Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung einer Maßnahme der Dienstaufsicht

 

Leitsatz (amtlich)

Die Unabhängigkeit des Richters wird in der Regel nicht dadurch verletzt, daß der Dienstvorgesetzte die Genehmigung zu einer Dienstreise ins Ausland in einer Rechtssache versagt.

 

Normenkette

GG Art. 32, 97 Abs. 1; DRiG § 26 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 23.03.1977)

LG Frankfurt am Main

 

Tenor

Die Revision des Antragstellers gegen das Urteil des Hessischen Dienstgerichtshofs für Richter bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main vom 23. März 1977 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsmittels hat der Antragsteller zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Antragsteller gehörte in dem Strafverfahren 4 Ks 2/73 StA Frankfurt am Main als Beisitzer dem Schwurgericht an, das über die Anklage gegen F. und S. wegen Mordes im Konzentrationslager Auschwitz zu befinden hatte. Im Februar 1974 beschloß das Schwurgericht, die Vernehmung zweier Zeugen durch einen israelischen Richter im Wege der Rechtshilfe zu bewirken; an der Vernehmung sollten sowohl das erkennende Gericht als auch der Ergänzungsrichter und die drei Ergänzungsschöffen teilnehmen. Seine Entscheidung über die entsprechenden Dienstreiseanträge setzte der Hessische Minister der Justiz mit Erlaß vom 21. März 1974 aus, da das Auswärtige Amt außenpolitische Bedenken gegen die Reise einer so großen Zahl von Gerichtsmitgliedern geäußert hatte. Nachdem der Vorsitzende des Schwurgerichts zu diesen Bedenken Stellung genommen hatte, erklärte der Minister durch Erlaß vom 27. März 1974 sein Einverständnis damit, daß zwei Mitglieder des Schwurgerichts die beabsichtigte Reise nach Israel unternähmen; darin lag zugleich die Versagung der Genehmigung hinsichtlich der anderen Dienstreiseanträge.

Inzwischen hatte der Antragsteller um Gewährung eines Reisekostenvorschusses für die beabsichtigte Dienstreise nach Israel gebeten. Seinen Antrag lehnte der Präsident des Landgerichts Frankfurt am Main mit Bescheid vom 28. März 1974 unter Berufung auf eine entsprechende Weisung des Ministers der Justiz ab.

Am 1. April 1974 wandte sich der Antragsteller nunmehr an das Hessische Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht Frankfurt am Main. Dieses erklärte im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 123 VwGO) durch Beschluß vom 9. April 1974 die Erlasse des Hessischen Ministers der Justiz vom 21. und 27. März 1974 sowie den Bescheid des Präsidenten des Landgerichts vom 28. März 1974 für unzulässig. Das führte dazu, daß einer der israelischen Zeugen Anfang Juli 1974, wie vom Schwurgericht beschlossen, in Anwesenheit dessen sämtlicher Mitglieder und Ergänzungsmitglieder in Israel vernommen wurde; der andere Zeuge war inzwischen verstorben. Gegen die genannten Ministerialerlasse und den Bescheid des Präsidenten des Landgerichts erhob der Antragsteller außerdem mit Schriftsätzen vom 7. April 1974 Widerspruch. Den Widerspruch wies der Hessische Minister der Justiz durch Bescheid vom 8. Juli 1974 als unbegründet zurück.

Mit der Behauptung, durch die von ihm beanstandeten Verwaltungsmaßnahmen in seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt zu sein, leitete der Antragsteller nunmehr das Prüfungsverfahren vor dem Hessischen Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht Frankfurt am Main ein. Er hat beantragt, die Ministerialerlasse vom 21. und 27. März 1974, den Bescheid des Präsidenten des Landgerichts Frankfurt am Main vom 28. März 1974 sowie den Widerspruchsbescheid des Hessischen Ministers der Justiz vom 8. Juli 1974 für unzulässig zu erklären. Das Dienstgericht entsprach dem Antrag. Auf die Berufung des Antragsgegners wurde das Urteil jedoch vom Hessischen Dienstgerichtshof für Richter bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main aufgehoben; der Dienstgerichtshof wies die Anträge zurück (DRiZ 1977, 245). Gemäß § 80 Abs. 2 DRiG ließ er die Revision zu.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Antragstellers, mit der Verletzung des sachlichen Rechts gerügt wird. Sie erstrebt die Wiederherstellung des im ersten Rechtszug ergangenen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht begründet.

1. Zutreffend gehen beide Vorinstanzen von der Zulässigkeit des Antrags auf Aufhebung der in ihm genannten Verwaltungsentscheidungen aus. Sie ergibt sich schon aus der – ersichtlich nicht willkürlichen – Behauptung des Antragstellers, durch jene Entscheidungen in seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt zu sein (§ 26 Abs. 3 DRiG). Daß es sich bei den Entscheidungen um Maßnahmen der Dienstaufsicht handelt, ist im angefochtenen Urteil ebenfalls zutreffend dargelegt.

2. Eine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit, welche die beanstandeten Verwaltungsentscheidungen unzulässig machen würde (§ 26 Abs. 1 DRiG), liegt in Wahrheit nicht vor.

Der Begriff der richterlichen Unabhängigkeit ist weder im Grundgesetz (Art. 97 Abs. 1) noch im Deutschen Richtergesetz (§ 26 Abs. 1) definiert. Sein Inhalt muß aus seiner Bedeutung einerseits für das Zusammenwirken der staatlichen Organe, andererseits für die Durchsetzung des Rechts im gerichtlichen Verfahren erschlossen werden. In beiderlei Richtung, also im Hinblick sowohl auf das Gewaltenteilungsprinzip (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) als auch auf das Rechtsstaatsprinzip, ergeben sich notwendig Schranken der Unabhängigkeit. Es ist allgemein anerkannt, daß die richterliche Unabhängigkeit eine persönliche und eine sachliche Seite aufweist. Die erste, auf die sich die Unabsetzbarkeit des Richters gründet, steht hier nicht in Frage. Zu entscheiden ist, ob die sachliche Unabhängigkeit, die den Richter von Weisungen der Exekutive oder der Legislative für die Behandlung einer Rechtssache freistellt, völlig unbeeinflußte Entschließungen der Gerichte in Bezug auf Dienstreisen ins Ausland zur Teilnahme an Beweiserhebungen fordert. Das ist nicht der Fall.

Allerdings gilt die Garantie der Unabhängigkeit nicht nur für den Rechtsspruch selbst. Vielmehr sind in diese Garantie auch die Entscheidungen einbezogen, die der Rechtsfindung nur mittelbar dienen, etwa indem sie den Rechtsspruch vorbereiten (BGHZ 42, 163, 169). Zu diesen Entscheidungen gehören auch Beschlüsse, welche die Erhebung von Beweisen anordnen und bestimmen, in welchen Formen dies geschehen soll. Die hier in Rede stehenden Beschlüsse des Schwurgerichts, auch soweit sie die Anwesenheit aller seiner Mitglieder und Ergänzungsmitglieder bei der Beweisaufnahme durch den ersuchten Richter anordneten, gehören ihrer Art nach in diesen von der Unabhängigkeitsgarantie geschützten Bereich.

Der Antragsteller und mit ihm das Hessische Dienstgericht in Frankfurt am Main verkennen indes die Reichweite der richterlichen Unabhängigkeit, wenn sie dem Umstand, daß es hier um eine Beweisaufnahme im Ausland geht, keine entscheidende Bedeutung beimessen wollen. Auszugehen ist von der Eigenschaft richterlicher Tätigkeit als hoheitlicher Tätigkeit, die grundsätzlich nur im eigenen Hoheitsbereich des Staates, zu dessen Organen das Gericht gehört, ausgeübt werden kann. Diese Schranke kann nur mit Zustimmung des in Betracht kommenden anderen Staates durchbrochen werden. Die Frage, ob eine solche Zustimmung herbeigeführt oder ob von einer etwa bereits erteilten Zustimmung Gebrauch gemacht werden soll, fällt in den Bereich der Beziehungen zu auswärtigen Staaten, deren Pflege von Verfassungs wegen allein der Bundesregierung zugewiesen ist (Art. 32 GG). Daraus folgt, daß die Bundesregierung das Recht hat, einer richterlichen Tätigkeit im Ausland außenpolitische Bedenken entgegenzusetzen, und daß der zuständige Landesjustizminister befugt und verpflichtet ist, aufgrund solcher von der Bundesregierung geltend gemachter Bedenken die Bewilligung von Dienstreisen und die Zahlung von Reisekosten zu verweigern. Diese Rechtsauffassung liegt seit jeher der Praxis im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland zugrunde (vgl. das Rundschreiben des Bundesministers der Justiz vom 30. September 1960 – 1413 (2) – 7416/60 –, angeführt bei Grützner, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, II I 8 S. 6). Sie rechtfertigt die Regelung, die in Nr. 189 der von den Justizverwaltungen des Bundes und der Länder je für ihren Geschäftsbereich erlassenen Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt) im Sinne einer Genehmigungspflicht für Dienstreisen in das Ausland getroffen worden ist.

Etwas anderes kann nicht deshalb gelten, weil zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland Einigkeit darüber besteht, daß deutsche Richter an Rechtshilfehandlungen in Israel teilnehmen dürfen, und weil die israelische Seite im hier in Rede stehenden Fall auch keine Bedenken geltend gemacht hat. Eine generelle Einigung der beteiligten Staaten über die Handhabung des Rechtshilfeverkehrs in einem bestimmten Punkt und die Einigkeit der beteiligten Justizbehörden im konkreten Fall heben die Angelegenheit nicht aus dem Bereich der auswärtigen Beziehungen heraus. Wollte man dem Gericht im Hinblick auf die Haltung des ersuchten Staates im Einzelfall die Befugnis verleihen, seine eigene Auffassung gegen die des Auswärtigen Amtes durchzusetzen, so würde man ihm deshalb insoweit – also in einem wenn auch geringen Teilbereich – entgegen Art. 32 GG die Pflege der Beziehungen zu einem auswärtigen Staat überlassen.

Die bezeichnete Befugnis, die eigene Auffassung gegen die des Auswärtigen Amtes durchzusetzen, läßt sich auch nicht aus der Erwägung herleiten, in dem hier auftretenden Spannungsverhältnis zwischen den Prinzipien der richterlichen Unabhängigkeit und der Gewaltenteilung müsse letzteres wegen der Zustimmung des auswärtigen Staates zu der beabsichtigten Amtstätigkeit in seinem Hoheitsbereich zurücktreten. Ein Spannungsverhältnis besteht in Wahrheit nicht, unabhängig ist der Richter nur innerhalb der ihm von Verfassung und einfachem Gesetz – soweit es mit der Verfassung in Einklang steht – gezogenen Grenzen. Die in Art. 32 GG genannte Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten liegt außerhalb dieser Grenzen, berührt die Unabhängigkeit des Richters also nicht. Anders läge es, wenn die Bundesregierung etwa versuchen würde, ein Gericht zu einer bestimmten Rechtsauffassung bei der Entscheidung einer Rechtssache anzuhalten, um unerwünschte Folgen für die auswärtigen Beziehungen des Bundes zu vermeiden. Eine solche Einflußnahme wäre von Art. 32 GG nicht gedeckt und unzulässig. In diesem Bereich, in dem die Unabhängigkeit des Gerichts absoluten Vorrang hat, bleibt der Exekutive nur die Möglichkeit, nachteiligen Folgen richterlicher Erkenntnisse durch Maßnahmen im eigenen Zuständigkeitsbereich – etwa eine Gesetzesinitiative oder eine Begnadigung – entgegenzuwirken.

Dem gefundenen Ergebnis steht die Erwägung des Hessischen Dienstgerichts in Frankfurt am Main nicht entgegen, es sei allein Sache des erkennenden Gerichts, ob es eine Beweisaufnahme durch einen beauftragten oder ersuchten Richter für ausreichend erachtet und ob zur Wahrheitsfindung die Anwesenheit des gesamten Schwurgerichts bei einer Vernehmung im Ausland notwendig sei. Die Erwägung trifft insofern zu, als die Wertung eines in der einen oder anderen Form gewonnenen Beweisergebnisses allein dem in der Sache entscheidenden Gericht zusteht, und als es deshalb grundsätzlich auch in der Lage sein muß zu bestimmen, ob und in welcher Form weitere Beweise zu erheben sind. Diese richterliche Befugnis bedeutet aber keineswegs den freien Zugang zu allen etwa wünschenswerten Beweismitteln und Beweis verfahren. Das Strafverfahren ist nicht darauf angelegt, den Schuldigen unter allen Umständen der angemessenen Strafe zuzuführen. Die Strafprozeßordnung selbst enthält eine Reihe von Beweisverboten, die den Richter zwingen, gewisse Verfahrensergebnisse auch dann nicht zur Kenntnis zu nehmen, wenn eine einwandfreie Würdigung ihres Wahrheitsgehalts möglich wäre (vgl. etwa §§ 136 a Abs. 3, § 252 StPO). Im Hinblick auf § 49 Abs. 1 BZRG darf der Richter den einer getilgten Vorstrafe zugrundeliegenden Sachverhalt nicht einmal dann indiziell verwerten, wenn sich der Angeklagte auf die Tatsache der Verurteilung – wenn auch nicht auf die Tat selbst – berufen hatte (BGHSt 27, 108). Liegen solche oder andere Verwertungshindernisse vor, so muß sich der Richter allein aufgrund des sonstigen Beweisergebnisses ein Urteil bilden und, falls etwa das Beweisergebnis zur Überführung des Angeklagten nicht ausreicht, auf Freispruch erkennen. Entsprechend liegt es hier. Wenn das Ergebnis einer Vernehmung durch den ausländischen Richter dem erkennenden Gericht nicht die Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit eines Sachverhalts vermittelt, weil es der Vernehmung nicht selbst beiwohnen konnte, so muß es dieses Beweisergebnis außer acht lassen. Darin ist es unabhängig. Abwegig ist es, wenn der Antragsteller meint, die – vom Berufungsgericht angenommene – Entscheidungsbefugnis des Antragsgegners über Auslandsdienstreisen schlösse mittelbar die Befugnis ein, „im konkreten Fall dem mit der Sache befaßten Schwurgericht gleich die Beweisregel anzugeben, mit der das Problem zu lösen ist”. Das Berufungsgericht hat lediglich auf die jedem Richter geläufige Notwendigkeit hingewiesen, bestehende Beweisprobleme unter Anwendung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu lösen. Eine „Ermächtigung” der Justizverwaltung, hierauf in irgendeiner Form Einfluß zu nehmen, kann darin verständigerweise nicht gesehen werden.

Nach alledem ist die richterliche Unabhängigkeit des Antragstellers durch die von ihm beanstandeten Dienstaufsichtsmaßnahmen des Hessischen Ministers der Justiz und des Präsidenten des Landgerichts Frankfurt am Main nicht beeinträchtigt worden.

3. Die genannten Maßnahmen sind auch nicht aus anderen Gründen rechtswidrig. Sie stützen sich auf die vom Auswärtigen Amt geäußerten Bedenken. Eine Nachprüfung dieser Bedenken und der ihnen zugrundeliegenden Wertungen durch die Dienstgerichte kann nur auf die Frage gerichtet sein, ob sie von Willkür beeinflußt sind. Das ist hier ersichtlich nicht der Fall. Das Auswärtige Amt hatte die Befürchtung geäußert, daß es in Israel auf Unverständnis stoßen könnte, wenn die Bundesrepublik es einerseits ablehne, auf weitere Entschädigungsforderungen einzugehen, andererseits aber aufwendige Reisen seiner Gerichte ins Ausland gerade in Sachen zulasse, die nationalsozialistische Gewaltverbrechen betreffen. Eine solche Erwägung ist nicht sachfremd, ohne daß es darauf ankäme, ob die Befürchtung des Auswärtigen Amtes begründet war oder nicht. Sie hat auch nicht zu einer in willkürlicher Weise zu weitgehenden Maßnahme geführt. Denn der Hessische Minister der Justiz hat nicht etwa jede Teilnahme deutscher Richter an der Beweisaufnahme in Israel abgelehnt, sondern dem Vorsitzenden und dem Berichterstatter von vornherein die beantragte Dienstreise genehmigt.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG, § 154 Abs. 2 VwGO.

Für den Revisionsrechtszug wird der Wert des Streitgegenstandes entsprechend § 13, § 14 Abs. 1 Satz 1 GKG auf 3.000 DM festgesetzt.

 

Unterschriften

Schumacher, Loesdau, Dr. Thumm, Schauenburg, Herdegen

 

Fundstellen

Haufe-Index 1502507

BGHZ

BGHZ, 9

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