Leitsatz (redaktionell)

Ursachenzusammenhang im Unfallversicherungsrecht (Nachschaden); Ersatzanspruch nach RVO § 1504:

Um eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit handelt es sich nicht, wenn ein Verletzter, der durch einen Arbeitsunfall die Sehkraft eines Auges verloren hat, später unabhängig vom Arbeitsunfall auch auf dem anderen Auge die Sehkraft zeitweise einbüßt (unfallunabhängiger Nachschaden); das während der Dauer der dadurch verursachten AU gezahlte Krankengeld begründet deshalb keinen Ersatzanspruch nach RVO § 1504 Abs 1.

 

Normenkette

RVO § 1504 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. September 1975 wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Der Maschinenarbeiter H F (F.) erlitt am 6. August 1929 einen Arbeitsunfall, der zur Erblindung des rechten Auges führte. Die Beklagte gewährte ihm Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 25 v. H. .

Im Januar 1973 machte die Klägerin einen Ersatzanspruch bei der Beklagten geltend, weil F. vom 14. Oktober 1970 bis zum 6. Januar 1972 wegen "praktischer Blindheit beiderseits" arbeitsunfähig gewesen wäre und die Folgen des Arbeitsunfalles vom 6. August 1929 während dieser Zeit eine erheblich ins Gewicht fallende Mitursache der Arbeitsunfähigkeit dargestellt hätten. Die Beklagte lehnte den Ersatzanspruch ab, da ihr die Klägerin eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht rechtzeitig gemeldet hätte und bei F. seit dem 13. Oktober 1970 eine Cerebralsklerose und ein altersentsprechendes Emphysem vorliege, welche die Arbeitsunfähigkeit bedingt hätten.

Die Klägerin hat am 11. November 1974 Klage erhoben und den Ersatzanspruch mit etwa 8.000,- DM angegeben.

Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 18. März 1975 die Klage abgewiesen und u. a. ausgeführt: Ein Ersatzanspruch käme nur in Betracht, wenn die Einbuße der Sehkraft auf dem linken Auge Folge eines Arbeitsunfalles wäre, was nicht der Fall sei. Der Ersatzanspruch setze eine Krankheit voraus, welche die Folge eines Arbeitsunfalles sei und deshalb von dem Träger der Unfallversicherung entschädigt werden müsse. Die Problemstellung entspreche den bei Nachschäden auftretenden Fragen.

Die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 17. September 1975 u. a. mit der Begründung zurückgewiesen: Der Verlust der Sehkraft des linken Auges, der die ärztliche Inanspruchnahme im Jahre 1970 notwendig gemacht und erst zur Arbeitsunfähigkeit geführt habe, sei nicht Folge des Arbeitsunfalles vom 6. August 1929. Bei einer Abwägung der in Betracht kommenden Teilursachen müsse davon ausgegangen werden, daß der Erblindung des linken Auges im Jahre 1970 für den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 13. Oktober 1970 gegenüber den Folgen des Arbeitsunfalles vom 6. August 1929 eine so überragende Bedeutung zukomme, daß nur sie als wesentliche Bedingung des Erfolges im Rechtssinne zu beurteilen sei. Eine analoge Anwendung der vom Bundessozialgericht (BSG) zur Frage der Verursachung von Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 558 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aufgestellten Grundsätze komme nicht in Betracht.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie führt aus: Das LSG habe zu Unrecht eine analoge Anwendung der vom BSG zur Frage der Verursachung von Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 558 RVO aufgestellten Grundsätze abgelehnt. Auslösender Faktor der Arbeitsunfähigkeit sei zwar der Verlust der Sehfähigkeit auf dem linken Auge gewesen. Die vollständige Erblindung wäre jedoch allein durch diesen Verlust nicht eingetreten, sondern nur deshalb, weil der Versicherte schon auf dem rechten Auge durch einen Arbeitsunfall erblindet gewesen sei. Nur durch das Zusammentreffen beider Tatsachen sei die Arbeitsunfähigkeit eingetreten. Da die zeitliche Reihenfolge beider Ursachen ohne Bedeutung und ein Auge so wertvoll wie das andere sei, lägen hier zwei gleichwertige Ursachen vor. Bei gleichgewichtigen Ursachen für den Eintritt des Erfolges sei jede für sich eine wesentliche Bedingung.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die aus Anlaß der Erblindung des Versicherten F in der Zeit vom 14. Oktober 1970 bis zum 6. Januar 1972 erbrachten Leistungen der Krankenhilfe im Rahmen des § 1504 RVO zu ersetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Schon rein zahlenmäßig könne eine MdE um 25 v. H. kaum als wesentliche Ursache für eine später eintretende nicht unfallbedingte völlige Erwerbsunfähigkeit angesehen werden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - ).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist nicht begründet.

Die Klägerin hat keinen Ersatzanspruch gemäß § 1509 RVO idF bis zum Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes - UVNG - vom 30. April 1963 (BGBl I 241 - RVO aF - ; s. Art. 4 §§ 1, 4 UVNG) wegen des in der Zeit vom 14. Oktober 1970 bis zum 6. Januar 1972 aus Anlaß der Erblindung des linken Auges dem Versicherten F. gezahlten Krankengeldes. Hat die Krankenkasse Aufwendungen gemacht, die nach den §§ 1505 bis 1508 RVO aF zu Lasten des Trägers der Unfallversicherung gehen, so hat er sie ihr zu ersetzen (§ 1509 RVO aF). Ist eine Krankheit die Folge eines Arbeitsunfalles, den der Träger der Unfallversicherung zu entschädigen hat, so trägt die Krankenkasse die Aufwendungen für Heilverfahren und wiederkehrende Geldleistungen an den Verletzten während der ersten 45 Tage nach dem Unfall, soweit sie nicht über das hinausgehen, was die Krankenkasse aufgrund der Krankenversicherung zu leisten hat (s. §§ 1504, 1505 RVO aF).

Allgemeine Voraussetzung für einen Ersatzanspruch des Trägers der Krankenversicherung ist, daß er für einen Versicherten wegen einer Erkrankung, die Folge eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit ist, Leistungen erbracht hat und der Träger der Unfallversicherung wegen der Vorleistungspflicht der Krankenkasse nicht hat leisten müssen (sogenannte Einheit des Leistungsgrundes, s. u. a. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-8. Aufl., S. 964 u; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 1504 Anm. 5 Buchst. b). Der Ersatzanspruch nach § 1509 RVO aF dient dem Ausgleich für die Vorleistungspflicht der Krankenkasse in Versicherungsfällen, die zwar auch ihre Leistungspflicht gegenüber dem Versicherten begründen, aber dem Risikobereich des Trägers der Unfallversicherung zuzurechnen sind (BSG 34, 85, 86 - zu § 1504 RVO; Brackmann aaO S. 964 q ff.; Lauterbach aaO § 1504 Anm. 2).

Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist der Verlust der Sehkraft am linken Auge des F. keine Folge des Arbeitsunfalles vom 6. August 1929. Die Klägerin hält ihren Ersatzanspruch jedoch deshalb für begründet, weil ohne die Folgen dieses Arbeitsunfalles der Verlust der Sehkraft am linken Auge nicht zur Arbeitsunfähigkeit des F. geführt hätte. F. ist nach der Auffassung der Klägerin wegen seiner auf den Verlust der Sehkraft sowohl des rechten als auch des linken Auges zurückzuführenden Blindheit in dem oben angeführten Zeitraum arbeitsunfähig gewesen. Die Klägerin führt somit die Arbeitsunfähigkeit wesentlich auch auf den Verlust der Sehkraft des rechten Auges und damit auf eine Krankheit zurück, die Folge eines Arbeitsunfalles ist. Es ist nicht zu verkennen, daß rein kausal betrachtet für die Blindheit der Verlust der Sehkraft sowohl des linken als auch des rechten Auges gleichwertige Bedingungen bilden (vgl. auch BSG Urteil vom 10. Dezember 1975 - 9 RV 112/75 - zur Veröffentlichung vorgesehen; Brackmann aaO S. 480 h - jeweils mit weiteren Nachweisen). Auch bei der Prüfung der Wesentlichkeit einer Bedingung im Sinne der in der Unfallversicherung geltenden Kausalitätslehre handelt es sich jedoch nicht eigentlich um eine spezielle Frage der Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, sondern um die Ermittlung der Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz reicht (BSG aaO; Brackmann aaO; Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, 1969, S. 120; Watermann, Die Ordnungsfunktionen von Kausalität und Finalität im Recht, 1968, S. 98, 104; Wallerath, VSSR 1974, 233, 234, 240). Unter Beachtung der notwendigen Grenzziehung begründen, was die Klägerin grundsätzlich nicht verkennt, nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. BSG 27, 142, 145; Brackmann aaO S. 568 e und Lauterbach aaO § 622 Anm. 2 Buchst. c, aa - jeweils mit weiteren Nachweisen) und der Senate des BSG für Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung (s. zuletzt BSG Urteil vom 10. Dezember 1975 - 9 RV 112/75) sogenannte Nachschäden, also Gebrechen oder Gesundheitsstörungen, die nach dem Arbeitsunfall unabhängig von diesem eintreten, keine höhere MdE, weil sie die Unfallfolgen nicht verschlimmern. Der diese Rechtsprechung bestimmende Grundgedanke, daß - abgestellt auf den vorliegenden Fall - nach dem Verlust der Sehkraft des rechten Auges durch einen Arbeitsunfall die versicherungsrechtlich erhebliche Ursachenkette abgeschlossen ist und ohne eine Verschlimmerung in diesem Folgezustand selbst nicht durch einen Nachschaden am anderen Auge beeinflußt werden kann (vgl. BSG Bd. 27 aaO; BSG Urteile vom 10. Dezember 1970 - 9 RV 112/75), gilt auch hinsichtlich der Zahlung von Verletztengeld. Die zudem anders gelagerten Problem der Pflegebedürftigkeit infolge Hilflosigkeit zur Unfallversicherung (s. BSG 25, 49) und zur Kriegsopferversorgung (s. BSG 13, 40; 17, 114, 118, 119; BSG Urteil vom 10. Dezember 1975 - 9 RV 162/75) ergangenen Entscheidungen rechtfertigen hier entgegen der Auffassung der Klägerin keine andere Beurteilung. Wie das BSG vor allem in seinen Urteilen vom 19. Juni 1962 (BSG 17, 114, 119) und vom 10. Dezember 1975 (aaO) näher dargelegt hat, soll die nach dem Bundesversorgungsgesetz zu gewährende Pflegezulage zusätzlich für einen weiteren Schaden, nämlich die infolge der Schädigung eingetretene Hilflosigkeit, einen billigen Ausgleich darstellen. Dies gilt auch für das Pflegegeld in der gesetzlichen Unfallversicherung. Dagegen ist das Verletztengeld ebenso wie zum Teil die Verletztenrente dazu bestimmt, den durch den Unfall bedingten wirtschaftlichen Schaden auszugleichen. Liegt dieser Schaden abgeschlossen vor, so kann ohne Änderung dieses Zustandes - anders als bei der einen weiteren Schaden bildenden Hilflosigkeit - durch einen unfallunabhängigen Nachschaden kein versicherungsrechtlich erheblicher wirtschaftlicher Schaden eintreten.

Die Beklagte war demnach nicht verpflichtet, F. vom 14. Oktober 1970 bis zum 6. Januar 1972 wegen der infolge eines unfallunabhängigen Nachschadens eingetretenen praktischen Blindheit Verletztengeld zu gewähren. Die Beklagte ist somit nicht wegen einer Vorleistungspflicht der Klägerin von der Zahlung von Verletztengeld befreit worden. Damit entfällt insoweit ein Ersatzanspruch der Klägerin, so daß dahinstehen kann, ob ein Ersatzanspruch nicht außerdem gemäß § 1509 Abs. 3 RVO aF ausgeschlossen wäre.

Eine Kostenentscheidung entfällt (vgl. § 193 Abs. 4 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649863

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