Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherungsschutz bei Arbeitsbereitschaft. Unterbrechung des Heimwegs durch Abweg

 

Orientierungssatz

1. Versichert ist zwar auch derjenige, der bei einer mit der betrieblichen Beschäftigung in engem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang stehenden Vorbereitungshandlung verunglückt (vgl BSG 1980-01-31 8a RU 46/79 = SozR 2200 § 539 Nr 63). Der bloße Aufenthalt auf der Betriebsstätte - und demgemäß auch die bloße Mitfahrt in einem betrieblichen Fahrzeug - löst den Versicherungsschutz jedoch noch nicht aus, weil es keinen sogenannten Betriebsbann gibt.

2. Nach § 539 Abs 2 RVO ist nicht versichert, wer ohne den erklärten oder wenigstens mutmaßlichen oder gar gegen den erkennbaren Willen des Unternehmers in ein Unternehmen unterstützend eingreift oder eingreifen will (vgl BSG 1980-05-08 8a RU 86/79 = SozR 2200 § 539 Nr 67). Wer seine Unterstützung anbietet oder anbieten will, ist ebenfalls noch nicht versichert. Lehnt der Unternehmer die Unterstützung ab, bleibt der Anbietende und auch der tatsächlich Eingreifende unversichert. Nur wenn der Wille des Unternehmers dahin geht, den Anbietenden als Helfer anzunehmen und sich der Helfer deshalb arbeitsbereit macht, um jederzeit mit der Arbeit beginnen zu können, ist er während dieser im Einklang mit dem Willen des Unternehmers stehenden Arbeitsbereitschaft versichert.

3. Ein Abweg mit insgesamt 29 km kann im Verhältnis zum normalen betrieblichen Heimweg von etwa 9 km Länge nicht als räumlich und zeitlich geringfügig bewertet werden.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs 2 Fassung: 1963-04-30, § 550 Abs 1 Fassung: 1974-04-01, § 548 Abs 1 S 1 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 19.05.1979; Aktenzeichen L 6 U 364/78)

SG Stade (Entscheidung vom 13.10.1978; Aktenzeichen S 7 U 60/76)

 

Tatbestand

Streitig ist unter den Beteiligten, ob die Beklagte den tödlichen Verkehrsunfall des Ehemannes und Vaters der Kläger zu entschädigen hat.

Der 1944 geborene H K (K), der Ehemann und Vater der Kläger, war seit 1965 als Elektromaschinenbauer bei dem Elektromaschinenbaumeister H T (T) in C beschäftigt. Er wohnte mit den Klägern in L. Am 13. Februar 1976, einem Freitag, endete die Arbeit im Betrieb des T um 16.00 Uhr. Gegen 17.00 Uhr traf K verabredungsgemäß in der Wohnung des Mitarbeiters J (J) in C ein, in der ua auch bereits der Mitarbeiter M (M) anwesend war. Gemeinsam sahen sie sich dort einen von J im Ausland gedrehten Film an. Gegen 18.15 Uhr verließ K die Wohnung des J, begab sich zurück zum Betrieb und bat seinen Arbeitgeber, ihm den betriebseigenen VW-Transporter zur Heimfahrt auszuleihen, um damit auch am nächsten Morgen wieder zur Arbeit zu kommen. T war damit einverstanden, beauftragte K aber, bei dieser Gelegenheit zwei reparierte Elektrogeräte (kleine Handkreissäge und Netzanschlußgerät) bei den an seinem Wohnort ansässigen Kunden abzuliefern. K lud die Geräte auf, nahm die Lieferscheine mit und fuhr zur Wohnung des J zurück. Dort wollte M gegen 19.00 Uhr aufbrechen, um den letzten Zug zu seinem Wohnort I zu erreichen. K erklärte sich bereit, ihn mit dem VW-Transporter nach Hause zu fahren. Daraufhin blieb M noch in der Wohnung des J. Zwischen 20.15 Uhr und 20.30 Uhr verließen K und M die Wohnung des J und fuhren mit dem VW-Transporter nach L. Dort lieferte K die Elektrogeräte zwischen 20.45 und 21.00 Uhr an die Kunden des T aus, während M im Fahrzeug sitzen blieb. Auf der Weiterfahrt nach I kam K nach einer Rechtskurve infolge Eisglätte gegen 21.20 Uhr nach links von der Fahrbahn ab, fing sich auf dem linken Seitenstreifen und schleuderte über die Fahrbahn in den rechten Straßengraben. Er verstarb auf dem Weg ins Krankenhaus.

Durch Bescheid vom 26. April 1976 lehnte die Beklagte Entschädigungsansprüche der Hinterbliebenen des K ab: Auf der Fahrt von L nach I habe K keinen Unfallversicherungsschutz gehabt, weil er sie aus persönlicher Gefälligkeit gegenüber M unternommen habe.

Die Klage hat das Sozialgericht (SG) Stade durch Urteil vom 13. Oktober 1978 aus demselben Grunde abgewiesen. Die Berufung der Kläger hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen mit Urteil vom 16. Mai 1979 zurückgewiesen. Es hat den ursächlichen Zusammenhang zwischen einer versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis verneint, weil K auf einem unversicherten Abweg tödlich verunglückt sei und auch eine Fahrgemeinschaft zwischen K und M nicht habe festgestellt werden können.

Mit der zugelassenen Revision rügen die Kläger eine Verletzung der §§ 548, 550 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Sie machen geltend, M habe auf der Fahrt von C nach L an einer Auslieferungsfahrt des K teilgenommen. Deshalb habe für ihn aufgrund der dem Arbeitsverhältnis innewohnenden Treuepflicht Arbeitsbereitschaft bestanden; er habe einen Anspruch darauf gehabt, nach Auslieferung der Elektrogeräte mit dem VW-Transporter nach Hause zu fahren oder gefahren zu werden. Jedenfalls sei für ihn die Weiterfahrt in Richtung I ein nach § 550 RVO versicherter Heimweg und der ihn heimfahrende K wegen betrieblicher Beschäftigung versichert gewesen.

Die Kläger beantragen,

die Urteile der Vorinstanzen sowie den Bescheid

der Beklagten vom 26. April 1976 aufzuheben und

diese zu verurteilen, der Klägerin zu 1.

Witwenrente und den Klägern zu 2. und 3. Halbwaisenrente

aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab

13. Februar 1976 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.

Die streitigen Ansprüche auf Witwenrente und Waisenrente (§§ 590 und 595 RVO) setzen voraus, daß K als Ehemann und Vater der Kläger durch einen Arbeitsunfall zu Tode gekommen ist (§ 589 RVO). Als Arbeitsunfall wäre der Unfall des K anzusehen, wenn er ihn bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Beschäftigungen (§ 548 Abs 1 Satz 1 RVO) oder auf einem von § 550 RVO geschützten Weg erlitten hätte. Beides ist nicht der Fall.

Die Revision kann mit ihrem Vorbringen, K habe den tödlichen Unfall deshalb bei einer Betriebsarbeit erlitten, weil er den bis zur Auslieferung der reparierten Elektrokleingeräte in I arbeitsbereiten M danach mangels einer anderen Verkehrsverbindung habe heimfahren müssen, nicht durchdringen.

Versichert ist zwar auch derjenige, der bei einer mit der betrieblichen Beschäftigung in engem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang stehenden Vorbereitungshandlung verunglückt (vgl das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des erkennenden Senats vom 31. Januar 1980 - 8a RU 46/79 -). Der bloße Aufenthalt auf der Betriebsstätte - und demgemäß auch die bloße Mitfahrt in einem betrieblichen Fahrzeug - löst den Versicherungsschutz jedoch noch nicht aus, weil es keinen sogenannten Betriebsbann gibt. Wer sich aus nicht betriebsbedingten (privaten) Gründen auf der Betriebsstätte - oder in einem Betriebsfahrzeug - aufhält oder dort einer dem persönlichen Bereich zuzurechnenden Beschäftigung nachgeht, ist nicht versichert (BSG SozR 2200 § 548 Nr 15). Wie der erkennende Senat im Anschluß daran in dem ebenfalls zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 8. Mai 1980 - 8a RU 8ö/79 - entschieden hat, ist nicht nach § 539 Abs 2 RVO versichert, wer ohne den erklärten oder wenigstens mutmaßlichen oder gar gegen den erkennbaren Willen des Unternehmers in ein Unternehmen unterstützend eingreift oder eingreifen will. Wer seine Unterstützung anbietet oder anbieten will, ist ebenfalls noch nicht versichert. Lehnt der Unternehmer die Unterstützung ab, bleibt der Anbietende und auch der tatsächlich Eingreifende unversichert. Nur wenn der Wille des Unternehmers dahin geht, den Anbietenden als Helfer anzunehmen und sich der Helfer deshalb arbeitsbereit macht, um jederzeit mit der Arbeit beginnen zu können, ist er während dieser im Einklang mit dem Willen des Unternehmers stehenden Arbeitsbereitschaft versichert. Er steht dem Unternehmer wie ein Beschäftigter bereit, der vertragsgemäß auf der Arbeitsstätte erscheint, mit der Arbeit zwar aus betrieblichen Gründen noch nicht beginnen kann, sich aber arbeitsbereit halten muß.

Zur Annahme einer Arbeitsbereitschaft des M nach diesen Grundsätzen fehlt eine Erklärung oder eine Verhaltensweise des M, die darauf hindeuten könnte, daß er K bei der Auslieferung der reparierten Elektrogeräte erforderlichenfalls helfen wollte. Nach den Feststellungen des LSG waren nämlich die Aussicht, noch etwas bei J bleiben zu können, und die größere Bequemlichkeit das Motiv des M, nicht mit dem Zug, sondern mit K zu fahren. M hat sich auch an der Auslieferung der Elektrogeräte nicht beteiligt, er blieb vielmehr im Fahrzeug sitzen. Diesem Verhalten des M ist nichts dafür zu entnehmen, daß er vor oder während der Fahrt nach L daran dachte, die Auslieferung der Elektrogeräte erforderlichenfalls zusammen mit K oder anstelle des K im Interesse seines Arbeitgebers durchzuführen. Für eine Arbeitsbereitschaft des M auf der Fahrt von C nach L fehlt es mithin an einem Willen des M, der über das bloße Zusehen bei der Auslieferung der Elektrogeräte durch K hinausging und darauf gerichtet war, dem Unternehmen des T bei dieser Verrichtung in einer Weise helfen zu wollen, die bei verständiger Würdigung aller Umstände die Billigung des Unternehmers erwarten ließ. Auf die weitere Frage, ob M im Falle der Arbeitsbereitschaft Anspruch auf seinen Heimtransport durch K gehabt hätte, kommt es demnach nicht mehr an.

Ein Anspruch der Kläger auf Entschädigung wegen eines Wegeunfalls (§ 550 RVO) ergibt sich auch nicht, wie dies die Revision annehmen möchte, aus einem "Umweg" des K auf dem eigenen Heimweg zugunsten des Heimweges des M.

Wie das LSG festgestellt hat und die Revision nicht beanstandet, hat sich M zur Mitfahrt mit K erst entschieden, nachdem er seine betriebliche Tätigkeit bereits seit etwa drei Stunden beendet hatte. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl SozR 2200 § 550 Nrn 12 und 27) war M deshalb auf dem erst eine weitere Stunde danach fortgesetzten Heimweg nicht mehr versichert. Unterbrechungen des Weges vom Ort der versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit zur Wohnung, die insgesamt zwei Stunden überschreiten, schließen nämlich den Versicherungsschutz für den Rest des Weges aus. Da der Weg des M daher nicht mehr mit seiner betrieblichen Beschäftigung zusammenhing, ist schon deshalb die Annahme einer Fahrgemeinschaft zwischen M und K nach § 550 Abs 2 Nr 2 RVO ausgeschlossen (vgl BSG Urteil vom 30. September 1980 - 2 RU 23/79 -).

Endlich war K auf dem Weg, der ihn von dem zuletzt besuchten Kunden in L nach I und zurück zu seiner Wohnung in L führen sollte, auch nicht deshalb nach § 550 RVO versichert, weil es sich dabei nur um einen räumlich und zeitlich geringfügigen Abstecher von seinem Heimweg gehandelt hat (vgl hierzu BSG, aaO). Denn der Abweg mit insgesamt 29 km stand in gar keinem Verhältnis zu dem Rest des Heimweges von dem zuletzt besuchten Kunden zur Wohnung des K in L und könnte selbst im Verhältnis zum normalen betrieblichen Heimweg von C nach L von etwa neun km Länge nicht als räumlich und zeitlich geringfügig bewertet werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660273

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