Leitsatz (redaktionell)

Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner; hier: Stellung des Antrags bei einer Gemeindeverwaltung.

Die in RVO § 173a Abs 2 S 1 vorgeschriebene Monatsfrist wird durch den Eingang des Antrags nicht nur bei der zuständigen KK, sondern auch bei jeder anderen am Rentenverfahren beteiligten Stelle gewahrt.

 

Normenkette

RVO § 173a Abs. 2 S. 1 Fassung: 1967-12-21

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 2. Dezember 1970 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten um die Befreiung von der Versicherungspflicht zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR).

Die Klägerin unterlag als Angestellte bis zur Vollendung ihres 65. Lebensjahres im März 1969 wegen ihres die Jahresarbeitsverdienstgrenze überschreitenden Einkommens nicht der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung. Sie war jedoch bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert.

Am 9. August 1968 beantragte sie bei ihrer Wohnsitzgemeinde S, ihr nach der Vollendung des 65. Lebensjahres das Altersruhegeld aus der Angestelltenversicherung zu gewähren. Eine späterhin von der Gemeinde ausgestellte Bescheinigung (Bestätigung vom 2. Mai 1969) besagt, die Klägerin habe bei der Antragstellung erklärt, weiterhin Mitglied ihres derzeitigen Versicherungsunternehmens bleiben zu wollen und die Mitgliedschaft zu einer gesetzlichen Krankenkasse abzulehnen. Die Klägerin unterschrieb einen mit Schreibmaschine ausgefüllten Vordruck für die Anmeldung zur KVdR nach § 317 Abs. 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Dieses Formular wurde an das private Krankenversicherungsunternehmen weitergeleitet, bei der Beklagten ging es erst im April 1969 ein.

Auf Grund eines Hinweises des Rentenversicherungsträgers beantragte die Klägerin am 2. Mai 1969 bei der Beklagten, sie nach § 173 a RVO von der Versicherungspflicht in der KVdR zu befreien. Die Beklagte lehnte den Antrag mit einem Bescheid vom 8. Mai 1969 ab, weil die Klägerin die Befreiung nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Monatsfrist beantragt habe. Nachdem die Klägerin ihre Anmeldung zur KVdR wegen Irrtums angefochten hatte (Schreiben vom 8. Mai 1969), erhob sie gegen den Bescheid der Beklagten Widerspruch, blieb jedoch ohne Erfolg.

Ihre Klage hat das Sozialgericht (SG) Augsburg mit dem Urteil vom 20. März 1970 abgewiesen. Die Klägerin habe den Befreiungsantrag nicht innerhalb der Frist bei der zuständigen Kasse gestellt. Ihre mündliche Erklärung vor der Gemeinde S genüge den gesetzlichen Voraussetzungen nicht. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) ist im Berufungsverfahren der Rechtsansicht der Vorinstanz gefolgt (Urteil vom 2. Dezember 1970). Wenn der Befreiungsantrag innerhalb eines Monats seit dem Beginn der Versicherungspflicht bei einem Rentenversicherungsträger oder einer Behörde eingehe, so genüge er nicht den gesetzlichen Voraussetzungen, vielmehr sei der fristgerechte Eingang des Antrags bei der zuständigen Kasse zu fordern.

Mit der zugelassenen Revision wendet sich die Klägerin gegen dieses Urteil. Sie führt aus, daß sie ihren Rentenantrag bei ihrer Wohnsitzgemeinde gestellt habe, die anstatt des Versicherungsamts tätig geworden sei. Die Zuständigkeiten für die KVdR seien derart unübersichtlich geregelt, daß die Versicherten überfordert würden. Aus diesem Grunde müßten die von der Rechtsprechung zu § 173 RVO entwickelten Grundsätze auch für den Antrag nach § 173 a RVO gelten. Es müsse demgemäß genügen, wenn der Antrag innerhalb der Frist bei einer inländischen Behörde eingehe.

Die Klägerin beantragt:

1.

Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 20.3.70 und des Bayer. Landessozialgerichts vom 2.12.70 werden aufgehoben.

2.

Es wird festgestellt, daß die Klägerin nicht Mitglied der Rentnerkrankenversicherung geworden ist.

Hilfsweise:

3.

der Rechtsstreit wird zur weiteren Sachaufklärung an das Bayer. Landessozialgericht zurückverwiesen.

4.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Erklärung der Klägerin vor ihrer Wohnsitzgemeinde sei kein Antrag auf Befreiung von der Krankenversicherungspflicht der Rentner. Selbst wenn das aber der Fall sein sollte, hätte die Klägerin den Antrag nicht, wie vorgeschrieben, bei der zuständigen Kasse gestellt.

II

Die Revision der Klägerin ist begründet.

Die Klägerin hat vor dem SG und dem LSG neben der Klage auf Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Verwaltungsakts gleichzeitig eine Verpflichtungsklage erhoben und mit ihr die Verurteilung der Beklagten auf Befreiung von der Versicherungspflicht beantragt (§ 54 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Mit ihrem Feststellungsbegehren im Revisionsantrag (Nr. 2) verfolgt sie offensichtlich nur ihr altes Klageziel weiter, nämlich die Verpflichtung der Beklagten zur Befreiung von der Versicherungspflicht.

Da die Klägerin am Tag der Stellung des Rentenantrags die Voraussetzungen für den Bezug des Altersruhegeldes noch nicht erfüllt hatte, beginnt für sie mit diesem Zeitpunkt die fiktive Mitgliedschaft in der KVdR (§ 315 a Abs. 2 Satz 1 RVO), und zugleich beginnt infolge der entsprechenden Anwendbarkeit des § 173 a RVO (§ 315 a Abs. 1 Satz 2 RVO) auch die Monatsfrist für den Befreiungsantrag.

Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen wird die Monatsfrist des § 173 a Abs. 2 Satz 1 RVO, die als Ausschlußfrist (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 7. Aufl. 1972, S. 448 r; Schmatz-Pöhler, Die Rentnerkrankenversicherung, 2. Aufl. 1968; § 173 a RVO Anm. 2) von Amts wegen zu beachten ist, auch dann gewahrt, wenn der Antrag anstatt bei der zuständigen Krankenkasse beim Rentenversicherungsträger oder einer anderen zur Entgegennahme des Rentenantrags befugten Stelle eingeht. Das ergibt sich aus Sinn und Zweck der Vorschrift sowie ihrer Stellung und dem Zusammenhang im Gesetz.

Wenn § 173 a Abs. 2 Satz 1 RVO vorschreibt, daß der Antrag bei der "zuständigen Kasse" zu stellen ist, so soll damit in erster Linie sichergestellt werden, daß die wirklich zuständige Kasse über den Befreiungsantrag auch entscheidet. Die Zuständigkeit liegt nämlich nicht ohne weiteres fest. Der Gesetzgeber hat mittels einer sehr differenzierten Regelung (§ 257 a RVO) festgelegt, welche Krankenkasse die Versicherung jeweils regelmäßig durchführt oder welche - nach Wahl des Versicherten - sonst tätig werden kann (vgl. § 257 a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 RVO). Gegenüber diesem Erfordernis - Wahrung der Entscheidungszuständigkeit - hat die Frage, ob der Antrag fristgemäß bei der zuständigen Stelle eingegangen sein muß, nur untergeordnete Bedeutung. Dabei sind insbesondere die Schwierigkeiten zu würdigen, vor denen der Rentenantragsteller steht, wenn er seinen Antrag auf Befreiung von der KVdR anbringen will. Häufig ist er im unklaren über den Beginn der Ausschlußfrist. Im allgemeinen kennt nur derjenige den Zeitpunkt des Fristbeginns genau, der den Rentenantrag bei einer zur Empfangnahme befugten Stelle unmittelbar abgibt. Wird der Rentenantrag auf anderem Wege, zB mit der Post eingereicht, bleibt dem Versicherten der Beginn der Ausschlußfrist in aller Regel - zumindest eine Zeitlang - unbekannt, weil er das Eingangsdatum des Antrags nicht kennt. Der Rentenversicherungsträger ist auch nicht verpflichtet, ihm diesem Zeitpunkt noch vor Ablauf der Monatsfrist mitzuteilen.

Des weiteren muß in zahlreichen Fällen erst ermittelt werden, welche Kasse zuständig ist; manchmal genügen dazu die Angaben im Rentenantrag, häufig jedoch sind noch Rückfragen beim Antragsteller erforderlich.

Wenn der Befreiungsantrag innerhalb eines Monats schon bei der zuständigen Kasse angelangt sein müßte, so würden alle diese Verzögerungen den vom Gesetz zur Verfügung gestellten Zeitraum verkürzen, und zwar in unterschiedlicher, nicht voraussehbarer Länge entsprechend den Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalles. Es kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber zwar einerseits eine Befreiungsmöglichkeit hätte schaffen, sie andererseits aber derart wieder hätte einschränken wollen.

Für die Auffassung, daß angesichts der aufgezeigten Schwierigkeiten bei Stellung des Befreiungsantrags das Gesetz dem Antragsteller die nach der Sachlage gebotenen Erleichterungen einräumt, spricht vor allem die Systematik des Gesetzes.

Die Regelung über die Befreiung von der Versicherungspflicht in der KVdR hat im Gesetz hinter § 173 RVO ihren Platz gefunden. Dieser Zusammenhang muß auch bei der Auslegung des § 173 a RVO Beachtung finden. Die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 173 RVO setzt ebenfalls einen Antrag voraus, über den nach dem ursprünglichen Text der Leiter der Krankenkasse, jetzt die Krankenkasse, zu entscheiden hat. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß damit nur die zuständige Krankenkasse gemeint ist, obgleich das im Wortlaut nicht Ausdruck gefunden hat. Im übrigen erweist sich, daß § 173 a RVO dem § 173 RVO nachgebildet ist. Insbesondere geht es auch bei § 173 RVO um die Wahrung einer Monatsfrist. Nach Abs. 2 Satz 2 wirkt die Befreiung vom Beginn des Beschäftigungsverhältnisses an, wenn der Antrag innerhalb eines Monats nach dessen Beginn gestellt wird. Dieser Antrag kann nach der Spruchpraxis des früheren Reichsversicherungsamtes (vgl. Grundsätzliche Entscheidung Nr. 5461 in AN 1942 II, 109), die seitdem uneingeschränkt in die Verwaltungspraxis übernommen worden ist - auch nach dem Wechsel der Befreiungszuständigkeit - und allseits Zustimmung gefunden hat (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 7. Aufl., S. 324 b I; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl. 1972, § 173 RVO, Anm. 4 a), fristwahrend nicht nur bei der entsprechenden Krankenkasse, sondern gleicherweise bei einem anderen deutschen Versicherungsträger oder einer anderen inländischen Behörde eingereicht werden. Es wäre schlechthin unverständlich, wenn die Monatsfrist für die rückwirkende Befreiung durch den Eingang des Antrags bei einem Rentenversicherungsträger im Fall des § 173 RVO zwar gewahrt, im Fall des § 173 a RVO hingegen versäumt würde. Für beide Vorschriften trifft die die Entscheidung tragende Erwägung in gleicher Weise zu, daß der regelmäßig rechtsunkundige Versicherte dann keinen Rechtsverlust erleiden soll, wenn er sein Begehren nicht sogleich bei dem "richtigen", sondern bei einem unzuständigen Versicherungsträger angebracht hat (vgl. RVA, aaO). Wenn in der Rentenversicherung die Anmeldung von Leistungsansprüchen nicht nur beim zuständigen Versicherungsamt, sondern auch bei einem anderen deutschen Versicherungsträger oder einer deutschen Behörde fristwahrend vorgenommen werden kann (§ 1613 Abs. 1 und 5 RVO), in der Unfallversicherung ähnliches gilt (§ 1549 RVO) und auch im Widerspruchs -- (§ 84 SGG) und Klageverfahren (§§ 90, 91 SGG) vergleichbare Regelungen anzutreffen sind, so beruhen auch sie auf dieser Erwägung. In jedem Fall muß der Grundsatz aber gelten, wenn der Befreiungsantrag nach § 173 a RVO anstatt bei der zuständigen Krankenkasse beim Träger der Rentenversicherung eingeht; denn dieser ist nach § 317 Abs. 5 Satz 1 RVO auch für die Entgegennahme der mit dem Rentenantrag einzureichenden Meldung zur KVdR zuständig. Ihm ist deshalb auch die Verpflichtung auferlegt worden, die Meldung unverzüglich an die zuständige Krankenkasse weiterzuleiten (§ 317 Abs. 5 Satz 2 RVO). Dem Eingang beim Rentenversicherungsträger selbst muß der Eingang bei den Stellen gleichgeachtet werden, die nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (vgl. § 1613 Abs. 5 Satz 1 RVO) zur Entgegennahme von Rentenanträgen befugt sind; denn auch sie sind zur unverzüglichen Weitergabe des Antrags verpflichtet (§ 1613 Abs. 5 Satz 2 RVO). Dadurch wird auch der von der Beklagten hervorgehobenen Zweckbestimmung der Monatsfrist hinreichend Rechnung getragen: Die zuständige Krankenkasse soll davor geschützt werden, für einen längeren Zeitraum Leistungen erbringen zu müssen, die sie nach der Befreiung möglicherweise nicht mehr zurückfordern kann.

Somit ergibt sich, daß die Monatsfrist für den Befreiungsantrag nach § 173 a RVO gewahrt wird, wenn der Antrag anstatt bei der zuständigen Krankenkasse bei dem Träger der Rentenversicherung oder einer zur Entgegennahme des Rentenantrags befugten Stelle eingeht (so auch Brackmann, aaO, S. 448 q; Jünemann in Die Beiträge 1968, S. 104, 139).

Die Klägerin hat nach den Feststellungen des LSG am 9. August 1968 Rente beantragt. Ihre Pflichtmitgliedschaft in der KVdR (§ 315 a Abs. 2 RVO) ist somit zu diesem Zeitpunkt eingetreten, und zugleich hat auch die Monatsfrist nach § 173 a Abs. 2 RVO begonnen. Da der Befreiungsantrag fristwahrend bei einer deutschen Behörde gestellt werden kann (vgl. § 1613 Abs. 5 Satz 1 RVO), kommt es darauf an, ob die Klägerin, wie sie behauptet, bei der Rentenantragstellung vor der Gemeindebehörde Steppach einen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht zur KVdR gestellt hat. Der Senat vermag diese Frage nicht zu entscheiden, weil das LSG dazu keine hinreichenden tatsächlichen Feststellungen getroffen hat. Im Hinblick darauf, daß die Klägerin nur eine Formularanmeldung zur KVdR unterschrieben hat, reicht die Bestätigung der Gemeinde Steppach vom 2. Mai 1969 nicht aus, um feststellen zu können, ob die Klägerin darüber hinaus auch einen Befreiungsantrag gestellt hat. Das LSG wird zu ermitteln haben, welche Erklärungen die Klägerin vor der Gemeindebehörde im einzelnen abgegeben hat, ob ein widersprüchliches Verhalten der Klägerin vorliegt oder ob sie hinreichend deutlich ihren Willen auf Befreiung zum Ausdruck gebracht hat. Auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Befreiung (§ 173 a Abs. 1 RVO) wird das LSG nachzuprüfen haben. Insoweit bedarf der Rechtsstreit noch der Sachaufklärung. Auf die Revision der Klägerin hin war somit das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670198

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