Leitsatz (amtlich)

1. Der Beanstandungsschutz des RVO § 1423 Abs 2 S 1 (= AVG § 145 Abs 2 S 1) schließt bei Ersatzurkunden, die für verloren gegangene Versicherungskarten und Aufrechnungsbescheinigungen ausgestellt worden sind, nicht aus, daß der Versicherungsträger geltend macht, die Beiträge seien zwischen der Aufrechnung der Versicherungskarten und der Ausstellung der Ersatzurkunden anläßlich der Heirat der Versicherten erstattet worden.

2. Eine wirksame Beitragserstattung gemäß RVO § 1309a idF der VO vom 1942-06-22 (RGBl 1942, 411) setzt den Nachweis der Auszahlung des Erstattungsbetrages an die Berechtigte voraus (Anschluß an BSG 1975-03-14 1 RA 173/74 = SozR 2200 § 1309a Nr 1).

 

Normenkette

RVO § 1309a Fassung: 1942-06-22, § 1423 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 145 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23; SGG § 128 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Dezember 1974 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Unter den Beteiligten ist streitig, ob bei der Festsetzung der der Klägerin zugesprochenen Rentenbezüge Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten aus Beschäftigungszeiten vom 10. Dezember 1928 bis zum 30. Juni 1944 rentensteigernd zu berücksichtigen sind. Die Beklagte behauptet, diese Beiträge seien der Klägerin anläßlich ihrer am 8. Januar 1944 erfolgten Heirat erstattet worden. Dies wird von der Klägerin bestritten.

Nach der vorliegenden Heirats-Erstattungsliste der Beklagten aus dem Jahre 1944 des Geburtsjahrganges 1914 ergibt sich unter der lfd. Nr. 9575, daß der Frau Franziska K geb. A (Klägerin) aus Anlaß ihrer Eheschließung am 8. Januar 1944 die Arbeitnehmeranteile der Beiträge zur damaligen Invalidenversicherung in Höhe von 288,70 RM erstattet worden sind. Unter der Rubrik "Bemerkungen" ist das Datum "25.8.1944" eingetragen. Hierbei handelt es sich nach Angabe der Beklagten um das Datum der Zahlungsanweisung an die Post.

Bei der Beigeladenen befindet sich eine Erstattungsschriftwechselkarte, aus der sich ergibt, daß die Klägerin anläßlich ihrer Heirat am 8. Januar 1944 am 12. September 1944 einen Erstattungsantrag gestellt hat und ihr darauf mit Bescheid vom 18. Oktober 1944 für in der Zeit vom 1. September 1943 bis zum 30. Juni 1944 entrichtete Beiträge 42,10 RM erstattet worden sind. Aus der Erstattungsschriftwechselkarte ist noch die Zahlungslisten-Nr. 552 angegeben, die ebenfalls angegebene Abrechnungslisten-Nr. ist unleserlich. Außerdem ergibt sich aus noch vorhandenen Listen, daß am 21. Oktober 1944 der Erstattungsbetrag an Frau Franziska K geb. A, H, Krs. K/W, angewiesen worden ist. Die Überweisung erfolgt vom Postscheckamt Berlin vom Konto der früheren Reichsversicherungsanstalt für Angestellte durch weißen Postscheck. Die Lastschrift-Quittung des Postscheckamtes (Poststempel) und die Bescheinigungen von zwei Kassenbeamten der früheren Reichsversicherungsanstalt für Angestellte über die ordnungsgemäße Ausführung der Überweisung sind aus den Listen zu ersehen.

Die Klägerin wohnte in der Zeit vom 23. Juni 1944 bis zum 2. Oktober 1945 nicht in ihrer Wohnung in E, sondern hielt sich während dieser Zeit in H Krs. K auf, wo sie auch polizeilich gemeldet war.

Die Klägerin behauptet, sie habe nach ihrer Heirat keinen Antrag auf Beitragserstattung gestellt und weder von der Beklagten noch von der Beigeladenen die Erstattungsbeiträge erhalten. Sie hat sich vom Versicherungsamt der Stadt Essen am 14. Juli 1950 als Ersatz für eine verlorengegangene Versicherungskarte zur Angestelltenversicherung eine Versicherungskarte Nr. 1 ausstellen und am gleichen Tage aufrechnen lassen, in die als Einlage ein Zettel über das vom 21. September 1943 bis zum 30. Juni 1944 bei der Stadtverwaltung Essen bestandene Beschäftigungsverhältnis mit dem Arbeitsverdienst eingefügt ist. Außerdem hat sie sich am 26. Februar 1951 vom Versicherungsamt der Stadt Essen eine erneuerte Quittungskarte Nr. 1 bis 8 zur Invalidenversicherung ausstellen und am gleichen Tage aufrechnen lassen, in der sich folgende Eintragung befindet: "Erneuert lt. Vfg. LVA Rheinprovinz III 15515 VI/50 vom 24.1.51. Es ist zu erneuern: Versicherungspflichtige Beschäftigung für die Zeit vom 10.12.28 bis 8.9.43 wurde nachgewiesen. Im Rentenfalle ist gem. Vfg. LVA Rheinprovinz Tgb. Nr. 16/44 vom 16.2.44 (Pauschale) zu verfahren." Der Inhalt der genannten Verfügung der Beklagten vom 24. Januar 1951 ist nicht mehr feststellbar. Die betreffenden Unterlagen sind von der Beklagten an die Beigeladene abgegeben und dort nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist vernichtet worden.

Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat die Klage, mit der die Abänderung des Rentenbescheids der Beklagten vom 25. Juni 1970 in dem Sinne gefordert worden war, daß die Beschäftigungszeiten vom 10. Dezember 1928 bis zum 30. Juni 1944 zusätzlich als Versicherungszeiten anzuerkennen seien, mit Urteil vom 4. September 1973 abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 13. Dezember 1974 zurückgewiesen.

Das LSG ist der Ansicht, daß die Klägerin keine Ansprüche aus den für die Zeit vom 10. Dezember 1928 bis zum 30. Juni 1944 erbrachten Beiträgen mehr geltend machen kann, weil als erwiesen anzusehen sei, daß der Klägerin nach ihrer Eheschließung die Arbeitnehmeranteile aus diesen Beiträgen im August und im Oktober 1944 auf ihre diesbezüglichen Anträge erstattet worden sind. Sonst lasse sich nicht erklären, aus welchem Anlaß die Personalien (neuer Familienname und Geburtsname) der Klägerin in die Heiratserstattungsliste der Beklagten und die Erstattungsschriftwechselkarte der früheren Reichsversicherungsanstalt für Angestellte aufgenommen worden seien und woher die beiden Versicherungsträger im August bzw. Oktober 1944 den Tag der Eheschließung und die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte die neue Anschrift der Klägerin gekannt hätten. Die Beitragserstattung sei auch im Rechtssinne wirksam erfolgt, denn sie sei mit der Herausgabe der Zahlungsanweisung durch die Versicherungsträger vollzogen gewesen.

Auf die Auszahlung der Erstattungssumme durch die Post komme es nicht an. Aus den Unterlagen der früheren Reichsversicherungsanstalt für Angestellte ergebe sich auch, daß der Betrag nicht an die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte zurückgekommen sei. Selbst wenn wegen einer vorhandenen Möglichkeit, daß aus kriegsbedingten Störungen des Postbetriebs die Auszahlung nicht habe erfolgen können, der Nachweis der objektiven Möglichkeit des Zuganges erbracht werden müsse, dann sei dieser Nachweis erbracht. Die Ermittlungen des Senats hätten nämlich ergeben, daß sowohl im Zustellungsbezirk, der der E Wohnung der Klägerin entsprach, als auch in H. in der fraglichen Zeit der Postverkehr noch ordnungsgemäß funktioniert habe und daß offenbar eine Auszahlung des von der Beklagten erstatteten Betrages in E nicht betrieben worden sei, weil die Klägerin der Beklagten ihre neue Anschrift bekanntgegeben gehabt hätte. Auch habe der Zeuge B erklärt, daß er während der Zeit der Evakuierung der Klägerin, die seine Schwägerin sei und mit der er in demselben Hause gewohnt habe, keine Post habe nachsenden müssen, weil keine angekommen sei.

Die vom Versicherungsamt der Stadt E ausgestellten Ersatzunterlagen sprächen nicht gegen eine erfolgte Beitragserstattung. Es habe nicht mehr festgestellt werden können, ob sich die auf der als Ersatz für die Versicherungskarten 1 bis 8 ausgestellten Versicherungskarte genannte Verfügung auf den Fall der Klägerin bezogen habe oder allgemeiner Art gewesen sei. Auch lasse sich nicht mehr aufklären, ob das Versicherungsamt der Stadt E vor Ausstellung der Ersatzunterlagen die Versicherungsträger gehört habe. Hinsichtlich der vom Versicherungsamt der Stadt E ausgestellten Ersatzurkunden greife die unwiderlegliche Vermutung des § 145 Abs. 2 Satz 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) und des § 1423 Abs. 1 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht ein. Die Vermutung umfasse die Richtigkeit der Beschäftigungszeiten, der Arbeitsentgelte und der Beiträge, es könne aber nicht unwiderleglich vermutet werden, daß die während der bescheinigten Beschäftigungszeiten gezahlten Beiträge nicht später erstattet worden seien. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen, weil die von ihm verneinte Rechtsfrage, ob die Vermutung des § 1423 Abs. 2 Satz 1 RVO, § 145 Abs. 2 Satz 1 AVG die nach § 1309 a Abs. 4 RVO aF eingetretene Wirkung durch Anfertigung von Versicherungskartenersatz beseitigen könne, grundsätzliche Bedeutung habe.

Mit der von ihr eingelegten Revision rügt die Klägerin, die Nichtberücksichtigung der §§ 1412 und 134 RVO und die unrichtige Anwendung der §§ 1423 Abs. 2 Satz 1 RVO und 145 Abs. 2 Satz 1 AVG. Die verlorengegangenen Versicherungskarten der Klägerin seien in den Jahren 1950/1951 ordnungsmäßig ersetzt worden. Die neuen Versicherungsbescheinigungen seien damit an die Stelle der verlorengegangenen Versicherungsunterlagen getreten und hätten dieselbe Bedeutung und Beweiskraft wie diese. Sie seien öffentliche Urkunden, die den vollen Beweis der in ihnen bescheinigten Tatsachen erbrächten. Da die Klägerin von 1949 bis 1969 laufend eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt habe, seien danach weitere Versicherungsbeiträge ordnungsgemäß abgeführt und weitere Aufrechnungsbescheinigungen erteilt worden. Dennoch sei keine Beanstandung erfolgt. Das sei vielmehr erst im Bescheid vom 25. Juni 1970 geschehen, der der Klägerin am 4. Juli 1970 zugestellt worden sei, also nach mehr als 10 Jahren nach der Aufrechnung der Versicherungskarte. Sei aber das Beanstandungsrecht durch Ablauf der 10-Jahresfrist erloschen, so seien die in der Versicherungskarte ausgewiesenen Beiträge, soweit sie entrichtet seien, als rechtswirksame und soweit sie nicht entrichtet seien, wie rechtswirksame Beiträge zu behandeln.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Dezember 1974 und das Urteil des SG Duisburg vom 4. September 1973 aufzuheben und die Beklagte unter teilweiser Abänderung der Bescheide vom 23. Juni 1970 und 5. Dezember 1973 zu verurteilen, der Klägerin höhere Rente wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie verweist auf die nach ihrer Ansicht zutreffenden Entscheidungsgründe des Urteils des LSG vom 13. Dezember 1974.

 

Entscheidungsgründe

Die zugelassene Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung der Streitsache an die Vorinstanz begründet. Bei den in den Jahren 1950/1951 vom Versicherungsamt der Stadt E ausgestellten Ersatzurkunden für verlorene Versicherungsunterlagen schließt der Beanstandungsschutz der §§ 1423 Abs. 2 Satz 1 RVO, 145 Abs. 2 Satz 1 AVG nicht aus, daß sich die Beklagte auf eine Erstattung der Beiträge anläßlich der Eheschließung der Klägerin beruft. Nach den genannten Vorschriften können nach Ablauf von 10 Jahren nach Aufrechnung der Versicherungskarte

1)

die Richtigkeit der Eintragung der Beschäftigungszeiten, der Arbeitsentgelte und der Beiträge und

2)

die Rechtsgültigkeit der Verwendung der in der Aufrechnung der Versicherungskarte bescheinigten Beitragsmarken nicht mehr angefochten werden.

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat hierzu im Urteil vom 13. März 1975 (SozR 2200 § 1423 Nr. 4) entschieden, daß Ersatzbescheinigungen - in dem entschiedenen Fall war sie vom Versicherungsträger selbst ausgestellt worden - einer Aufrechnungsbescheinigung im Sinne des § 1423 Abs. 2 RVO gleichstehen. Es kann dahingestellt bleiben, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen diese Gleichstellung von Ersatzbescheinigungen mit Aufrechnungsbescheinigungen auch dann gilt, wenn die Ersatzbescheinigungen nicht vom Versicherungsträger, sondern vom Versicherungsamt einer Gemeinde ausgestellt worden sind, denn auch der Beanstandungsschutz einer vom Versicherungsträger ausgestellten Ersatzbescheinigung könnte nicht weiter gehen als der Beanstandungsschutz der Versicherungskarte und der Aufrechnungsbescheinigung, die sie ersetzen sollen. Dieser Beanstandungsschutz schließt aber die Nichtberücksichtigung der bescheinigten Versicherungszeiten bei einer späteren Rentenfestsetzung dann nicht aus, wenn die ursprünglich erbrachten und bescheinigten Beiträge erstattet worden sind. Er erstreckt sich lediglich auf die Richtigkeit der Eintragung der Beschäftigungszeiten, der Arbeitsentgelte, der Beiträge und der Rechtsgültigkeit der Verwendung der in der Aufrechnungsbescheinigung oder der Versicherungskarte bescheinigten Beitragsmarken. Daher kann sich im vorliegenden Fall der Beanstandungsschutz der Ersatzbescheinigung nicht darauf erstrecken, daß die Beklagte eine Erstattung der Beiträge zwischen der Aufrechnung der Versicherungskarte und der Ausstellung der Ersatzbescheinigung nicht mehr geltend machen kann.

Zur Frage, wann eine Beitragserstattung wirksam erfolgt ist, hat der 1. Senat des BSG im Urteil vom 14. März 1975 (SozR 2200 § 1309 a Nr. 1) unter Hinweis auf das Urteil des 4. Senats vom 24. Januar 1973 - 4 RJ 103/72 - entschieden, daß für eine aus Anlaß der Heirat nach dem 1. Mai 1942 erfolgten Beitragserstattung (Beitragserstattung gem. § 1309 a RVO idF der Verordnung vom 25. Juni 1942 - RGBl I, 411 -) der Nachweis der Auszahlung des Erstattungsbetrages an die Berechtigte erbracht sein muß. Er hat hierzu ausgeführt, bei diesen Erstattungen habe jedenfalls der mit Wirkung vom 1. Mai 1942 gesetzlich angeordnete Fortfall des Feststellungsbescheides zur Folge, daß die Wirksamkeit der Erstattung nunmehr vom Zugang des Erstattungsbetrages bei der Berechtigten abhängig gewesen sei, weil diese nur noch hierdurch von dem Ergebnis ihres Erstattungsantrages Kenntnis erhalten habe. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an. Der vom LSG im angefochtenen Urteil vertretenen Ansicht, daß die Beitragserstattung bereits mit der Herausgabe der Zahlungsanweisung durch den Versicherungsträger vollzogen gewesen sei, kann demnach nicht gefolgt werden. Das LSG hat zwar noch ausgeführt, es sehe auch den Nachweis der objektiven Möglichkeit des Zugangs des Erstattungsbetrages als erbracht an, jedoch ist das im vorliegenden Fall für die Annahme der wirksamen Beitragserstattung nicht ausreichend. Von seiner Rechtsansicht ausgehend hatte das LSG zwar keine Veranlassung zu der Frage Stellung zu nehmen, ob es den Zugang des Erstattungsbetrages bei der Klägerin als erwiesen oder als nicht erwiesen ansieht, bzw. ob es zur Klärung dieser Frage noch weitere Beweiserhebungen für notwendig hält. Das ist aber nach der Auffassung des Senats erforderlich. Damit dies nachgeholt werden kann, mußte der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden. Bei den noch zu prüfenden Fragen wird sich das LSG auch mit den Ausführungen des BSG hierzu in dem bereits genannten Urteil des 1. Senats (SozR 2200 § 1309 a Nr. 1) und des 12. Senats (SozR Nr. 69 zu § 128 SGG) auseinanderzusetzen haben.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 288

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