Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. künstliche Befruchtung. Höchstaltersgrenze. Kryokonservierung. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die zwingenden Höchstaltersgrenzen in § 27a Abs 3 S 1 SGB V müssen für beide Partner in jedem Behandlungszyklus (Zyklusfall) erfüllt sein.

2. Maßgebender Zeitpunkt ist der Beginn der Behandlung, also in jedem Behandlungszyklus der Zeitpunkt des ersten Zyklustages im Spontanzyklus, des ersten Stimulationstages im stimulierten Zyklus bzw des ersten Tages der Down-Regulation.

3. Der Gesetzgeber hat einen zum Zeitpunkt der künstlichen Befruchtung höchstens 50-Jährigen als besonders geeignet angesehen, den Kindeswohlbelangen gerecht zu werden.

4. Bei der Altersgrenze für den männlichen Partner ist somit nicht auf das Alter zum Zeitpunkt einer Kryokonservierung abzustellen.

 

Orientierungssatz

Die Regelung zur Altersgrenze für Männer verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz und ist auch sonst verfassungsgemäß.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 1. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Kosten für Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung streitig.

Mit Schreiben vom 23.01.2015 beantragten die Kläger unter Vorlage eines Behandlungsplanes vom 22.01.2015 wegen männlicher Fertilitätsstörung die Übernahme der Kosten für eine Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) durch die Beklagte.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 04.02.2015 gegenüber dem Kläger und mit Bescheid vom 09.02.2015 gegenüber der Klägerin diesen Antrag ab, da der Kläger zum Behandlungsbeginn das 50. Lebensjahr bereits vollendet habe. Mit Schreiben vom 03.03.2015 legten die Kläger Widerspruch gegen die ablehnenden Bescheide ein. Es sei richtig, dass heute das männliche Alter über 50 Jahre betrage. Zum Zeitpunkt der Entnahme und Kryokonservierung des Spermas im Jahre 2007 sei dies aber nicht der Fall gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2015 wurde den Widersprüchen nicht abgeholfen. Versicherte hätten Anspruch auf Krankenbehandlung, die u. a. auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft umfasse, wenn nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht dafür bestehe, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt werde, § 27a Abs.1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Durch das Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) sei seit dem 01.01.2004 bestimmt, dass für weibliche Versicherte, die das 40. und für männliche Versicherte, die das 50. Lebensjahr vollendet hätten, kein Anspruch auf Leistungen der künstlichen Befruchtung bestehe, § 27a Abs.3 SGB V.

Auf der Grundlage dieser Vorschriften seien Richtlinien (RL) über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung beschlossen worden. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) habe die Richtlinien des Bundesausschusses als unmittelbar verbindliches und nach außen wirksames Recht erklärt, mit dem die Leistungsansprüche der Versicherten festgeschrieben würden. Nr.4 der RL laute: "Die Maßnahmen nach diesen Richtlinien umfassen solche Leistungen nicht, die über die künstliche Befruchtung hinausgehen wie etwa die Kryokonservierung von Samenzellen, imprägnierten Eizellen oder noch nicht transferierten Embryonen."

Gemäß den RL über künstliche Befruchtung müssten die angegebenen Altersgrenzen für beide Partner in jedem Behandlungszyklus (Zyklusfall) zum Zeitpunkt des ersten Zyklus-tages im Spontanzyklus, des ersten Stimulationstages im stimulierten Zyklus bzw. des ersten Tages der Down-Regulation erfüllt sein (Abschnitt 1 Nr. 9.1 der RL über künstliche Befruchtung). Aus Abschnitt 1 Nr. 9.2 der RL über künstliche Befruchtung gehe hervor, dass vor Beginn der Behandlung der Krankenkasse ein Behandlungsplan zur Genehmigung vorzulegen sei. Dieser müsse auch Angaben zum Geburtsdatum der Ehepartner, zu Indikation(en) gemäß Nr. 11.1 bis 11.5 der RL über künstliche Befruchtung, zur Behandlungsmethode, Art und Anzahl bisher durchgeführter Maßnahmen der künstlichen Befruchtung und den voraussichtlich entstehenden Behandlungskosten einschließlich aller Medikamentenkosten pro Behandlungszyklus (Zyklusfall) enthalten.

Die In vitro Fertilisation (IVF) sei eine Methode der künstlichen Befruchtung, die grundsätzlich im Rahmen der vertragsärztlichen Behandlung mit den gesetzlichen Kranken-kassen abgerechnet werden könne. Dies gelte seit dem 01.07.2002 auch für die ICSI.

Die ICSI-Behandlung dürfe zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) allerdings grundsätzlich nur erbracht werden, wenn die männliche Fertilitätsstörung nachgewiesen sei durch zwei aktuelle Spermiogramme im Abstand von mindestens zwölf Wochen, welche abhängig von der Gewinnung des Spermas bestimmte Grenzwerte unterschreite (so genannte andrologische Indikation).

Der Kläger sei 1961 geboren, er habe das 50. Lebensjahr bereits vollendet. Dah...

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