Leitsatz

Hintergrund

Kapitalgesellschaften können Verluste vortragen und mit späteren Gewinnen verrechnen. Sofern innerhalb von fünf Jahren mehr als 25 % bzw. 50 % der Anteile der Gesellschaft mittelbar oder unmittelbar an einen Erwerber übertragen werden, liegt allerdings ein sog. schädlicher Beteiligungserwerb gem. § 8c Abs. 1 KStG vor. Bei Anteilsübertragungen von mehr als 25 % fallen die Verlustvorträge in entsprechender Höhe weg; bei Anteilsübertragungen von mehr als 50 % sogar vollständig. Diese Regelung ist vor dem Hintergrund des geltenden Nettoprinzips (der Versteuerung nur von Gewinnen) über mehrere Veranlagungsperioden hinweg durch nichts gerechtfertigt, außer der fiskalisch motivierten Angst, dass Gesellschaften (leere Hüllen) zur Nutzung von Verlustvorträgen übertragen werden könnten.

Insbesondere in Sanierungssituationen, die häufig den Einstieg neuer Gesellschafter notwendig machen, ist die Regelung ein Hindernis, wird doch schlicht ein der Gesellschaft zustehender Wert vernichtet, was schlimmstenfalls die Sanierung unwirtschaftlich und damit unmöglich macht. Hierauf hatte der Gesetzgeber reagiert und die sog. Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG) eingefügt, wonach die Verlustvorträge unter bestimmten Voraussetzungen auch bei sonst schädlichem Beteiligungserwerb erhalten blieben.

Die europäische Kommission entschied jedoch am 26. Januar 2011, dass die Sanierungsklausel eine unzulässige, staatliche Beihilfe sei. Anschließend wurde die Sanierungsregelung in Deutschland ausgesetzt. Denn die Nichtigkeitsklage der Bundesregierung vor dem Europäischen Gericht (EuG) gegen die Entscheidung der Kommission hat gem. Art. 278 Satz 1 AEUV keine aufschiebende Wirkung. Dementsprechend wurden von den Finanzämtern wieder Steuerbescheide ohne Berücksichtigung der Sanierungsklausel erlassen.

Beschluss des FG Münster

Die Antragstellerin - bei der ein schädlicher Beteiligungserwerb vorlag, zugleich aber die Voraussetzungen der Sanierungsklausel erfüllt waren - beantragte eine Aussetzung der Vollziehung des gegen sie erlassenen Steuerbescheids, da sie im Falle einer Vollziehung des Steuerbescheids in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sei.

Das FG Münster gewährte in seinem Beschluss die Aussetzung der Vollziehung. Das Finanzgericht geht davon aus, dass der Antragsteller neben einer Anordnung durch das EuG auch mit Hilfe der nationalen Gerichte vorläufigen Rechtsschutz erhalten kann. Hierfür müssten zunächst spezielle, vom EuGH aufgestellte Voraussetzungen vorliegen.

  • ○ Zunächst müsse das nationale Gericht erhebliche Zweifel an der Gültigkeit der Gemeinschaftsrechtsnorm haben.
  • ○ Zudem müsse die Entscheidung dringlich sein, indem sie zur Vermeidung eines schweren, nicht wiedergutzumachenden Schadens erforderlich ist.
  • ○ Darüber hinaus sei das Gemeinschaftsinteresse angemessen zu berücksichtigen.

Diese Voraussetzungen bejahte das FG vor dem Hintergrund der drohenden Insolvenz der Antragstellerin und der lediglich erfolgenden Suspendierung der Entscheidung der EU-Kommission.

Das FG bezweifelt die Kommissionsentscheidung, dass die Sanierungsklausel eine unzulässige Beihilfe sei und verweist zutreffend u.a. darauf, dass es sich um eine Rückausnahme und die Widerherstellung des "Normalfalls", nämlich der Geltung des Nettoprinzips handele. Außerdem werde durch die Sanierungsklausel jedes Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten unter gleichen Voraussetzungen ohne Ermessensspielraum begünstigt. Eine Bevormundung bestimmter Branchen oder Unternehmen einer bestimmten Größe sei weder formal noch verdeckt ersichtlich.

Weiterhin macht das FG verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Wegfall von Verlustvorträgen geltend.

 

Hinweis

Die Entscheidung des FG Münster ist bemerkenswert, da das Gericht die Vollziehung des Steuerbescheids der Antragstellerin, mit der Begründung es habe ernstliche Zweifel an der Gültigkeit der Kommissionsentscheidung bezüglich der Sanierungsklausel, aussetzt. Das Gericht hätte den Beschluss auch lediglich mit dem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz begründen können. Da das FG die Beschwerde zum BFH wegen der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen hat, bleibt abzuwarten, ob der BFH den Beschluss des FG bestätigen wird.

Betroffenen Unternehmen ist in jedem Falle anzuraten, trotzt der Kommissionsentscheidung und deren Umsetzung durch die Finanzämter bei Erfüllung der Voraussetzungen der Sanierungsklausel auf deren Einhaltung zu dringen und gegen ablehnende Bescheide vorzugehen.

 

Link zur Entscheidung

FG Münster, Beschluss vom 01.08.2011, 9 V 357/11 K,G

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