Entscheidungsstichwort (Thema)

Absoluter Rechtsmittelverlust durch Rücknahme. Rücknahme der Berufung. Einlegung einer erneuten Berufung. Zustellung des vollständigen Urteils mit Urteilsgründen. Auslegung von Prozesserklärungen

 

Leitsatz (amtlich)

Die Zurücknahme der Berufung bewirkt den Verlust dieses Rechtsmittels an sich, nicht nur den Verlust der eingelegten Berufung.

 

Orientierungssatz

Die Zurücknahme einer Berufung schließt auch dann die erneute Einlegung der Berufung aus, wenn die erste Berufung zwar nach der Urteilsverkündung, jedoch vor Zustellung des vollständigen Urteils mit den Urteilsgründen erfolgt ist, da eine solche Berufungseinlegung jedenfalls nicht unstatthaft ist.

 

Normenkette

SGG § 156 Abs. 3; ZPO § 516 Abs. 3

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. Juni 2012 wird als unzulässig verworfen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Kläger Leistungen nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) für weitere Zeiträume als vom 09.12.2003 bis zum 30.06.2006 zustehen.

Der im Jahre 1958 geborene Kläger macht Ansprüche wegen einer Wehrdienstbeschädigung aufgrund verschiedener Unfälle während seines Dienstes geltend.

Mit Urteil des Sozialgerichts (SG) München vom 14.06.2012 ist die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der Bescheide vom 17.08.2007 und 14.04.2008 in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 21.04.2008 verurteilt worden, dem Kläger für die Zeit vom 09.12.2003 bis zum 30.06.2006 Leistungen nach §§ 81, 85 SVG aufgrund eines Grads der Schädigung von 30 zu erbringen. Soweit das klägerische Begehren darüber hinausgegangen ist, ist die Klage erfolglos geblieben.

Der Bevollmächtigten des Klägers ist zunächst das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 14.06.2012 übermittelt worden.

Am 20.07.2012 hat die Bevollmächtigte "Berufung zur Fristwahrung" "gegen das Urteil des Sozialgerichts München, Az. S 30 VS 13/08 vom 14.06.2012, zugestellt am 20.06.2012", eingelegt. In diesem unter dem Aktenzeichen L 15 VS 20/12 beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) geführten Berufungsverfahren hat die Bevollmächtigte mit Schreiben vom 30.07.2012 mitgeteilt: "In Sachen A. ./. Wehrbereichsverwaltung nehme ich die Berufung vom 20.07.2012 zurück." Irgendeine Äußerung des Senats in der Sache, insbesondere zur Zulässigkeit der Berufung, war davor nicht erfolgt.

Am 09.08.2012 ist der Bevollmächtigten des Klägers das Urteil des SG vom 14.06.2012 zugestellt worden.

Mit Schreiben vom 06.09.2012, bei Gericht eingegangen am selben Tag, hat sie erneut Berufung gegen das Urteil des SG München vom 14.06.2012 eingelegt.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 24.09.2012 beantragt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Zwar sei die erneute Einlegung einer bereits zurückgenommenen Berufung grundsätzlich möglich, da die Rücknahme nach § 156 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) lediglich den Verlust des konkret eingelegten Rechtsmittels und nicht den jedes Rechtsmittels schlechthin betreffe. Allerdings müsse die erneut eingelegte Berufung ihrerseits sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllen. Die Berufung vom 07.09.2012 sei jedoch verfristet, da die einmonatige Berufungsfrist des § 151 Abs. 1 SGG spätestens am 20.08.2012 geendet habe. Dies ergebe sich daraus, dass das angegriffene Urteil des SG dem Kläger nach seinem eigenen Vortrag im anwaltlichen Schreiben vom 20.07.2012 bereits am 20.06.2012 zugestellt worden sei.

Dazu hat die Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 15.11.2012 mitgeteilt, dass eine Mitarbeiterin bereits nach Eingang des Protokolls eine Berufungsfrist notiert habe. Dies sei selbstverständlich unzulässig. Daher sei "die Berufung auch zurückgenommen" worden. Das vollständige Urteil sei bei ihr am 07.08.2012 eingegangen. Die Einlegung der Berufung am 06.09.2012 sei damit fristgemäß und die Berufung zulässig.

Mit Schreiben vom 17.09.2014 hat der Berichterstatter des Senats unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26.04.1963, Az.: 2 RU 56/62, erläutert, dass es nicht möglich sei, eine bereits zurückgenommene Berufung erneut einzulegen.

Dazu hat sich die Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 06.11.2014 sinngemäß wie folgt geäußert:

Der vom BSG am 26.04.1963 entschiedene Fall sei nicht mit dem jetzt anhängigen Verfahren vergleichbar, da dort die Berufung zweimal innerhalb der Berufungsfrist erhoben worden sei, hier aber die erste Berufungseinlegung und auch die -rücknahme vor Beginn der Berufungsfrist erfolgt sei. Die hier vor Beginn der Berufungsfrist eingelegte Berufung entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben. Außerdem habe sie damals Berufung gegen ein "zugestelltes Urteil" eingelegt, das zu diesem Zeitpunkt gar nicht zugestellt gewesen sei; es handle sich ersichtlich um einen Fehler. Wenn das LSG die Meinung vertrete, dass eine Berufung schon vor Beginn der Berufungsfrist eingelegt werden könne, scheine diese Auffassung lediglich in der Literatur vertreten zu werden, weil im einschlägige...

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