Leitsatz (amtlich)

Hat die Witwe eines Wanderversicherten zur Zeit ihrer zweiten Eheschließung keinen Anspruch auf eine Witwenrente aus der Arbeiterrentenversicherung, sondern nur einen Anspruch auf eine Witwenrente aus der Angestelltenversicherung gehabt, so kann auch nur dieser Anspruch wieder aufleben. Als Rente nach AVG § 68 Abs 2 ist in diesem Falle keine Gesamtleistung aus den an beide Versicherungsträger entrichteten Beiträgen zu gewähren.

 

Normenkette

AVG § 68 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1291 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 16. Juni 1967 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Oktober 1966 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin, geboren am 8. Mai 1899, war in erster Ehe mit dem am 8. März 1947 verstorbenen Bankangestellten H B (B.) verheiratet. B. entrichtete Beiträge sowohl zur Arbeiterrentenversicherung (ArV) als auch zur Angestelltenversicherung (AnV).

Am 5. Mai 1952 ging die Klägerin ihre zweite Ehe ein. Diese Ehe wurde am 26. Mai 1965 aus Verschulden des Mannes geschieden.

Im Juli 1965 beantragte die Klägerin, ihr eine Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen ersten Ehemannes B. zu gewähren.

Mit Bescheid vom 19. Januar 1966 erkannte die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf eine Rente nach § 68 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - (wiederaufgelebte Witwenrente) an; sie gewährte diese Rente jedoch nur aus den zur AnV, dagegen nicht aus den zur ArV entrichteten Beiträgen des B.; die Klägerin habe zur Zeit ihrer zweiten Eheschließung im Mai 1952 keinen Anspruch auf eine Witwenrente aus der ArV gehabt, da sie die persönlichen Voraussetzungen hierfür nach § 1256 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF nicht erfüllt hätte; ein Anspruch dieser Art habe daher auch nicht wiederaufleben können.

Das Sozialgericht (SG) Berlin wies die Klage durch Urteil vom 14. Oktober 1966 ab.

Auf die Berufung der Klägerin hob das Landessozialgericht (LSG) Berlin das Urteil des SG auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin in einem Ergänzungsbescheid die Hinterbliebenenrente als Gesamtleistung seit Rentenbeginn zu gewähren.

Das LSG führte aus, die Klägerin habe zwar zur Zeit der zweiten Eheschließung nur einen Anspruch auf Witwenrente aus der AnV gehabt; aus der ArV hätten ihr nach damaligem Recht keine Leistungen gewährt werden können, die Leistungsgewährung sei erst nach einer späteren Rechtsänderung ab 1. August 1955 möglich gewesen. Dies sei aber nicht entscheidend. Wesentlich sei vielmehr, daß im Zeitpunkt der Wiederverheiratung überhaupt ein Witwenrentenanspruch bestanden habe und nicht, ob und gegebenenfalls in welchem Umfange Leistungsanteile auch aus einem anderen Versicherungszweig zu gewähren gewesen seien. Der Klägerin müsse jetzt als Rente nach § 68 Abs. 2 AVG eine Gesamtleistung aus allen Beiträgen gewährt werden.

Das LSG ließ die Revision zu.

Die Beklagte legte formgerecht und fristgerecht Revision ein. Sie beantragte,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Beklagte rügte, das LSG habe § 68 Abs. 2 AVG verletzt.

Die Klägerin beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligte erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die Revision der Beklagten ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG); sie ist auch begründet.

Die Beklagte hat der Klägerin - entgegen der Auffassung des LSG - zu Recht als Rente nach § 68 Abs. 2 AVG (wiederaufgelebte Witwenrente) nur eine Rente aus den Beiträgen zur AnV gewährt. Das Wiederaufleben einer Witwenrente nach § 68 Abs. 2 AVG setzt voraus, daß im Zeitpunkt der Wiederheirat ein Anspruch auf Witwenrente bestanden hat, der durch die Wiederheirat weggefallen ist (BSG 14, 238; 19, 97). Die Klägerin hat, wie auch das LSG ausgeführt hat, zur Zeit ihrer zweiten Eheschließung nur einen Anspruch auf eine Witwenrente aus der AnV gehabt; ein Anspruch auf eine Witwenrente aus der ArV hat ihr in diesem Zeitpunkt nicht zugestanden, weil sie die persönlichen Voraussetzungen hierfür nach dem damaligen Recht nicht erfüllt hat (§ 23 Abs. 1 des Rentenversicherungs-Überleitungsgesetzes vom 10.7.52 - RVÜG - Gesetzes- und Verordnungsblatt für Berlin S. 588 -). Ein Anspruch auf die Leistungsanteile der ArV hat daher nicht nach § 68 Abs. 2 AVG wiederaufleben können. Dazu hat auch nicht der Umstand führen können, daß die Klägerin diesen Anspruch nach Wegfall der einschränkenden Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 RVÜG (vgl. Gesetz vom 18.5.1956 - Gesetzes- und Verordnungsblatt für Berlin, S. 529) in einem späteren Zeitpunkt, nämlich ab 1. August 1955, erworben hätte, wenn sie unverheiratet geblieben wäre.

Es trifft zwar zu, daß die Rente der Klägerin nach § 68 Abs. 2 AVG ihrer Höhe nach so zu berechnen gewesen ist, als ob sie durchgehend bezogen worden sei, also unter Berücksichtigung der Umstellungs- und Anpassungsvorschriften (Art. 2 §§ 30 ff des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG -). Dies rechtfertigt aber nicht die Annahme, es sei bei der Feststellung der Rente nach § 68 Abs. 2 AVG auch zu berücksichtigen, daß die Klägerin in der Zwischenzeit ohne Wiederheirat den Anspruch auf eine Rente aus der ArV erworben hätte. Die Frage, ob Leistungsanteile aus der ArV zu gewähren sind, betrifft nicht die Berechnung der Höhe der wiederaufgelebten Witwenrente; es geht hier vielmehr um die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungsanteilen (aus den verschiedenen Versicherungszweigen eines Wanderversicherten), sie betreffen den Grund des Anspruchs auf Rente (bzw. auf Leistungsanteile). Die Vorschriften über die Wanderversicherung (§§ 87 ff AVG; vgl. auch Art. 2 §§ 28, 29 AnVNG) lassen dies deutlich erkennen. Sie unterscheiden zwischen der Frage, ob Leistungsanteile aus mehreren Versicherungszweigen zu gewähren sind, und der Frage der Berechnung der Leistungen als Gesamtleistung, wenn der Leistungsfall in mehreren Versicherungszweigen gegeben ist. Nach § 89 Abs. 1 Satz 1 AVG wird eine Leistung beim Eintritt des Versicherungsfalles nur aus den Zweigen der Rentenversicherung gewährt, deren Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind. Die Ansprüche auf Rente bzw. auf Leistungsanteile aus jedem Versicherungszweig bleiben danach selbständig. Die Leistungsvoraussetzungen sind gesondert nach den für den betreffenden Versicherungszweig maßgebenden Vorschriften zu prüfen. Ergibt diese Prüfung, daß die Leistungsvoraussetzungen nicht in mehreren Versicherungszweigen erfüllt sind, so ist für die Berechnung einer Gesamtleistung i.S. des § 89 Abs. 2 bis Abs. 7 kein Raum. Der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Leistungsanteilen aus der ArV ist danach kein (rentenerhöhender) Berechnungsfaktor, der beim "späteren Hinzukommen" bei der Feststellung der wiederaufgelebten Witwenrente (aus der AnV) zu berücksichtigen ist; es ist vielmehr ein selbständiger Rentenanspruch. Da dieser Anspruch aber in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der zweiten Eheschließung nicht bestanden hat, weil die Leistungsvoraussetzungen nicht erfüllt gewesen sind, hat er auch nicht wiederaufleben können; insoweit ist keine Rente weggefallen, die zu ersetzen wäre.

Die "wiederzugewährende" Rente ist nur die Rente, die der Klägerin damals zugestanden hat und die durch ihre Eheschließung weggefallen ist, also die Rente aus den Beiträgen zur AnV.

Dieses Ergebnis ist auch nicht unbillig, wenn berücksichtigt wird, daß der Klägerin bei ausschließlicher Beitragsleistung zur ArV überhaupt keine "wiederaufgelebte Witwenrente" hätte gewährt werden können (vgl. auch BSG 14, 238 ff).

Das LSG hat danach die Rechtslage nicht zutreffend beurteilt, die Revision der Beklagten ist begründet.

Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, die Berufung der Klägerin gegen das - die Klage abweisende - Urteil des SG ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2374837

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