Entscheidungsstichwort (Thema)

Bezüge iS § 2 Abs 1 Nr 7 AVG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Mitglieder geistlicher Genossenschaften, die als Angestellte in einem entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis zu einem Dritten für die Gemeinschaft tätig werden, sind nicht nach § 2 Abs 1 Nr 7, sondern nach § 2 Abs 1 Nr 1 AVG versicherungspflichtig.

2. Die Nachversicherung eines ausgeschiedenen Mitglieds einer geistlichen Genossenschaft nach AVG § 9 Abs 5 (= RVO § 1232 Abs 5) umfaßt nicht die Zeit eines solchen Beschäftigungsverhältnisses, auch wenn das Mitglied darin als Beamter versicherungsfrei gewesen ist.

 

Orientierungssatz

Bei den Geld- und Sachbezügen im Rahmen des § 2 Abs 1 Nr 7 AVG kann, weil nur das Verhältnis des Mitglieds zu seiner Gemeinschaft betroffen wird, wie auch in den Worten "persönlich erhalten" zum Ausdruck kommt, allein auf die Bezüge abgestellt werden, welche die Gemeinschaft entweder ihrerseits dem Mitglied zuwendet oder ihm aus einer Tätigkeit für die Gemeinschaft beläßt.

 

Normenkette

AVG § 2 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 2 Abs 1 Nr 7 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 5 Fassung: 1957-02-23; AVG § 2 Abs 1 Nr 7 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 5 Fassung: 1972-10-16; AVG § 9 Abs 1 Fassung: 1965-06-09; AVG § 9 Abs 5 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1232 Abs 1 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1232 Abs 5 Fassung: 1972-10-16; AVG § 112 Abs 4 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1385 Abs 4 Fassung: 1972-10-16

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 09.12.1980; Aktenzeichen L 6 An 884/78)

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 25.04.1978; Aktenzeichen S 2 An 888/77)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die klagende geistliche Genossenschaft die Beigeladene für die Zeit vom 28. Februar 1967 bis Februar 1976 bei der Beklagten gem § 9 Abs 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nachversichern muß.

Die Beigeladene war in dieser Zeit Mitglied der Klägerin und als Hauptlehrerin an der von der Klägerin betriebenen Mädchenschule tätig. Das Land Baden-Württemberg berief sie am 28. Februar 1967 zur Probe und ab Januar 1970 auf Lebenszeit in das Beamtenverhältnis. Im Februar 1976 beendete die Beigeladene ihre Mitgliedschaft bei der Klägerin, nicht jedoch ihre Unterrichtstätigkeit und das Beamtenverhältnis.

Die Klage gegen die von der Beklagten für die Zeit ab April 1960 angeordnete Nachversicherung (Bescheid vom 12. November 1976, Widerspruchsbescheid vom 17. März 1977) hatte in den Vorinstanzen für die streitige Zeit Erfolg; der Nachversicherungsbescheid wurde insoweit aufgehoben (Urteile des Sozialgerichts -SG- Karlsruhe vom 25. April 1978 und des Landessozialgerichts -LSG- Baden-Württemberg vom 9. Dezember 1980). Das LSG verneinte die Nachversicherungspflicht, weil die Klägerin in der streitigen Zeit nach § 2 Abs 1 Nr 1 oder nach § 2 Abs 1 Nr 7 AVG versicherungspflichtig gewesen sei; es ließ offen, ob Nr 1 sich neben Nr 7 überhaupt anwenden lasse. Nr 1 sei erfüllt, weil zwischen der Beigeladenen und dem Land Baden-Württemberg ein nach dieser Vorschrift versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestanden habe. Ebenso sei der Tatbestand der Nr 7 in der Fassung vor und nach dem Rentenreformgesetz (RRG) vom 16. Oktober 1972 gegeben; auch hier sei es unerheblich, daß das Land Baden-Württemberg das Gehalt - mit Zustimmung der Beigeladenen - unmittelbar der Klägerin überwiesen habe.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 2 Abs 1 Nr 7 und 9 Abs 5 AVG. Die Versicherungspflicht von Ordensmitgliedern richte sich ausschließlich nach § 2 Abs 1 Nr 7 AVG; Barbezüge im Sinne dieser Vorschrift habe die Beigeladene nicht erhalten.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben

und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist in der Sache unbegründet; die Klägerin muß die Beigeladene nicht auch für die streitige Zeit nachversichern.

Nach § 9 Abs 5 AVG - idF des RRG, die beim Ausscheiden der Beigeladenen aus der Klägerin galt und daher maßgebend ist - sind (ua) satzungsmäßige Mitglieder geistlicher Genossenschaften, die aus ihrer Gemeinschaft ausscheiden, für die Zeit ihrer Mitgliedschaft in der Gemeinschaft nachzuversichern, in denen sie aus anderen Gründen als wegen einer Schul-, Fachschul- oder Hochschulausbildung der Versicherungspflicht nicht unterlagen (1. Alternative) oder nach § 8 Abs 3 AVG befreit waren (2. Alternative). Da letzteres nicht der Fall war, hängt die Nachversicherung der Beigeladenen davon ab, ob sie in der streitigen Zeit der Versicherungspflicht nicht unterworfen war, wobei eine Schul-, Fachschul- oder Hochschulausbildung als Grund hierfür von vornherein nicht in Betracht kommt.

Bei der sonach gebotenen Prüfung der nicht bestandenen Versicherungspflicht kann der Senat nicht der von der Beklagten vertretenen Auffassung folgen, daß lediglich die Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 7 AVG gemeint sei. Diese Vorschrift begründet zwar eine Versicherungspflicht eigens für Mitglieder geistlicher Genossenschaften, an die in § 9 Abs 5 AVG gewiß in erster Linie gedacht ist; der Wortlaut des § 9 Abs 5 enthält jedoch keine Einschränkung auf die fehlende Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 7 AVG; dies wäre auch nicht sinnvoll, weil Zeiten einer anderweitigen Versicherungspflicht ebenfalls keiner Nachversicherung bedürfen.

Allerdings meinen die Beklagte und wohl auch die Klägerin, die Prüfung beschränke sich gleichwohl auf die Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 7 AVG, weil sich die Versicherungspflicht von Mitgliedern geistlicher Genossenschaften ausschließlich nach dieser Spezialvorschrift richte. Auch dieser Meinung tritt der Senat nicht bei.

§ 2 Abs 1 Nr 7 AVG ist mit Wirkung vom 1. März 1957 geschaffen worden. Nach der damaligen Fassung waren die Mitglieder geistlicher Genossenschaften - abgesehen von Ausbildungszeiten - versicherungspflichtig, wenn sie sich aus überwiegend religiösen oder sittlichen Beweggründen mit Krankenpflege, Unterricht oder anderen gemeinnützigen Tätigkeiten beschäftigten und persönlich neben dem freien Unterhalt Barbezüge von mehr als einem Zehntel der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze erhielten. Nach der Fassung durch das RRG sind sie - wiederum abgesehen von Ausbildungszeiten - während ihrer Tätigkeit für die Gemeinschaft (gleich welcher Art nun) versicherungspflichtig, wenn die persönlichen Barbezüge ein Achten der genannten Grenze übersteigen.

Aus dieser Abgrenzung der Versicherungspflicht ergibt sich nicht, daß die Mitglieder geistlicher Genossenschaften nicht nach § 2 Abs 1 Nr 1 AVG versicherungspflichtig sein könnten, wenn sie, wie in Nr 1 verlangt, "als Angestellte gegen Entgelt beschäftigt" sind. Die Rechtsprechung hat eine solche Versicherungspflicht für diejenigen Mitglieder bejaht, die zu einem Dritten in einem entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis stehen, obgleich die Mitglieder auch auf diese Weise "für den Orden" tätig werden; dabei wurde es für unerheblich angesehen, ob sie das Entgelt aus dem Beschäftigungsverhältnis der Gemeinschaft zukommen ließen (BSGE 13, 76 f; 25, 24, 26; SozR 5050 § 15 Nr 11). Die Entstehungsgeschichte des § 2 Abs 1 Nr 7 AVG alter und neuer Fassung (BT-Drucks II/3080 und VI/3167, Begründung jeweils zu § 1227 Abs 1 Nr 5 RVO) läßt nicht erkennen, daß es ab März 1957 keine derart begründete Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 1 AVG mehr geben sollte, vielmehr nun allein § 2 Abs 1 Nr 7 AVG maßgebend sei. Dem stünde auch entgegen, daß beide Vorschriften an unterschiedliche Verhältnisse anknüpfen: Nr 7 an das Verhältnis des Mitglieds zu seiner Gemeinschaft, Nr 1 dagegen an das Verhältnis zu einem Dritten als Arbeitgeber. Das bestätigen die Bestimmungen über die Beitragsentrichtung in § 112 Abs 4 AVG; nach ihnen hat neben dem Versicherten (dem Mitglied) demgemäß im Falle Nr 7 die Gemeinschaft und im Falle Nr 1 der Arbeitgeber die Pflichtbeiträge zu tragen.

Die in § 112 Abs 2 AVG festgelegte Höhe der Beiträge liefert zugleich ein weiteres Argument für die vom Senat vertretene Ansicht. Auch die Beiträge berechnen sich nämlich unterschiedlich, und zwar bei Versicherungspflicht nach Nr 1 aus dem bezogenen Bruttoarbeitsentgelt, bei Versicherungspflicht nach Nr 7 aus den Geld- und Sachbezügen, die die Mitglieder persönlich erhalten. Angesichts dessen würde der Ausschluß der Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 1 AVG im Regelfall den Versicherungsschutz des Ordensmitglieds verkürzen und es schlechter als andere Arbeitnehmer stellen. Im allgemeinen sind die Geld- und Sachbezüge, die die Gemeinschaftsmitglieder persönlich erhalten, geringer als das Bruttoarbeitsentgelt aus dem zu dem Dritten eingegangenen Beschäftigungsverhältnis. Bei den Geld- und Sachbezügen im Rahmen des § 2 Abs 1 Nr 7 AVG kann, weil nur das Verhältnis des Mitglieds zu seiner Gemeinschaft betroffen wird, wie auch in den Worten "persönlich erhalten" zum Ausdruck kommt, allein auf die Bezüge abgestellt werden, welche die Gemeinschaft entweder ihrerseits dem Mitglied zuwendet oder ihm aus einer Tätigkeit für die Gemeinschaft beläßt. Das vom Land Baden-Württemberg der Beigeladenen gezahlte Gehalt kann deshalb entgegen der Auffassung des LSG bei einer Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 7 AVG nicht berücksichtigt werden. Dagegen stellt das Gehalt, wie das LSG zutreffend dargelegt hat, ein Entgelt iS des § 2 Abs 1 Nr 1 AVG dar, weil es eine Gegenleistung des Landes für die ihm von der Beigeladenen erbrachte Dienstleistung ist und die unmittelbare Abführung an die Klägerin im Rahmen des § 2 Abs 1 Nr 1 AVG keine Bedeutung hat (BSGE 13 aaO).

Es kann aber nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber der Rentenreform von 1957 bzw des RRG von 1972 den Versicherungsschutz von Ordensmitgliedern schmälern wollte; seine Absicht war im Gegenteil dessen Erweiterung dadurch, daß künftig auch (unter gewissen Voraussetzungen) das Verhältnis des Mitglieds zu seiner Gemeinschaft der Versicherungspflicht unterworfen sein sollte. Deshalb müssen von der Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 7 AVG diejenigen Fälle ausgenommen sein, in denen sich die Tätigkeit des Mitglieds "für den Orden", wie hier in der streitigen Zeit, in einem entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis zu einem Dritten (hier: dem Land als Arbeitgeber) vollzieht. Diese Fälle sind § 2 Abs 1 Nr 1 AVG unterzuordnen. Dem steht nicht entgegen, daß im Wortlaut des § 2 Abs 1 Nr 7 AVG - anders als in den Nrn 2a, 10 und 11 - auf den Vorrang der Versicherungspflicht nach Nr 1 nicht verwiesen wird; dieser Vorrang ergibt sich auch so aus den dargestellten Erwägungen.

Bestand aber in der streitigen Zeit eine Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 1 AVG - was für den Fall der Anwendbarkeit dieser Vorschrift keiner der Beteiligten bezweifelt -, dann mangelt es an der für die Nachversicherung nach § 9 Abs 5 AVG (1. Alternative) erforderlichen Voraussetzung, daß das Gemeinschaftsmitglied "nicht der Versicherungspflicht unterlag". Insoweit bedarf es auch keiner Klärung mehr, ob die Beigeladene in dieser Zeit, wie wohl wahrscheinlich, wegen der ihr vom Land Baden-Württemberg gewährleisteten Versorgungsanwartschaft nach § 6 Abs 1 Nr 3 AVG versicherungsfrei gewesen ist. Dazu müßte noch eine Entscheidung der obersten Verwaltungsbehörde des Landes nach § 6 Abs 2 AVG über die gewährleistete Versorgungsanwartschaft ergangen sein (BSGE 50, 289, 290, 293 f), worüber das Berufungsurteil keine Feststellung enthält. Auch wenn die Beigeladene nämlich als Beamtin nach § 6 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 AVG versicherungsfrei gewesen ist, bedeutet dies nicht, daß sie iS des § 9 Abs 5 AVG "nicht der Versicherungspflicht unterlag". Denn dort ist nicht die Versicherungspflicht im konkreten Falle, sondern die Versicherungspflicht an sich gemeint; das ergibt sich schon daraus, daß andernfalls die 2. Alternative (Befreiung nach § 8 Abs 3 AVG) in § 9 Abs 5 AVG entbehrlich gewesen wäre. Im übrigen wäre es auch nicht sinnvoll, die nach § 2 Abs 1 Nr 1 AVG grundsätzlich versicherungspflichtigen, nach § 6 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 AVG aber konkret versicherungsfreien Personen nach § 9 Abs 5 AVG nachzuversichern, weil für sie das Gesetz im Bedarfsfall (beim Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung) die Nachversicherung nach § 9 Abs 1 AVG vorsieht; wie die Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 1 AVG ist auch diese Nachversicherung für sie vorteilhafter, weil ihr das bezogene Arbeitsentgelt zugrunde gelegt wird, während die Nachversicherung nach § 9 Abs 5 AVG, wie die Beklagte zu Recht vorträgt, hier und wohl auch häufig nur nach einem in § 124 Abs 2 AVG festgelegten geringeren "Mindestentgelt" erfolgen könnte.

Nach alledem besteht deshalb keine Nachversicherungspflicht nach § 9 Abs 5 AVG. An dieser Feststellung ist der Senat auch nicht verfahrensrechtlich deshalb gehindert, weil das Land Baden-Württemberg nicht zum Rechtsstreit beigeladen worden ist. Eine Beiladung des Landes, die im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden kann (§ 168 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), hätte zwar durch die Vorinstanzen gem § 75 Abs 1 Satz 1 SGG erfolgen sollen; das Revisionsgericht muß eine unterlassene Beiladung von Amts wegen jedoch nur dann beachten, wenn die Beiladung nach § 75 Abs 2 AVG notwendig gewesen wäre; ein derartiger Fall liegt hier nicht vor.

Die Revision der Beklagten war somit in der Sache zurückzuweisen. Bei der Kostenentscheidung hat der Senat berücksichtigt, daß die obsiegende Klägerin eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist und § 193 Abs 4 SGG für alle Körperschaften des öffentlichen Rechts einen Anspruch auf Kostenerstattung ausschließt; soweit die Vorinstanzen der Klägerin einen Ersatzanspruch gegenüber der Beklagten zugebilligt haben, waren daher diese Kostenentscheidungen aufzuheben.

 

Fundstellen

BSGE, 198

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