Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld. Anrechnung von Nebeneinkommen. selbstständige Nebentätigkeit und zusätzliche geringfügige Beschäftigung. keine Kumulation der Freibeträge nach § 141 SGB 3

 

Orientierungssatz

Ein Arbeitsloser, der bereits länger eine selbstständige Nebentätigkeit ausübt und nach Entstehung des Arbeitslosengeldanspruchs zusätzlich eine geringfügige Beschäftigung aufnimmt, hat keinen Anspruch auf eine kumulative Anwendung der Freibeträge für die Anrechnung von Nebeneinkommen nach § 141 Abs 1 S 1 und Abs 3 SGB 3, sondern die Nebeneinkommen sind zu addieren und der nach Vergleichsberechnung höhere Freibetrag nach Abs 1 oder Abs 3 ist nur einmal anzuwenden.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 05.09.2006; Aktenzeichen B 7a AL 88/05 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.04.2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld sowie die Erstattung zu Unrecht bezogener Leistungen in Höhe von 616,65 EUR.

Die 1942 geborene Klägerin war lt. Arbeitsbescheinigung ihres früheren Arbeitgebers bis 31.08.2003 als Rechtsanwaltsgehilfin vollschichtig beschäftigt. Daneben übte sie seit ca 1998 eine selbstständige Tätigkeit als Hausverwalterin einer Eigentümergemeinschaft von 1,5 Stunden pro Woche bei einem monatlichen Bruttoentgelt von 154,15 EUR (netto 123,33 EUR) aus. Am 24.06.2003 meldete sie sich arbeitslos; den Alg-Antrag gab sie am 12.08.2003 ab. Sie gab an, Alg unter den erleichterten Voraussetzungen des § 428 SGB III beziehen zu wollen. Die Beklagte bewilligte Alg ab 01.09.2003 nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 385,00 EUR (Leistungsgruppe A/0) in Höhe von 152,04 EUR/Woche (Bescheid vom 22.08.2003).

Durch Überschneidungsmitteilung vom 25.11.2003 wurde der Beklagten bekannt, dass die Klägerin ab 01.09.2003 beim bisherigen Arbeitgeber in geringfügigem Umfang (4 Stunden/Woche) tätig war (monatliches Entgelt 165,00 EUR brutto gleich netto).

Mit Bescheid vom 23.02.2004 hob die Beklagte gemäß § 48 SGB X die Alg-Bewilligung rückwirkend ab 01.02.2004 teilweise auf und rechnete auf die Leistungen gemäß § 141 SGB III ein Nebeneinkommen von wöchentlich 28,46 EUR an (monatliches Nebeneinkommen 288,33 EUR abzüglich 165,00 EUR Freibetrag = 123,33 EUR/Monat, das sind 28,46 EUR/Woche). Neben einem Freibetrag nach § 141 Abs 3 SGB III könne kein zusätzlicher Freibetrag nach § 141 Abs 1 SGB III eingeräumt werden.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein. Eine Anrechnung von Nebeneinkommen habe zu unterbleiben. Es sei ihr gemäß § 141 Abs 1 SGB III der Mindestfreibetrag zu belassen und daneben zusätzlich gemäß § 141 Abs 3 SGB III das Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit.

Mit Bescheid vom 28.04.2004 hob die Beklagte auch die Alg-Bewilligung für die Zeit vom 01.09.2003 bis 31.01.2004 wegen des erzielten Nebeneinkommens teilweise auf und forderte Erstattung von 616,65 EUR. Die Klägerin habe Einkommen erzielt, das zum Wegfall des Anspruchs geführt habe (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X). Auch dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.05.2004 wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Das monatliche Entgelt aus der Hausmeistertätigkeit (netto 123,33 EUR) bleibe gemäß § 141 Abs 3 iVm Abs 1 komplett anrechnungsfrei (123,33 EUR abzüglich 165,00 EUR Mindestfreibetrag). Auch das Entgelt aus der ab 01.09.2003 in der Rechtsanwaltskanzlei ausgeübten Nebentätigkeit (165,00 EUR/Monat), sei gemäß § 141 Abs 1 SGB III grundsätzlich ebenfalls anrechnungsfrei. Abs 3 und Abs 1 dieser Bestimmung dürften aber nicht nebeneinander angewendet werden, weil dies § 141 SGB III nicht zulasse. Vielmehr sei der höhere Freibetrag von der Summe der Einkünfte in Abzug zu bringen. Das seien vorliegend 165,00 EUR. In Höhe von wöchentlich 123,33 EUR (288,33 EUR Nebeneinkommen abzüglich 165,00 EUR) habe die Klägerin daher vom 01.09.2003 bis 31.01.2004 Alg zu Unrecht erhalten (insgesamt 616,65 EUR).

Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben. Ihre beiden Nebeneinkommen überschritten die jeweiligen Freibeträge von 165,00 EUR nicht und seien deshalb anrechnungsfrei. Die Freibeträge des § 141 Abs 1 und Abs 3 SGB III seien nach dem Willen des Gesetzgebers nebeneinander zu berücksichtigen.

Mit Urteil vom 19.04.2005 hat das SG die Bescheide der Beklagten vom 23.02.2004/28.04.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2004 aufgehoben. An keiner Stelle sehe das Gesetz vor, dass nicht mehrere Freibeträge nebeneinander zum Tragen kommen könnten. Auch trage die Anrechnungspraxis der Beklagten der Privilegierung von Einkünften aus bereits vor dem Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitslosigkeit bestandener Tätigkeiten nicht Rechnung. Dem Grundgedanken der Absätze 2, 3 des § 141 SGB III, nämlich der Aufrechterhaltung des Lebensstandards, widerspreche die Berücksichtigung nur eines Fre...

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