Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewaltopferentschädigung für einen Ausländer, dessen Staat zur Tatzeit noch nicht der Europäischen Union angehörte

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sozialrechtlicher Ansprüche können auch nacheinander entstehen.

2. Im Opferentschädigungsgesetz werden Deutsche und Ausländer gleich behandelt.

3. Die Sondervorschriften im Opferentschädigungsgesetz für Leistungen an Ausländer haben keinen Einfluss auf die Entstehung des Stammrechts. Sie müssen daher nicht schon zur Zeit der Gewalttat erfüllt gewesen sein.

 

Normenkette

OEG § 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, 8 Sätze 1-2, § 10; SGB I § 40 Abs. 1; BVG §§ 50, 60 Abs. 1 S. 1, § 61a

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers zu 2) werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 23.11.2006 und der Bescheid vom 10.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2006 insoweit teilweise aufgehoben und abgeändert, als der Beklagte verurteilt wird, dem Kläger zu 2) Elternrente nach den Vorschriften des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit Wirkung ab 01.03.2005 zu gewähren.

II. Die Berufung der Klägerin zu 1) wird zurückgewiesen.

III. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 2) zu erstatten; die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1) sind nicht zu erstatten.

IV. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die 1949 bzw. 1943 geborenen Kläger begehren Elternrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), nachdem ihre gemeinsame Tochter M. B. am frühen Morgen des 28.10.2002 getötet worden ist.

Die 1972 geborene Tochter der Kläger zu 1) und 2) ist slowakische Staatsangehörige gewesen. Sie war seit dem 03.06.1996 mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Nach der Trennung von ihrem Ehemann ist sie von M. in das Allgäu umgezogen und hat eine Beziehung zu V. B., geboren 1969, aufgenommen. Nach späteren Trennungsversuchen hat sich im September 2002 die Absicht von M. B. verstärkt, die Beziehung mit V. B. endgültig zu beenden. Sie hat ihm in der Nacht vom 27.10.2002 auf den 28.10.2000 mitgeteilt, dass sie ihn verlassen werde. V. B. war nicht bereit, die endgültige Trennung zu akzeptieren und hat M. B. gegen 1.00 Uhr morgens erwürgt.

Der Antrag der Kläger auf Versorgung nach dem OEG vom 03.11.2002 ist von dem Beklagten mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung M. vom 29.01.2003 abgelehnt worden. Die Kläger, die als slowakische Staatsangehörige nicht in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) wohnten, seien nicht in den Schutzbereich des OEG einbezogen. Sie seien weder Bürger der Europäischen Gemeinschaft (EU) noch Bürger eines Staates, welcher durch Rechtsvorschriften der EU eine Gleichbehandlung mit deutschen Staatsangehörigen erforderlich mache. Zudem sei keine Gegenseitigkeit zwischen der BRD und der Slowakei gewährleistet.

Mit Wirkung vom 01.05.2004 ist die Slowakei Mitglied der EU geworden. Aus diesem Grund haben die Kläger nochmals am 03.03.2005 einen Antrag auf Versorgung nach dem OEG eingereicht. Die Klägerin zu 1) sei 1949 geboren und beziehe eine Altersrente nach slowakischem Recht. Der Kläger zu 2), der 1943 geboren sei, erhalte eine Invalidenrente bzw. nunmehr ebenfalls eine normale Altersrente. Sie seien somit auf Versorgungsleistungen angewiesen.

Der Beklagte hat den Antrag vom 03.03.2005, eingegangen am 07.03.2005, mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Oberbayern I vom 10.08.2005 abgelehnt. Die Kläger würden als slowakische Staatsangehörige zu den "sonstigen Ausländern" im Sinne des § 1 Abs.5 bis 7 OEG zählen. § 1 Abs.4 Nr.1 OEG sei nicht anwendbar, da die Slowakei zum maßgeblichen Zeitpunkt des Todes der Tochter M. B. am 28.10.2002 noch kein Mitgliedsstaat der EU gewesen sei. Ebenso hätten § 1 Abs.4 Nrn.2 und 3 OEG zum damaligen Zeitpunkt auf die Slowakei nicht zugetroffen. Die Bewilligung einer Abfindung komme nach § 1 Abs.7 Satz 5 OEG i.V.m. §§ 40, 46 BVG nur für Witwen und Waisen in Betracht. Außerdem setze § 1 Abs.7 Satz 5 OEG voraus, dass die Getötete den Hinterbliebenen Unterhalt leisten würde. Dies müsse hier aber verneint werden, da die Klägerin zu 2) im Rahmen ihrer Zeugenvernehmung bei der Kriminalinspektion K. am 30.10.2002 dies ausdrücklich verneint habe. Auf Grund dieser Tatsache könne auch eine besondere Härte im Sinne des § 10b OEG nicht bejaht werden.

Die Bevollmächtigten der Kläger haben mit Widerspruch vom 06.10.2005 hervorgehoben, nach ihrer Auffassung sei für die Beurteilung der Anwendbarkeit des OEG nicht auf den Zeitpunkt der Tat abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung. Darüber hinaus würden die Folgen der Tat bei den Klägern noch weiter wirken. Des Weiteren habe die Getötete ausweislich der Unterlagen der Finanzbehörden ihren Eltern tatsächlich Unterhalt geleistet.

Der Beklagte hat den Widerspruch vom 06.10.2005 gegen den Bescheid des Zentrums Baye...

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