Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung: Geltendmachung von Hinterbliebenenleistungen. Multisystematrophie als Berufskrankheit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Geltendmachung von Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem Tod eines Versicherten infolge einer angeblichen Berufskrankheit.

2. Die Erkrankung eines Molkereimeisters, der beruflichen Kontakt zu Schädlingsbekämpfungsmitteln hatte, an einer Multisystematrophie stellt weder eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr 1302, Nr. 1303, Nr. 1307, Nr. 1317 oder einer sonstigen Nummer der Anlage 1 zur BKV noch eine sog. Wie-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII dar.

3. Nach dem derzeitigen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand ist die Ätiologie der Multisystematrophie ungeklärt.

 

Orientierungssatz

1. Voraussetzung eines jeden Hinterbliebenenrechts ist, dass in der Person des Versicherten ein Versicherungsfall eingetreten war und er infolgedessen verstorben ist. Die Frage, ob ein Versicherungsfall vorgelegen hat und welcher es genau war, ist kein selbstständiger Gegenstand des Verwaltungsverfahrens, über den durch Verwaltungsakt entschieden werden dürfte, sondern nur eine Tatbestandsvoraussetzung des Anspruchs.

2. Wird dieser Anspruch durch negativ feststellenden Verwaltungsakt verneint, ist die Äußerung des Trägers, ein Versicherungsfall, z.B. eine bestimmte Berufskrankheit oder Wie-Berufskrankheit habe nicht vorgelegen, nur ein unselbstständiges Begründungselement des Verwaltungsakts. Der Hinterbliebene kann sich daher darauf beschränken, vorzutragen, beim Versicherten habe irgendein Versicherungsfall vorgelegen, der seinen Tod herbeigeführt habe. Der Träger muss dann allein darüber entscheiden, ob das vom Hinterbliebenen verfolgte Recht auf Hinterbliebenenleistungen besteht oder nicht besteht (BSG, 12. Januar 2010, B 2 U 5/08 R, BSG, 29. November 2011, B 2 U 26/10 R).

 

Tenor

I. Die Berufungen der Klägerin gegen die Urteile des Sozialgerichts Augsburg vom 11. November 2015 werden zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens streitig, ob die Klägerin und Berufungsklägerin gegen die Beklagte und Berufungsbeklagte Ansprüche auf Hinterbliebenenleistungen hat. Der mittlerweile verstorbene Ehemann der Klägerin (nachfolgend: Versicherter) war an einer sog. Multisystematrophie erkrankt. Die Klägerin macht geltend, dass es sich bei dieser Erkrankung um eine Berufskrankheit gehandelt habe, insbesondere eine sog. Listen-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) i.V.m. Nr. 1302 oder Nr. 1307 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) oder alternativ eine sog. Wie-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII.

Der 1948 geborene Versicherte war von Juli 1973 bis Februar 1998 bei der Firma E., in E-Stadt als Molkereimeister in der Produktentwicklung beschäftigt. Ab April 1997 war er arbeitsunfähig erkrankt. Er litt an einer sog. Multisystematrophie. Nachdem der Versicherte Anfang Dezember 2005 zu Hause gestürzt war, verstarb er am 15. Januar 2006 im G.-Krankenhaus in L-Stadt.

Am 16. Januar 2006 teilte Dr. D. (Krankenhaus in L-Stadt) gegenüber der Beklagten telefonisch mit, dass der Versicherte während seiner beruflichen Tätigkeit zur Insekten- und Rattenbekämpfung eingesetzt gewesen sei und das Einatmen der entsprechenden Giftstoffe nach Ansicht der Klägerin zu dessen Tode geführt habe. Im März 2006 zeigte außerdem der behandelnde Praktische Arzt Dr. K. bei der Beklagten den Verdacht auf eine Berufskrankheit an.

Die Beklagte leitete daraufhin Ermittlungen ein. Dabei gelangte im März 2006 ein Schreiben vom 7. Januar 2004 zu ihren Unterlagen, in dem der Versicherte seine berufliche Tätigkeit gegenüber Dr. K. geschildert hatte. Der Versicherte hatte damals darauf hingewiesen, ab 1982 für die Ungezieferbekämpfung zuständig gewesen zu sein. Er sei etwa alle acht Wochen mit dem Kammerjäger Sch. (zunächst senior, dann junior) durch die entsprechenden Räume gegangen. Die Tätigkeit habe drei bis vier Stunden gedauert. Dabei seien gegen Mäuse und Ratten Köder ausgelegt worden; er habe in der Regel den Eimer mit der Mischung getragen. Gegen Kakerlaken sei ein Mittel gespritzt worden, welches man deutlich hätte riechen können. Auf Nachfrage der Beklagten beim Arbeitgeber bestätigte der Abteilungsleiter des Versicherten (K. H.) dessen Angaben und übersandte die Datenblätter der verwendeten Schädlingsbekämpfungsmittel.

Im Auftrag der Klägerin erstellte Dr. M. (Dermatologie, Venerologie, Umweltmedizin, President of the European Academy for Environmental Medicine, Vorstand des Deutschen Berufsverband der Umweltmediziner) am 25. Februar 2006 eine gutachterliche Bewertung der Erkrankungs- und Todesursache. Darin ging Dr. M. davon aus, dass der Todesfall durch eine chronische berufliche Belastung mit Schädlingsbekämpfungsmit...

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