Leitsatz (amtlich)

Ein "Hirnverletzter" im Sinne des BVG § 35 Abs 1 S 3 ist auch ein Beschädigter, der an den Folgen einer als Wehrdienstbeschädigung anerkannten Hirnerkrankung leidet, wenn sein Leidenszustand gleiche Äußerungsformen aufweist, wie der eines "Hirnverletzten".

 

Normenkette

BVG § 35 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1953-08-07

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Oktober 1955 wird aufgehoben. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Württembergischen Oberversicherungsamts vom 7. Februar 1952 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Kläger war während seiner Dienstzeit beim Reichsarbeitsdienst im Jahre 1934 an einer Hirnhautentzündung erkrankt. Mit Bescheid vom 12. November 1947 gewährte ihm die Landesversicherungsanstalt (LVA.) Württemberg nach dem Württemberg-Badischen Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG) vom 21. Januar 1947 wegen "Teillähmung der linken Körperhälfte nach Gehirnentzündung im Sinne der Entstehung" als Leistungsgrund eine Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) von 70 v.H.

Im September 1949 beantragte der Kläger, ihm die Vollrente zu gewähren, da sein Leiden sich durch das Auftreten schwerer Blickkrämpfe und Anfälle verschlimmert habe. Der Nervenarzt Dr. S... hielt den Kläger wegen seines neurologischen Zustandsbildes (Blickkrämpfe, Schauanfälle, Schüttellähmung) für erwerbsunfähig, er vermerkte dazu, daß die Gewährung einer Pflegezulage jedoch vorläufig nicht erforderlich sei. Die LVA. gewährte darauf dem Kläger mit Bescheid vom 13. März 1950 ab 1. Oktober 1949 eine Rente nach einer MdE. von 100 v.H., als Leistungsgrund bezeichnete sie "Folgen von Gehirnhautentzündung".

Im November 1950 beantragte der Kläger die Gewährung einer Pflegezulage, er machte geltend, er könne infolge häufiger und langdauernder Blickkrämpfe nicht ohne Begleitung ausgehen, er sei deshalb hilflos im Sinne des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Mit Bescheid vom 14. Juni 1951 (Umanerkennungsbescheid) erkannte das Versorgungsamt I Stuttgart den bisherigen Leistungsgrund als Schädigungsfolge nach dem BVG an und bewilligte dem Kläger ab 1. Oktober 1950 Grund- und Ausgleichsrente nach der MdE. von 100 v.H., die Gewährung einer Pflegezulage lehnte es ab.

Der Kläger legte wegen der Pflegezulage Berufung (nach altem Recht) beim Württembergischen Oberversicherungsamt (OVA.) ein.

Durch Urteil vom 7. Februar 1952 änderte das OVA. den Bescheid vom 14. Juni 1951 und verurteilte den Beklagten, dem Kläger ab 1. November 1950 Pflegezulage von monatlich 50,-- DM (einfache Pflegezulage) zu gewähren: Der Kläger sei hilflos und pflegebedürftig im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG, er müsse dem erwerbsunfähigen Hirnverletzten gleichgestellt werden, dem bei voller Erwerbsunfähigkeit stets ein Anspruch auf die einfache Pflegezulage zustehe (§ 35 Abs. 1 Satz 3 BVG).

Gegen dieses Urteil legte der Beklagte Rekurs beim früheren Landesversicherungsamt Württemberg-Baden ein. Das Landessozialgericht (LSG.) Baden-Württemberg, auf das der Rekurs als Berufung nach § 215 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) übergegangen war, hob mit Urteil vom 28. Oktober 1955 das Urteil des OVA. auf und wies die Klage ab: Die Berufung sei statthaft, da Ausschlußgründe weder nach altem Recht für den Rekurs (§ 1700 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) noch nach dem SGG (§§ 144, 148) für die Berufung vorgelegen hätten. Die Pflegezulage stehe dem Kläger nicht zu, er sei Hirnbeschädigter, nicht Hirnverletzter, er könne sich daher nicht auf die Sondervorschrift des § 35 Abs. 1 Satz 3 BVG berufen; sein jetziger Zustand bedinge nach den Erhebungen auch nicht Hilflosigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG. Das LSG. ließ die Revision zu.

Gegen das ihm am 6. Dezember 1955 zugestellte Urteil legte der Kläger am 12. Dezember 1955 Revision ein und beantragte,

das Urteil des LSG. aufzuheben und die Berufung des Beklagten als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.

Er begründete die Revision am 6. Februar 1956: Das LSG. habe die Berufung zu Unrecht als statthaft angesehen, es handele sich hier um einen Streit über die Neufestsetzung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse, die Berufung sei daher nach § 148 Nr. 3 SGG ausgeschlossen; auch der Rekurs gegen das Urteil des OVA. sei nach § 1700 Nr. 1 RVO nicht statthaft gewesen; das LSG. habe die Vorschrift des § 35 Abs. 1 Satz 3 BVG unrichtig angewandt, der Kläger sei erwerbsunfähiger "Hirnverletzter" im Sinne dieser Vorschrift.

Der Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist zulässig (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), sie ist auch begründet.

Zu Unrecht rügt allerdings der Kläger, das LSG. habe keine Sachentscheidung treffen dürfen; es habe vielmehr die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des OVA. als unzulässig verwerfen müssen. Das LSG. ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Berufung nur statthaft war, wenn das Rechtsmittel sowohl nach dem Recht vor als auch nach dem Inkrafttreten des SGG gegeben war (BSG. 1 S. 204; 1 S. 208; 1 S. 264; 2 S. 225). Das LSG. hat auch mit Recht angenommen, daß im vorliegenden Falle weder der Rekurs nach § 1700 Nr. 1 RVO noch die Berufung (nach neuem Recht) nach § 148 Nr. 3 SGG ausgeschlossen war.

Das Pflegegeld, das auf Grund der Bestimmungen des KBLG neben der Rente gewährt werden konnte, war Bestandteil der Krankenbehandlung (§ 1 Abs. 1 KBLG, 558 Nr. 1, 558 b, 558 c RVO); hierfür war der Rekurs nach § 1700 Nr. 1 RVO ausgeschlossen. Anders ist die Rechtslage jedoch bei der Pflegezulage nach dem BVG. Die Versorgung umfaßt nach § 9 BVG verschiedene, an sich selbständige Ansprüche. Dazu gehört die Heilbehandlung und - neben der Beschädigtenrente - die Pflegezulage (§ 9 Nr. 3 BVG). Sie wird - unabhängig von der Heilbehandlung - gewährt, wenn der Beschädigte infolge der Schädigung so hilflos ist, daß er nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen kann (§ 35 Abs. 1 BVG), sie ist der Ausgleich für erhöhte Aufwendungen, die dem Beschädigten durch fremde Wartung und Pflege entstehen, aber nicht Teil der Krankenbehandlung. Die Pflegezulage nach § 35 BVG fällt daher nicht unter die Krankenbehandlung im Sinne von § 558 Nr. 1 RVO, für die der Rekurs nach § 1700 Nr. 1 RVO ausgeschlossen gewesen ist. Der Rekurs ist vielmehr insoweit nach § 1699 RVO zulässig gewesen (vgl. Beschluß des BSG. vom 4.7.1958 - 11/8 RV 1169/56; Bayer. LVA. vom 27.1.1953 in Bayer. AMBl. 1953 B 73). Das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG.) vom 29. Februar 1956 (2 S. 225) steht dem nicht entgegen; dort hat es sich nicht um die Pflegezulage nach dem BVG, sondern um das Pflegegeld nach dem KBLG gehandelt.

Auch nach dem SGG ist die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil statthaft. Der Berufungsausschlußgrund des § 148 Nr. 3 SGG ist nicht gegeben. Das Urteil im ersten Rechtszuge betrifft nicht die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 148 Nr. 3 SGG, es betrifft vielmehr die Erstfeststellung der Pflegezulage nach dem BVG. Ein früherer Bescheid, in dem erkennbar - bejahend oder verneinend - über die Pflegezulage entschieden worden ist, hat nicht vorgelegen. Unter diesen Umständen ist die Berufung nicht nach § 148 Nr. 3 SGG ausgeschlossen (vgl. BSG. 3 S. 271 [273]; BSG. Urteil vom 31.3.1957, SozR. zu § 148 Nr. 13; Urteil vom 12.12.1957 - 10 RV 1035/55 -).

Das LSG. ist danach befugt gewesen, sachlich zu entscheiden. Soweit es den Kläger nicht als erwerbsunfähigen Hirnverletzten im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 3 BVG angesehen hat, kann jedoch der Senat seiner Rechtsauffassung nicht folgen. Das LSG. hat angenommen, der Kläger sei zwar Hirnbeschädigter, nicht aber Hirnverletzter, weil sein Gehirn nicht durch eine äußere Gewalteinwirkung geschädigt worden ist; es hat sich bei seiner Auslegung des Begriffs "Hirnverletzter" einer Begriffsbestimmung der Verwaltungsvorschriften zum BVG angeschlossen und angenommen, diese Begriffsbestimmung entspreche dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung und stimme mit dem Sprachgebrauch überein. Es ist richtig, daß der vom Gehirn ausgehende Leidenszustand des Klägers, der seine Erwerbsunfähigkeit bedingt, nicht durch eine äußere Gewalteinwirkung auf das Gehirn eingetreten ist, sondern sich als Folgezustand einer (wehrdienstbedingten) Erkrankung darstellt. Dieser Umstand rechtfertigt es jedoch nicht, dem Kläger die Sonderstellung, die dem erwerbsunfähigen "Hirnverletzten" in bezug auf die Gewährung der Pflegezulage eingeräumt worden ist, zu versagen. Es ist dabei nach den Feststellungen des LSG. davon auszugehen, daß die Hirnerkrankungsfolgen des Klägers zu einem Leidenszustand gleicher Symptomatik geführt haben wie bei einem Hirnverletzten. Der Begriff "Hirnverletzter" (§§ 25 Abs. 2, 35 Abs. 1 Satz 3 BVG) ist, wie das LSG. zutreffend ausgeführt hat, im Gesetz selbst nicht näher erläutert. Die Verwaltungsvorschriften zum BVG in der Fassung vom 31. August 1953 (Regelung der Sonderfürsorge zu § 25 Abs. 2 BVG, I 2 Abs. 3) enthalten zwar die Begriffsbestimmung, die besagt, daß als "Hirnverletzte" Beschädigte gelten, bei denen das Gehirn durch äußere Gewalteinwirkung organische Veränderungen erlitten und nachweisbar behalten hat; schon in dem Erlaß des Bundesministers für Arbeit vom 9. Januar 1952 - IV B 1-3574/51 - sowie in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen (Neuausgabe 1954, zusammengestellt von der ärztlichen Abteilung des BMA. S. 102) ist jedoch diese Begriffsbestimmung erweitert und ausgeführt, daß die Hirnverletzung auch durch indirekte Gewalteinwirkung zustande gekommen sein könne, z.B. durch Sturz auf hirnferne Körperteile oder durch Störung der Blutversorgung des Gehirns infolge Unterbindung der Arterien; in der Neufassung der Verwaltungsvorschriften zu §§ 25 bis 27 BVG vom 25. Oktober 1957 ist die Begriffsbestimmung überhaupt nicht mehr enthalten. Im übrigen ist den Verlautbarungen der Verwaltung nur zu entnehmen, wie nach Meinung der Verwaltung das Gesetz auszulegen ist. Verwaltungsvorschriften zur Durchführung eines Gesetzes enthalten keine authentische Auslegung gesetzlicher Vorschriften (vgl. Urteil des BSG vom 14.1.1958, NJW. 1958 S. 477). Gegenstand der Auslegung ist allein der objektivierte. Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der gesetzlichen Vorschriften und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den die Vorschriften hineingestellt sind; nicht entscheidend ist die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder die Auffassung der Behörden, in deren Zuständigkeit die Ausführung des Gesetzes fällt. Daß die Auslegung von dem Wortlaut des Gesetzes auszugehen hat, schließt nicht aus, daß auch zu ermitteln ist, welchen Zweck der Gesetzgeber insgesamt und im einzelnen verfolgt; dabei sind die Entstehungsgeschichte und der Zusammenhang mit anderen Vorschriften zu berücksichtigen; es ist aber auch zu prüfen, ob der Wortlaut des Gesetzes diesem Zweck gerecht geworden ist, d.h. ob dieser Zweck einen, wenn auch nur unvollkommen Ausdruck im Gesetzestext gefunden hat (vgl. Palandt, BGB, 17. Aufl., Einleitung V 2 a).

Die Worte "erwerbsunfähige Hirnverletzte" können - für sich allein betrachtet - wohl Zweifel erwecken, ob darunter alle Erwerbsunfähige fallen, die durch eine wehrdienstbedingte Hirnschädigung erwerbsunfähig geworden sind oder nur solche, bei denen die Hirnschädigung durch eine äußere Gewalteinwirkung auf das Gehirn eingetreten ist; nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mag auch unter "Verletzung" eine durch äußere Gewalteinwirkung hervorgerufene Schädigung zu verstehen sein, wenngleich der Sinn des Ausdrucks "Verletzung" mit dieser Deutung nicht gänzlich erschöpft ist. Es ist auch einzuräumen, daß die Vorschrift des § 35 Abs. 1 Satz 3 BVG, die abweichend von dem Grundsatz des § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG bestimmt, daß erwerbsunfähige Hirnverletzte eine Pflegezulage erhalten, ohne daß Hilflosigkeit im Sinne des Gesetzes vorzuliegen braucht, eine Sondervorschrift darstellt, und daß solche Vorschriften nach den anerkannten Regeln der Gesetzesauslegung eng auszulegen sind (BSG. 1 S. 56 [58]). Dennoch kann die Auslegung des LSG. nicht gebilligt werden, denn sie entspricht nicht dem Zweck der Regelung, der im Gesetz erkennbar Ausdruck verliehen ist.

Wenn das Gesetz von Hirnverletzten spricht (§§ 25 Abs. 2, 35 Abs. 1 Satz 3 BVG) und für diese Gruppe von Beschädigten Sonderregelungen trifft, so meint es damit nicht nur die Hirnbeschädigten, deren Schädigung durch eine bestimmte Art, nämlich durch Verletzung zustande gekommen ist; diese Auslegung widerspricht schon dem Grundgedanken des Versorgungsrechts, daß grundsätzlich gleiche Folgen auch gleiche Versorgungsansprüche auslösen. Grundsätzlich ist für den Versorgungsanspruch entscheidend, daß eine Gesundheitsstörung vorliegt, die durch den Wehrdienst verursacht worden ist; auf welche Art und Weise sie durch den Wehrdienst verursacht worden ist - etwa durch eine Schußverletzung oder durch eine Erkrankung - ist dabei ohne Bedeutung. Allgemein unterscheidet das BVG bei den Versorgungsansprüchen nicht nach der Art der Schädigung, sondern nur nach dem Grad der MdE. Es spricht daher in der Regel auch von "Beschädigten"; nur ausnahmsweise stellt es in einigen Fällen für Sonderregelungen in der Entschädigung und Betreuung auf die Art der Schädigung ab, so bei den "Blinden", "tuberkulös Erkrankten", "Ohnhändern" und "Hirnverletzten" (§§ 14 Abs. 1, 25 Abs. 2, 31 Abs. 4, 35 Abs. 1 Satz 2 und 3 BVG); nirgends aber macht das Gesetz Unterschiede nach der Art, wie es zu der - durch den Wehrdienst verursachten - Schädigung gekommen ist. Der Zweck der Regelung des § 35 Abs. 1 Satz 3 BVG ist nur der, daß bestimmte Beschädigte wegen der Eigenart ihrer Schädigung, nämlich einer Hirnschädigung, d.h. wegen eines vom Gehirn ausgehenden krankhaften Zustandsbildes mit seinen typischen Äußerungsformen, ein besonderer versorgungsrechtlicher Schutz gewährt wird. Wenn es aber dem Gesetzgeber darauf angekommen ist, einen bestimmten Kreis von Beschädigten wegen der Art ihres Leidenszustandes als besonders schutz- und betreuungsbedürftig in einer Sonderregelung zu erfassen, so kann es nicht von Bedeutung sein, wie es zu diesem Leidenszustand gekommen ist, wenn er nur Schädigungsfolge im Sinne der Versorgungsgesetze ist. Es kann daher keinen Unterschied machen, ob die Hirnschädigung etwa durch eine Kopfschußverletzung herbeigeführt worden ist oder als Folgezustand einer wehrdienstbedingten Erkrankung eingetreten ist, wenn in beiden Fällen die Krankheitserscheinungen aufgetreten sind, die der Gesetzgeber als Grund und Voraussetzung einer Sonderregelung des Versorgungsanspruchs angesehen hat.

Wenn das Gesetz den Ausdruck "Hirnverletzter" verwendet, statt richtiger zu sagen "Hirnbeschädigter", so muß das auch sprachlich nicht unbedingt im Sinne der von der Verwaltung angenommenen Einschränkung gedeutet werden; unter einem Hirnverletzten kann nach einem zwar ungenauen, nicht aber ungewöhnlichen Sprachgebrauch auch ein Hirnbeschädigter verstanden werden. Der Wortlaut der Gesetzesvorschrift spricht nicht zwingend für die Auslegung des LSG. Ebensowenig kann diese Auslegung auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes gestützt werden. Auch aus ihr ergibt sich vielmehr, daß bei den Verhandlungen des 26. Ausschusses für Kriegsopfer und Kriegsgefangene des Deutschen Bundestags (Sitzungsniederschriften S. 38 - 40 und S. 139 - 140), auf dessen Anregung die Vorschrift des § 35 Abs. 1 Satz 3 BVG zurückgeht, allein die Art der Schädigung, d.h. der Zustand, der auf ein "krankes" Gehirn zurückgeht, als Grund der Sonderregelung angesehen worden ist; schon der wechselnde Gebrauch der Worte "Hirnverletzter" und "Hirnbeschädigter" läßt erkennen, daß nicht daran gedacht und erwogen worden ist, einen Unterschied nach der Art des Zustandekommens einer wehrdienstbedingten Hirnschädigung zu machen.

Als versorgungsrechtlich erheblicher Tatbestand kommt danach für die Anwendung des § 35 Abs. 1 Satz 3 BVG nur der durch den Wehrdienst verursachte Leidenszustand, d.h. die Hirnschädigung mit ihren typischen Äußerungsformen, in Betracht; ob diese durch eine Kopfschußverletzung herbeigeführt worden ist, ob sie etwa durch schwere Mangelerscheinungen in der Kriegsgefangenschaft eingetreten ist oder ob sie sich als Folgezustand einer wehrdienstlichen Erkrankung darstellt, ist ohne Bedeutung.

Da der Kläger, wie sich aus den Feststellungen des LSG. ergibt, erwerbsunfähig ist, und diese Erwerbsunfähigkeit allein auf der als Schädigungsfolge anerkannten Hirnerkrankung beruht, steht ihm nach § 35 Abs. 1 Satz 3 BVG die Pflegezulage zu, ohne daß Hilflosigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG vorzuliegen braucht.

Die Revision des Klägers ist daher begründet. Das Urteil des LSG. ist aufzuheben und die Berufung des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 130

NJW 1958, 1798

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