Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Anwendung der Vorschrift des § 30 Versorgungsausgleichsgesetz (VersAusglG)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Vorschrift des § 30 Abs. 1 VersAusglG in der Fassung (idF) vom 03.04.2009, BGBI. I S. 700, gültig ab 01.09.2009 (a.F.) berechtigt den Rentenversicherungsträger, sich umfassend auf den Schuldnerschutz zu berufen und nicht nur anteilig in der Höhe, in der tatsächlich eine Leistungspflicht gegenüber der bisher berechtigten Person erfüllt wird (vgl. BSG, Urteil vom 09.11.1999, B 4 RA 16/99 R, juris).

2. § 30 Abs. 1 VersAusglG idF vom 12.05.2021, BGBI I S. 1085, gültig ab 01.08.2021 (n.F.) findet auf Zeiträume vor dem 01.08.2021 keine Anwendung. Die mit der Neufassung eingefügte Beschränkung des Schuldnerschutzes auf den Umfang der Überzahlung" ist keine Klarstellung , sondern eine Rechtsänderung. Eine rückwirkende Anwendung der Rechtsänderung für Zeiträume vor dem 01.08.2021 sieht das Gesetz nicht vor.

3. § 30 Abs. 1 S. 1 VersAusglG verpflichtet den Rentenversicherungsträger zu einer gebundenen Entscheidung. Die Gemeinsamen Rechtlichen Anweisungen (GRA) der Deutschen Rentenversicherung (DRV), hier: § 30 VersAusglG 2.2, vermitteln dem Versicherten keinen subjektiven Anspruch gegen den Rentenversicherungsträger, über den Schuldnerschutz nach § 30 Abs. 1 S. 1 VersAusglG a.F. im Wege der Ermessensausübung zu entscheiden.

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 14. Januar 2022 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 17. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. November 2020 abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung einer höheren Regelaltersrente in der Zeit vom 01.04.2019 bis 29.02.2020, wobei zwischen den Beteiligten streitig ist, inwieweit sich die Beklagte auf die Befreiungswirkung des § 30 Versorgungsausgleichsgesetz (VersAusglG) berufen kann.

Der 1941 geborene Kläger war vom 01.03.1964 bis 31.01.1992 mit der 1944 geborenen Frau O. verheiratet. Aufgrund des Urteils des Amtsgerichts München vom 20.10.1992 über den Versorgungsausgleich zwischen dem Kläger und seiner geschiedenen Ehefrau O. wurden für die Ehezeit zu Lasten des Versicherungskontos des Klägers Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung auf seine - ebenfalls bei der Beklagten versicherte - geschiedene Ehefrau als ausgleichsberechtigten Ehegatten übertragen. 2008 verstarb O., die erneut geheiratet hatte. An deren Witwer wurde Witwerrente gezahlt. Aufgrund des Antrags des Klägers vom 22.03.2019 änderte das Amtsgericht München mit Beschluss vom 02.12.2019 seine Entscheidung vom 20.10.1992 über den Versorgungsausgleich zwischen dem Kläger und O. ab dem 01.04.2019 ab. Danach findet ein Ausgleich der Anrechte von O. und vom Kläger bei der Beklagten nicht (mehr) statt. Der Beschluss wurde der Beklagten am 10.12.2019 bekannt gegeben und mit Schreiben vom 22.01.2020, eingegangen bei der Beklagten am 24.01.2020, teilte das Amtsgericht mit, dass der Beschluss vom 02.12.2019 am 11.01.2020 Rechtskraft erlangte.

Der Kläger bezog ab dem 01.02.2006 eine Regelaltersrente von der Beklagten (Bescheid vom 29.11.2005). Auf den Überprüfungsantrag des Klägers wurden weitere Ausbildungszeiten bzw. Zeiten als Beamter auf Widerruf anerkannt und die Regelaltersrente neu berechnet (Bescheid vom 16.10.2017).

Am 18.12.2019 beantragte der Kläger unter Hinweis auf den Beschluss des Amtsgerichts vom 02.12.2019 die Neuberechnung der Rente.

Das für die Versicherung von O. zuständige Dezernat 4918 der Beklagten teilte am 27.03.2020 mit, dass die Rente dort ab 01.03.2020 neuberechnet worden sei.

Mit Bescheid vom 17.04.2020 hob die Beklagte den bisherigen Bescheid hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 01.03.2020 auf und berechnete die Regelaltersrente ab 01.03.2020 neu. Sie setzte ab dem 01.05.2020 eine monatliche Rentenhöhe von 1.579,08 € (monatlicher Zahlbetrag 1.410,13 €) fest und verfügte eine Nachzahlung für die Zeit vom 01.03.2020 bis zum 30.04.2020 in Höhe von 552,50 €.

Den dagegen erhobenen und nicht begründeten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.2020 zurück. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Neuberechnung der Altersrente ab 01.03.2020 führte die Beklagte unter Verweis auf § 30 VersAusglG Folgendes aus: Entscheide das Familiengericht rechtskräftig über den Versorgungsausgleich oder die Abänderung des Versorgungsausgleichs und zahle der Rentenversicherungsträger bereits Renten an die beteiligten Personen, so sei der Rentenversicherungsträger der ausgleichspflichtigen Person für eine Übergangszeit gegenüber der ausgleichsberechtigten Person von der Leistungspflicht (aus den übertragenen Anteilen) befreit. Die Übergangszeit dauere bis zum letzten Tag des Monats, der dem Monat folge, in dem der Versorgungsträger von der Rechtskraft der Entscheidung Kenntnis erlangt habe. Der Beschluss über den Versorgungsausgle...

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