverhältnis nach § 176 Abs. 2 HGB auch gegenüber dem Kommanditisten vor der Eintragung der KG in das Handelsregister geltend zu machen. Hingegen würde dies nach der Auffassung des Klägers für die gerade auf der Beschäftigung der Arbeitnehmer beruhenden Sozialversicherungsbeiträge deshalb nicht gelten, weil diese Verbindlichkeiten öffentlich-rechtlicher Natur sind. Obschon derartige Beitragsforderungen unmittelbar aus der Beschäftigung der Arbeitnehmer folgen, zwischen dem Arbeitsentgelt und den Sozialversicherungsbeiträgen also ein enger Zusammenhang besteht, würde dieser Zusammenhang bei einer unterschiedlichen Kommanditistenhaftung nach § 176 Abs. 2 HGB aufgegeben werden. Dieses Ergebnis wäre vor allen Dingen deshalb nicht überzeugend, weil der Kommanditist zwar für die Hauptschuld aus der Beschäftigung des Arbeitnehmers (den Lohn) einzustehen hätte, nicht aber für die demgegenüber wirtschaftlich kleinere, jedoch zwingend damit verbundene Nebenfolge der Beitragsleistung.

Die Haftung des Klägers für die eingeforderten Verbindlichkeiten der Beklagten nach § 176 Abs. 2 HGB setzt indes voraus, daß der Kläger zu dem Zeitpunkt, in dem diese Verbindlichkeiten entstanden sind, tatsächlich Kommanditist gewesen ist. Diese Frage hat das LSG - von seiner Rechtsauffassung her zu Recht - ausdrücklich offengelassen. Der Kläger macht dazu geltend, der Gesellschaftsvertrag vom 2. Juni 1967, nach dem die Beigeladenen zu 1) und 2) sowie Yvo K persönlich haftende Gesellschafter und der Kläger Kommanditist der KG hätten sein sollen, sei zwar am gleichen Tage zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet worden; schon kurz darauf seien aber die Gesellschafter dahin übereingekommen, von der Verwirklichung des Gesellschaftsvertrags Abstand zu nehmen. Zu einer Eintragung sei es demgemäß auch nicht mehr gekommen. Für die Frage, ob der Kläger von der Beklagten in Anspruch genommen werden kann, kommt es nach § 176 Abs. 2 HGB allein darauf an, ob er der damals bestehenden KG wirksam beigetreten ist. Der Eintritt eines Kommanditisten i. S. des § 176 Abs. 2 HGB ist dann erfolgt, wenn jemand im inneren Verhältnis Gesellschafter geworden ist, also in der Regel mit Abschluß des Vertrages über den Beitritt in die Gesellschaft (Schilling in: Großkomm. HGB, § 176, Anm. 21; Schlegelberger/Geßler, aaO, 4. Aufl. 1963, § 176, Anm. 13; Lehmann/Dietz, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 1970, § 19 II S. 210). Das LSG hat keine Feststellungen dazu getroffen, daß der Aufnahmevertrag vom 2. Juni 1967 nicht wirksam geworden ist. Derartiger Feststellungen bedarf es aber. Das LSG wird daher zu prüfen haben, ob der Kläger der KG wirksam beigetreten ist und ob er ihr zu dem Zeitpunkt, in dem die gegen ihn geltend gemachten Verbindlichkeiten der Beklagten entstanden sind, noch angehört hat. Weiterhin wird das LSG zu klären haben, ob die Haftung des Klägers deshalb ausgeschlossen ist, weil die Beklagte die Kommanditisteneigenschaft des Klägers gekannt hat (vgl. § 176 Abs. 1 Satz 1 HGB).

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647788

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