Leitsatz (redaktionell)

Die Klage auf Verurteilung zum Erlaß eines unterlassenen Verwaltungsakts richtet sich nach SGG §§ 69, 70, 71 gegen das Land als juristische Person des öffentlichen Rechts, nicht gegen das VersorgA oder LVersorgA als Verwaltungsbehörde.

Der Antrag in der Klageschrift ist sowohl eine Prozeßhandlung mit dem Ziel auf einen bestimmten gerichtlichen Ausspruch als auch ein Antrag auf Leistungsgewährung an die Amtsstellen der Versorgungsverwaltung.

Erhält die Versorgungsbehörde die Klageschrift mit dem Antrag auf Gewährung von Härteausgleich, dann ist dieser Antrag, da das beklagte Land die Kriegsopferversorgung durch besondere Behörden durchführt, bei der Durchführungsbehörde der Kriegsopferversorgung eingegangen.

Die Durchführungsbehörde ist verpflichtet, nach KOVVfG §§ 22 ff auf jeden Antrag einen in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung begründeten Bescheid zu erteilen; diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn eine Leistung, auf die kein Rechtsanspruch besteht, sondern die in das Ermessen der Behörde gestellt ist, begehrt wird.

Besteht zur Zeit der Entscheidung des Gerichts kein zureichender Grund für die Unterlassung der Bescheiderteilung, dann kann der Beklagte verurteilt werden, den Antrag auf Gewährung eines Härteausgleichs zu bescheiden, auch wenn er erstmalig in der Klageschrift gestellt war.

 

Normenkette

SGG § 69 Fassung: 1953-09-03, § 70 Fassung: 1955-08-17, § 71 Abs. 5 Fassung: 1953-09-03; KOVVfG § 22 Fassung: 1955-05-02, § 23 Fassung: 1955-05-02, § 24 Fassung: 1955-05-02, § 25 Fassung: 1955-05-02, § 26 Fassung: 1955-05-02

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 15. Oktober 1954 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die am ... 1896 geborene Klägerin beantragte am 21. September 1950, ihr Versorgung nach ihrem am 5. März 1944 verstorbenen Ehemann zu gewähren, weil der Tod auf eine Kopfverletzung zurückzuführen sei, die ihr Ehemann am 27.November 1943 bei einem Luftangriff auf Berlin erlitten habe.

Das Versorgungsamt (VersorgA.) III Berlin hat den Antrag am 2. Oktober 1952 abgewiesen, weil der Tod des Ehemannes nicht als Folge einer Schädigung im Sinne der §§ 1 des Gesetzes über die Versorgung von Kriegs- und Militärdienstbeschädigten sowie ihren Hinterbliebenen vom 24. Juli 1940 - KVG - (VOBl. f. Berlin S. 318) und des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) angesehen werden könne. Den Einspruch der Klägerin vom 22.Oktober 1952 hat das Landesversorgungsamt (LVersorgA.) Berlin mit Entscheidung vom 14. Februar 1953 zurückgewiesen.

Die Klägerin hat vor dem Versorgungsgericht Klage erhoben, die auf das Sozialgericht (SG.) Berlin übergegangen ist, und beantragt, ihr Witwenrente, hilfsweise Witwenbeihilfe im Wege des Härteausgleichs nach § 89 BVG zu gewähren. Das SG. hat in seinem Urteil vom 14. Mai 1954 den Beklagten angewiesen, über den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Witwenrente im Wege des Härteausgleichs gemäß § 89 BVG nach erneuter Prüfung nochmals zu entscheiden, im übrigen die Klage abgewiesen.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte beim Landessozialgericht (LSG.) Berlin Berufung eingelegt mit dem Antrag, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen. Er hat ausgeführt, das SG. habe mit der im Urteilstenor ausgesprochenen Anweisung an die Verwaltungsbehörde seine Zuständigkeit überschritten. Im § 55 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) seien die Möglichkeiten, in welcher Richtung das Gericht entscheiden könne, erschöpfend aufgeführt. Dazu zähle jedoch nicht die Anweisung, einen Ermessensakt durchzuführen.

Das LSG. hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen mit der Maßgabe, daß die Behörde nicht eine nochmalige, sondern eine erste Entscheidung zu treffen habe, und hat die Revision zugelassen. Es hat u.a. ausgeführt, § 55 SGG betreffe nur Feststellungsklagen. Bei Anfechtungs- und Vornahmeklagen könne nach § 54 SGG die Verurteilung zum Erlaß eines rechtswidrig abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Ermessensfehler seien rechtswidrig. Danach könnten die Sozialgerichte die Behörden zum Erlaß eines das Ermessen richtig anwendenden Verwaltungsakts verurteilen. Das SG. habe mit Recht einen Ermessensfehler festgestellt, da das LVersorgA. von der Weitergabe des Antrags nach § 89 BVG mit der Begründung abgesehen habe, daß die Voraussetzungen für die Gewährung einer Beihilfe nach § 48 BVG nicht gegeben seien. Diese Erwägungen des LVersorgA. seien fehlgegangen, da § 89 BVG gerade für diejenigen Fälle geschaffen sei, bei denen auf Grund der sonstigen Vorschriften des BVG weder ein Rechts- noch ein Kann-Anspruch gegeben sei. Die Behörde habe aber durch ihren Antrag in der mündlichen Verhandlung auf Klageabweisung auch hinsichtlich des Hilfsantrags keinen ablehnenden Verwaltungsakt erlassen, sondern eine rein verfahrensrechtliche Handlung im Sinne des § 112 Abs. 2 SGG vorgenommen. Deshalb treffe die Annahme des Vorderrichters, die Behörde habe den Antrag auf Härteausgleich in der mündlichen Verhandlung abgelehnt, nicht zu, und der Ausspruch auf nochmalige Bescheiderteilung sei richtig zu stellen gewesen. Die Frist von sechs Monaten nach § 88 SGG für die Vornahmeklage habe nicht mit dem Inkrafttreten des SGG, sondern mit dem Bekanntwerden des Antrags bei der Verwaltungsbehörde zu laufen begonnen. Sie sei abgelaufen. Der Vorderrichter hätte in der mündlichen Verhandlung die Klage als Vornahmeklage werten müssen. Er habe dies dadurch getan, daß er die Behörde im Urteil verpflichtet habe, tätig zu werden. Der Klage stehe nicht entgegen, daß für die Bewilligung eines Härteausgleichs die oberste Landesbehörde für Arbeit zuständig sei. Partei im Rechtsstreit sei das Land, das sich zur Erfüllung seiner Versorgungsaufgaben des VersorgA., des LVersorgA. und der obersten Landesbehörde für Arbeit bediene. Die Behörden hätten, wenn sie einen Härteausgleich nicht gewähren wollten, die Möglichkeit, dies der Klägerin unter erschöpfender, eine gerichtliche Nachprüfung ihres Ermessens gestattender Angabe der Gründe mitzuteilen und sie bei günstiger Beurteilung der Sachlage davon zu verständigen, daß sie die Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit eingeholt hätten.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Revision eingelegt und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils der Berufung gegen die Entscheidung des SG. Berlin vom 14.Mai 1954 stattzugeben. Er rügt, das SG. habe die Grenzen für das Klagebegehren nicht beachtet. Über den Antrag auf Härteausgleich hätte nicht entschieden werden dürfen. Das LSG. habe zu Unrecht die Zulässigkeit der Entscheidung aus § 54 SGG hergeleitet. Der Antrag auf Härteausgleich sei nicht vor der Einleitung des Spruchverfahrens gestellt worden. Das VersorgA. sei nicht zuständig zur Bescheiderteilung sondern die oberste Landesbehörde. Eine Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde sei nach der Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts nicht möglich. Die Klägerin beantragte Zurückweisung der Revision.

Die Revision ist infolge Zulassung statthaft und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 162, 164 SGG). Sie konnte jedoch keinen Erfolg haben.

Nachdem die Versagung von Witwenrente dadurch rechtskräftig geworden ist, daß die Klägerin gegen das Urteil des SG. keine Berufung eingelegt hat, hatte das LSG. nur noch über die Untätigkeitsklage wegen des Antrags nach § 89 BVG zu entscheiden. Zu Unrecht rügt der Beklagte, die oberste Landesbehörde sei verpflichtet, einen solchen Antrag zu prüfen und zu bescheiden. Offenbar will er damit geltend machen, nicht das Versorgungsamt, sondern die oberste Landesbehörde sei die richtige Beklagte. Diese Ausführungen gehen fehl. Das LSG. ist in der angefochtenen Entscheidung hierauf mit zutreffenden Darlegungen eingegangen. Die Klage auf Verurteilung zum Erlaß eines unterlassenen Verwaltungsakts richtet sich gemäß §§ 69, 70, 71 SGG gegen das Land als juristische Person des öffentlichen Rechts, nicht gegen das VersorgA. oder das LVersorgA. als Verwaltungsbehörde. Die Kriegsopferversorgung wird vom Land Berlin ausgeführt. Das Land bedient sich hierzu verschiedener Dienststellen, nämlich des Senators für Sozialwesen, des LVersorgA. und der Versorgungsämter. Eine Verurteilung zum Erlaß eines Verwaltungsakts richtet sich deshalb immer gegen das beklagte Land als solches, aber nicht gegen bestimmte Dienststellen des Landes. Welche Dienststelle ein Urteil ausführt und den Verwaltungsakt nach den in Frage kommenden gesetzlichen Vorschriften zu erlassen hat, ist für die Verurteilung des Landes unerheblich.

Das LSG. hat den Beklagten zu Recht verurteilt, den Antrag auf Gewährung eines Härteausgleichs zu bescheiden, obwohl er erstmalig in der Klageschrift gestellt war. Der Antrag in der Klageschrift hat doppelte Bedeutung. Er ist Prozeßhandlung und zielt auf einen bestimmten gerichtlichen Ausspruch ab. Gleichzeitig aber ist er ein Antrag auf Leistungsgewährung nach dem Versorgungsgesetz und richtet sich an die Amtsstellen der Versorgungsverwaltung. Die Vorschriften über die Antragstellung waren in § 36 KVG enthalten und in § 54 der Ersten Durchführungsverordnung vom 12.Dezember 1950 (VOBl. f. Berlin S. 570) näher erläutert. § 36 wurde durch Art. 4 Abs. 2 des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges vom 12. April 1951 (GVBl. f. Berlin S.317) bis zum Erlaß des Gesetzes über das Verfahren der Kriegsopferversorgung vom 2. Mai 1955, in Berlin übernommen mit Gesetz vom 6. Mai 1955 (GVBl. f. Berlin S. 324), aufrechterhalten. Danach war der Antrag schriftlich oder mündlich beim zuständigen Bezirksamt, Abteilung Sozialwesen, zu stellen, das ihn an die für die Versorgung der Kriegsopfer zuständigen Versorgungsbehörden weiterleitete. Dies sind nach § 1 des Gesetzes über die Errichtung der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung vom 12. März 1951, in Berlin eingeführt mit Gesetz vom 23. November 1951 (GVBl. f. Berlin S. 1131), die Versorgungsämter und Landesversorgungsämter, die laut Beschluß des Senats von Berlin vom 18.Februar 1952 ab 1. Januar 1952 in Berlin errichtet wurden. Das LVersorgA. Berlin erhielt den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Härteausgleich, als ihm die Klageschrift, die vom Versorgungsgericht am 14.März 1953 abgesandt wurde, zuging. Da das beklagte Land die Kriegsopferversorgung nach dem BVG durch die oben aufgeführten besonderen Dienststellen durchführt, ist der Antrag bei der Durchführungsbehörde der Kriegsopferversorgung eingegangen.

Die Vorinstanzen sind also zutreffend von der wirksamen Stellung eines Antrags nach § 89 BVG ausgegangen.

Es kann unerörtert bleiben, ob zur Zeit der Entscheidung des SG. sämtliche Prozeßvoraussetzungen für die Verurteilung zur Bescheiderteilung vorlagen. Jedenfalls bestehen gegen das Urteil des LSG. insoweit keine Bedenken. Nach § 40 KVG, Art. 4 Abs. 2 des Gesetzes vom 12. April 1951 und seit dem 1. April 1955 nach §§ 22 ff. des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung vom 2. Mai 1955 hat die Durchführungsbehörde auf jeden Antrag einen schriftlichen Bescheid zu erteilen, der in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung zu begründen ist. Da das VersorgA. über die Gewährung eines Härteausgleichs nach § 89 BVG nicht selbst entscheiden kann, war es auf Grund seiner Unterstellung unter das LVersorgA. und den Senator für Sozialwesen nach dem Aufbau der Verwaltung der Kriegsopferversorgung verpflichtet, den Antrag dem LVersorgA. zuzuleiten. Dieses hatte wiederum aus den gleichen Gründen eine Entscheidung des Senators für Sozialwesen herbeizuführen bzw. der Klägerin einen begründeten Bescheid zu erteilen, wenn es die Gewährung des Härteausgleichs durch den Senator für Sozialwesen aus grundsätzlichen Erwägungen für unmöglich hielt, weil nach § 89 BVG ein Ausgleich im Rahmen der Kriegsfolgelasten (Art. 120 GG) nur gewährt werden kann, wenn sich eine besondere Härte aus den Vorschriften des BVG und nicht aus anderen Gründen ergibt.

Ein Bescheid ist - wie das LSG. zutreffend entschieden und der Beklagte nicht gerügt hat - bisher nicht erteilt worden. Auch die Frist von sechs Monaten nach § 88 SGG war zur Zeit der Entscheidung des LSG. verstrichen. Ferner ist es rechtswidrig, daß kein Bescheid erteilt worden ist, weil nach § 40 KVG, Art. 4 Abs. 2 des Gesetzes vom 12. April 1951 die Versorgungsbehörde grundsätzlich verpflichtet war, einen schriftlichen, begründeten Bescheid zu erteilen. Eine solche Verpflichtung bestand auch dann, wenn eine Leistung, auf die kein Rechtsanspruch besteht, sondern die in das Ermessen der Behörde gestellt ist, begehrt wird. Dies ist aus § 40 Abs. 6 KVG, § 62 Abs. 1 Buchstabe a der Ersten Durchführungsverordnung vom 13. Dezember 1950 (VOBl. für Berlin S. 570) und § 23 des Verfahrensgesetzes vom 2. Mai 1955 zu entnehmen. Zur Zeit der Entscheidung des LSG. bestand auch kein zureichender Grund für die Unterlassung der Bescheidserteilung, weil die Versagung der Witwenrente als Voraussetzung für die Gewährung eines Härteausgleichs rechtskräftig feststand.

Schließlich rügt der Beklagte zu Unrecht, die Vorinstanzen hätten eine unzulässige Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde ausgesprochen. Es handelt sich um eine sogenannte Untätigkeitsklage, durch die die Behörde verpflichtet werden soll, tätig zu werden. Dies haben die Vorinstanzen im Urteilsspruch festgesetzt. Wenn das SG. am Schluß der Gründe ausführt, die Entscheidung des Beklagten habe aufgehoben und die Angelegenheit zur erneuten Entscheidung an den Beklagten zurückverwiesen werden müssen, so bedeutet dies keine Zurückverweisung im technischen Sinne. Eine solche Zurückverweisung wäre allerdings nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG. 2 S. 94) unzulässig. Vielmehr hat das SG. mit diesen Ausführungen, wie sich aus der Urteilsformel ergibt, nur ausgedrückt, daß die Verwaltungsbehörde sich mit dem Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Härteausgleichs zu befassen und über ihn zu entscheiden hat. Der Urteilsausspruch des SG. wird durch eine derartige Wortfassung in den Gründen nicht berührt, so daß für das LSG. kein Anlaß bestand, das Urteil des SG. insoweit richtigzustellen.

Da das LSG. also den Beklagten zu Recht zur Bescheiderteilung über den Antrag auf Gewährung eines Härteausgleichs verurteilt hat, war die Revision unbegründet und, wie geschehen, zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2296967

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