Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Anspruch eines gehörlosen Versicherten auf Versorgung mit einem Rauchwarnmeldesystem in eigener Wohnung. Verpflichtung eines Einrichtungsträgers der Eingliederungshilfe zum adäquaten Brandschutz bei Heimbewohnern

 

Leitsatz (amtlich)

1. Gehörlose Versicherte haben regelmäßig gegen ihre Krankenkasse Anspruch auf Versorgung mit einem ihren Bedürfnissen angepassten Rauchwarnmeldesystem in ihrer eigenen Wohnung (vgl BSG vom 18.6.2014 - B 3 KR 8/13 R = BSGE 116, 120 = SozR 4-2500 § 33 Nr 42).

2. Zwar sind Krankenkassen zur Versorgung von Versicherten mit Hilfsmitteln grundsätzlich unabhängig davon verpflichtet, ob sie in einer eigenen Wohnung oder einem Heim leben. Die Pflicht der gesetzlichen Krankenversicherung zur Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln endet aber dort, wo die Pflicht des Einrichtungsträgers auf Versorgung der Bewohner mit Hilfsmitteln einsetzt.

3. Aus dem Zweck und dem Aufgabenprofil einer Einrichtung der Eingliederungshilfe ausschließlich für hörbehinderte Menschen ergibt sich, dass der Einrichtungsträger, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit dem Gebäudeeigentümer, in der Pflicht steht, für einen adäquaten Brandschutz dergestalt zu sorgen, dass den Menschen in der Einrichtung trotz ihrer Hörbehinderung ein möglichst selbstständiges Wohnen mit vergleichbarem Sicherheitsstandard wie nicht behinderten Menschen ermöglicht wird. Die dafür notwendigen Hilfsmittel in Form von Rauchmeldern für Gehörlose gehören zum von der Einrichtung vorzuhaltenden Inventar. Eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung kommt daneben nicht in Betracht.

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 23.01.2017 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 09.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.06.2016 abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte den in der Einrichtung der Beigeladenen lebenden Kläger mit einem visuellen Rauchmelder für Gehörlose zu versorgen hat.

Der 1974 geborene Kläger ist taubstumm und bei der Beklagten krankenversichert. Unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung von Dr. G., Facharzt für HNO-Heilkunde, vom 28.01.2016 sowie eines Kostenvoranschlages vom 26.02.2016 beantragte der Hörgeräteakustiker J. für den Kläger bei der Beklagten die Kostenübernahme für einen visuellen Rauchmelder (Funk-Blinklampe mit Tongeber, Funk-Rauchwächter) in Höhe von 321,- €.

Mit Bescheid vom 09.03.2016 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie könne die Kosten für den visuellen Rauchmelder nicht übernehmen. Nach Erkenntnissen der Beklagten befinde sich der Kläger in vollstationärer Pflege. Er werde gebeten, sich hinsichtlich der Versorgung mit dem beantragten Hilfsmittel an seine Heimleitung zu wenden.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch durch seine gesetzliche Betreuerin. Bei dem beantragten Rauchmelder handele es sich um einen speziellen Rauchmelder mit Lichtsignal für gehörlose und hörgeschädigte Menschen. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18.06.2014, B 3 KR 8/13 R, seien bei hörgeschädigten Menschen die Kosten für diese speziellen Rauchmelder den Hilfsmitteln gemäß § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zuzuordnen, auch wenn sie stationär untergebracht seien. Der Rauchmelder bleibe Eigentum des Betroffenen und werde bei einem Umzug mitgenommen. Er gehöre somit nicht zur Ausstattung des Zimmers bzw. der Wohnung.

Mit Schreiben vom 22.03.2016 erläuterte die Beklagte nochmals ihre Rechtsauffassung. Sie sehe die Leistungspflicht auf Seiten des Heimes und habe deswegen den Kläger an die Heimleitung verwiesen. Die Abgrenzung der Leistungspflicht für notwendige Hilfsmittel bei Bewohnern in stationären Pflegeeinrichtungen könne nicht allgemeinverbindlich vorgenommen werden, sondern jeder einzelne Versorgungsfall sei unter Berücksichtigung der Einrichtungsstruktur und der Bewohnerklientel individuell zu prüfen. Nach der Bayerischen Bauordnung (BayBO) seien die Eigentümer bzw. Vermieter für die Ausstattungen von Räumen zuständig. Da in der Einrichtung eine höhere Anzahl an Gehörlosen beherbergt werde, sei davon auszugehen, dass das Hilfsmittel Bestandteil der Investitionskosten sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.06.2016 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Pflicht der gesetzlichen Krankenversicherung zur Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln ende nach der gesetzlichen Konzeption des SGB V und des SGB XI dort, wo bei vollstationärer Pflege die Pflicht des Heimträgers auf Versorgung der Heimbewohner mit Hilfsmitteln einsetze. Da der Kläger in einer stationären Einrichtung i.S.d. SGB XI lebe, sei diese verpflichtet, das typische Inventar bereitzustellen. Die Vorhaltepflicht der Pflegeeinrichtung hänge entscheidend vom jeweiligen Versorgungsauftrag und den vertraglichen Regelungen ab. Für bauliche, sicherhe...

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