Leitsatz (amtlich)

a) Auch ein Arzt, der nur die Aufklärung des Patienten über die ihm angeratene Operation übernommen hat, kann diesem zum Ersatz des durch die Operation entstandenen Körperschadens verpflichtet sein, wenn die Aufklärung unvollständig, daher die Einwilligung des Patienten unwirksam war.

b) Zur Aufklärungspflicht über ein Operationsrisiko, dessen Komplikationsdichte zwar gering ist, das aber typisch ist.

 

Verfahrensgang

OLG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 23.12.1977)

LG Oldenburg

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 23. Dezember 1977 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der im Jahre 1938 geborene Kläger war als Kind an einer Mittelohrentzündung erkrankt. Seit 1958 hatte er keine Beschwerden an den Ohren mehr und wurde 1970 mit leichten Hörfehlern als Postarbeiter bei der Bundespost angestellt. Als zwei Jahre später bei einer amtsärztlichen Untersuchung eine wesentliche Verschlechterung seines Hörvermögens auf dem rechten Ohr festgestellt worden war, suchte er im November 1972 den Viertbeklagten, Chefarzt der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik des von der erstbeklagten Stadt betriebenen R.-N.-Krankenhauses, in dessen Praxis auf. Dieser stellte eine Perforierung des Trommelfelles am rechten Ohr und Schwerhörigkeit rechts fest und riet dem Kläger zu einer Operation, nämlich einer Tympanoplastik. Er klärte den Kläger in großen Zügen über Art und Umfang der Operation auf, ohne aber das Risiko einer Schädigung des nervus facialis mit der Folge einer Facialis-Lähmung zu erwähnen. Der Kläger willigte in die vorgeschlagene Operation ein. Der Eingriff wurde am 25. Januar 1973 im R.-N.-Krankenhaus von den früheren Beklagten zu 2) und 3) vorgenommen. Nach Freilegung des Operationsfeldes war durch das Operationsmikroskop erkennbar, daß der nervus facialis ohne knöcherne Umhüllung offen in Granulationen lag, die sich in der Paukenhöhle gebildet hatten. Auf Vorschlag des hinzugekommenen Viertbeklagten, der das Operationsfeld durch das Mikroskop in Augenschein genommen hatte, wurde die Operation abgebrochen. Es stellte sich indessen heraus, daß der Nerv bereits verletzt und dadurch eine halbseitige Gesichtslähmung beim Kläger eingetreten war. Der Viertbeklagte führte am folgenden Tage zur Kontrolle des verletzten Nerves eine Wundrevision durch und überwies den Kläger sodann in die HNO-Klinik in B., in der eine Nerventransplantation vorgenommen wurde. Nach weiteren Behandlungen ist es gelungen, die Folgen der Verletzung des Nervs weitgehend zu beseitigen.

Der Kläger verlangt, nachdem das Landgericht seine Klage gegen die früheren Beklagten zu 2) und 3) abgewiesen hat, jetzt noch von dem Viertbeklagten Zahlung eines Schmerzensgeldes, ferner Feststellung der Ersatzpflicht der Erstbeklagten und des Viertbeklagten für alle Zukunftschäden aus der Operation vom 25. Januar 1973. Er wirft dem Viertbeklagten in erster Linie vor, ihn nicht ausreichend über die Risiken der Operation aufgeklärt zu haben, weshalb seine Einwilligung in die Operation unwirksam gewesen sei. Im übrigen vertritt er die Ansicht, der Viertbeklagte habe die Operation nicht ordnungsgemäß überwacht.

Die Beklagten wenden demgegenüber ein, das Risiko einer Schädigung des nervus facialis sei bei einer Operation im Bereich des Mittelohres statistisch so gering, daß der Viertbeklagte den Kläger darüber nicht habe aufklären müssen, zumal auch therapeutische Erwägungen dagegen sprächen und die Operation aus ärztlicher Sicht dringend zu empfehlen gewesen sei. Ein ärztlicher Fehler sei den operierenden Ärzten nicht unterlaufen, vor allem könne der Kläger dem Viertbeklagten insoweit nichts vorwerfen.

Das Landgericht hat der Feststellungsklage gegen die beiden jetzt noch am Verfahren beteiligten Beklagten stattgegeben und den Viertbeklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 15.000 DM verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Klage hingegen auch hinsichtlich dieser Beklagten abgewiesen.

Mit der (zugelassenen) Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht tritt der Auffassung des Viertbeklagten bei, er habe den Kläger vor der Operation nicht über die Möglichkeit der Schädigung des nervus facialis aufklären müssen. Aufgrund der von ihm erhobenen Befunde habe beim Kläger die klassische Indikation für eine Tympanoplastik vorgelegen. Einmal hätte dadurch der Gefahr möglicher Entzündungen mit u.U. schwerwiegenden Folgen vorgebeugt werden können, zum anderen hätte mit großer Wahrscheinlichkeit eine Verbesserung des Hörvermögens des Klägers auf dem rechten Ohr erreicht werden können. Aufgrund der gutachtlichen Äußerungen der Sachverständigen meint das Berufungsgericht, daß demgegenüber der Viertbeklagte bei der Operation, die mit Hilfe des Operationsmikroskops vorgenommen werden sollte, nur mit einem Risiko der Schädigung des Nervs von allenfalls 1: 2000 habe rechnen müssen. Bei Abwägung eines derart entfernt liegenden Risikos gegenüber den Gefahren, die dem Kläger bei einer Unterlassung der "sehr empfehlenswerten" Operation gedroht hätten, könne einer ärztlichen Aufklärung über diesen Punkt für den Entschluß des Klägers, den Eingriff vornehmen zu lassen, keine rechtliche Bedeutung mehr beigemessen werden.

Eine fehlerhafte Behandlung des Klägers durch den Viertbeklagten verneint das Berufungsgericht. Es stellt insoweit fest, dieser hätte auch bei einer vollständigen Beobachtung und Überwachung der Operation die Verletzung des Nervs nicht verhindern können.

II.

Diese Begründung für die Abweisung der Klage hält im Ergebnis den Revisionsangriffen nicht stand.

1.

Ohne Erfolg wendet sich die Revision freilich dagegen, daß das Berufungsgericht die Haftung der Beklagten für einen ärztlichen Fehler bei der Operation des Klägers verneint.

a)

Der Viertbeklagte hat den Kläger weder selbst operiert, noch hatte er die Aufsicht über die Operation durch die früheren Beklagten zu 2) und 3) übernommen. Wenn er trotzdem aus fachlichem Interesse durch das Operationsmikroskop einen Blick auf das Operationsfeld warf und danach den Abbruch der Operation empfahl, so hatte er damit nicht die Verantwortung für die Behandlung des Klägers übernommen. Daß sein Rat zur Operation fehlerhaft war, behauptet auch der Kläger nicht. Ob dessen Behauptung zutrifft, das bei der Operation verwandte Mikroskop habe keinen Tubus gehabt, der einem zweiten Arzt die Mitbeobachtung des Operationsfeldes ermöglicht hätte, kann dahinstehen. Die auf die angebliche Nichtberücksichtigung dieses Vortrages gestützte Verfahrensrüge kann nämlich schon deswegen keinen Erfolg haben, weil das sachverständig beratene Berufungsgericht festgestellt hat, der Viertbeklagte hätte eine Verletzung des überraschend offenliegenden Nervs auch dann nicht rechtzeitig verhindern können, wenn er den Operationsverlauf ständig durch ein Binokular-Mikroskop mitbeobachtet hätte. Diese tatrichterliche Überzeugung muß die Revision hinnehmen. Dann aber ist nicht ersichtlich, daß die vom Kläger behauptete, angeblich vom Viertbeklagten zu verantwortende unzureichende Ausstattung der operierenden Ärzte für den Operationszwischenfall kausal gewesen sein kann.

b)

Damit entfällt bereits eine mögliche Haftung der erstbeklagten Stadt für einen Behandlungsfehler des Viertbeklagten als ihres Erfüllungsgehilfen. Einen Behandlungsfehler der früheren Zweit- und Drittbeklagten hatte bereits das Landgericht verneint und deswegen die gegen diese gerichtete Klage abgewiesen. Damit hatte sich der Kläger abgefunden. In der Berufungsinstanz hat er seinen Klageanspruch, auch soweit er ihn gegen die Erstbeklagte weiter verfolgt hat, nicht mehr darauf gestützt, daß den früheren Beklagten zu 2) und 3) bei der Operation ein ärztlicher Behandlungsfehler unterlaufen sei. Das Berufungsgericht hatte deshalb auch keinen Anlaß, in den Entscheidungsgründen seines Urteils auf diesen Tatbestand einzugehen; die entsprechende Rüge der Revision nach § 551 Nr. 7 ZPO ist unbegründet.

2.

Dagegen hält das angefochtene Urteil der rechtlichen Nachprüfung insoweit nicht stand, als es eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht durch den Viertbeklagten und demzufolge dessen Haftung und die der erstbeklagten Stadt für die Folgen der Verletzung des Nervs bei der Operation des Klägers verneint.

a)

Zu Unrecht vermißt die Revisionserwiderung allerdings insoweit eine Rechtsgrundlage für die Haftung mindestens des Viertbeklagten.

aa)

Die erstbeklagte Stadt ist dem Kläger als dem Begünstigten des von seiner Krankenkasse mit dem Krankenhaus abgeschlossenen "totalen Krankenhausvertrag" (BGHZ 1, 386; 4, 138, 149; Daniels NJW 1972, 305) zum Schadensersatz verpflichtet, wenn der Viertbeklagte als ihr Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB) den Krankenhausvertrag dadurch verletzt haben sollte, daß er den Kläger pflichtwidrig nicht über Art und Umfang der Operation sowie deren Risiken vollständig aufgeklärt hat, so daß dessen Einwilligung in die Operation unwirksam war. Ein Schmerzensgeld verlangt der Kläger von ihr nicht, so daß es keiner weiteren Erörterung bedarf, ob sie dem Kläger auch nach §§ 823, 831 BGB (oder gar §§ 31, 89 BGB) für eine unerlaubte Handlung des Viertbeklagten als ihres Verrichtungsgehilfen (oder eines ihrer Organe) haften müßte.

bb)

Der Viertbeklagte haftet dem Kläger zwar nicht aus Vertrag, weil er - dies jedenfalls bei der in dem von der erstbeklagten Stadt betriebenen Krankenhaus durchgeführten Operation - nicht sein Vertragspartner war, ihm auch nicht aufgrund des mit seiner Krankenkasse geschlossenen Vertrages Sorgfalt und Aufklärung schuldete. Indessen ist auch er, wenn er den Kläger nicht ausreichend über die Risiken der geplanten Operation aufgeklärt hat, für die dann durch keine wirksame Einwilligung des Klägers gedeckte Körperverletzung bei der Operation verantwortlich und haftet dem Kläger aus unerlaubter Handlung für die Körperschäden und die darauf beruhenden Vermögensschäden sowie auf Zahlung eines Schmerzensgeldes nach §§ 823 Abs. 1, 847 BGB. Das muß auch dann gelten, wenn, wie im Streitfall, nicht der operierende Arzt, sondern ein anderer Arzt die vor der Operation erforderliche Aufklärung des Patienten übernommen und gegeben hat. Der Arzt, der seinem Patienten zur Operation rät und ihn im Verlauf eines solchen Gespräches über Art und Umfang sowie mögliche Risiken dieser Operation aufklärt, übernimmt damit nämlich einen Teil der ärztlichen Behandlung dieses Patienten. Das begründet - wie auch sonst die Übernahme einer ärztlichen Behandlung - seine Garantenstellung gegenüber dem sich ihm anvertrauenden Patienten; von ihm hat er nun unter Einsatz seines Wissens und seiner Fähigkeiten im Rahmen der ärztlichen Behandlung Gesundheitsgefahren abzuwenden (vgl. Senatsurteil vom 20. Februar 1979 - VI ZR 48/78 - VersR 1979, 376). War er es gewesen, der die ärztliche Aufklärung vor der Operation übernommen hatte, so ist er jetzt mitverantwortlich dafür, daß die Einwilligung des Patienten in die Operation wirksam ist; dafür sind nicht nur die Ärzte verantwortlich, die den Eingriff vorgenommen haben. Verletzt er schuldhaft seine ärztlichen Pflichten bei der Aufklärung, so begeht auch er, wenn andere Ärzte den Patienten daraufhin ohne wirksame Einwilligung operieren, tatbestandsmäßig die so vorgenommene rechtswidrige Körperverletzung und haftet ihm für den daraus entstandenen Körperschaden. Denn auch in diesem Haftungsbereich gilt der Satz, daß Täter einer unerlaubten Handlung nicht nur der ist, der den Geschädigten unmittelbar verletzt, sondern auch der, der dessen Verletzung mittelbar verursacht hat (vgl. allgemein zur zivilrechtlichen Verantwortlichkeit bei ärztlicher Teamarbeit Westermann NJW 1974, 577 ff). Es bedarf daher nicht, wie die Revisionserwiderung meint, der Feststellung, daß sich der Viertbeklagte an der Operation als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe im Sinne des § 830 BGB beteiligt hatte.

Dabei braucht hier nicht entschieden zu werden, ob das auch dann zu gelten hat, wenn ein Arzt, der dem Patienten zu einer Operation geraten und ihn deshalb in ein Krankenhaus eingewiesen hatte, auch die dafür notwendige Aufklärung übernommen hat, oder ob er im Einzelfall davon ausgehen darf, die Aufklärung werde im Krankenhaus von dem operierenden Arzt oder jedenfalls von einem zum Chirurgenteam des Krankenhauses gehörenden Arzt vorgenommen werden (vgl. dazu aber schon Senatsurteil vom 23. Oktober 1979 - VI ZR 197/78 - VersR 1980, 68, 69 unter I 2 a). Jedenfalls muß im Streitfall, in dem der Viertbeklagte als einweisender Arzt zugleich der Chefarzt der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses war, in dem die Operation durchgeführt werden sollte, seine Garantenstellung gegenüber dem Kläger aus der Übernahme der ärztlichen Aufklärung vor der Operation bejaht werden. Er hat ihn in "sein" Krankenhaus eingewiesen und ihn dort von "seinen" Ärzten operieren lassen; es kann keinen rechtlich erheblichen Unterschied machen, ob er den Kläger (schon) in seiner ambulanten Praxis, die er neben seiner Tätigkeit im Krankenhaus ausübte, zur Operation geraten hatte oder (erst) bei einer Beratung in seinem Krankenhaus.

b)

Auch das Berufungsgericht geht davon aus, daß der Viertbeklagte dem Grundsatz nach verpflichtet gewesen war, den Kläger aufzuklären. Jedoch sind die Erwägungen, mit denen es eine Verpflichtung des Viertbeklagten zur Aufklärung des Klägers über das Risiko einer Verletzung des Gesichtsnervs abgelehnt hat, nicht frei von Rechtsirrtum, dies jedenfalls aufgrund der bisherigen tatrichterlichen Feststellungen.

aa)

Das Berufungsgericht erkennt an sich zutreffend, daß es für die Frage, ob der Patient über ein Risiko aufgeklärt werden muß, nicht allein auf die erfahrungsgemäß zu befürchtende Komplikationsdichte ankommt, sondern auch auf das Gewicht, das mögliche, nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegende Risiken für den Entschluß des Patienten haben können, in die Operation einzuwilligen (Senatsurteil vom 16. November 1971 - VI ZR 76/70 - VersR 1972, 153). Dabei spielt es eine wesentliche Rolle, ob die Operation von vitaler Bedeutung für den Patienten ist oder ob, wenn der Eingriff letztlich nicht dringend geboten ist, ein verständiger Patient bei Abwägung des Für und Wider auch angesichts eines möglicherweise entfernten Risikos von der Durchführung der Operation Abstand nehmen würde (vgl. dazu das ebenfalls eine Tympanoplastik betreffende Senatsurteil vom 2. November 1976 - VI ZR 134/75 - VersR 1977, 255 m.w.Nachw.). Den Ausführungen des Berufungsgerichts ist zu entnehmen, daß bei dem Kläger eine Tympanoplastik zwar angezeigt, eine alsbaldige Operation indessen nicht erforderlich war. Das Berufungsgericht bezeichnet den geplanten Eingriff als "sehr empfehlenswert", einmal wegen der zu erwartenden Verbesserung der Hörfähigkeit des Klägers auf dem rechten Ohr, andererseits wegen der Gefahr, daß es infolge der Perforation des Trommelfelles erneut zu Entzündungen des Mittelohreskommen konnte. Indessen konnte der Kläger, ohne sich selbst akut zu gefährden, das Ohr auch unoperiert lassen. Die bei ihm diagnostizierte chronische Otitis media war immerhin seit 1958 absonderungsfrei verlaufen, und auch im Zeitpunkt der Untersuchung durch den Viertbeklagten fanden sich keine Entzündungserscheinungen; Schwerhörigkeit bestand nur auf dem rechten Ohr. Damit konnte er, so lange nicht spezielle Leistungen wie bei dem von ihm ins Auge gefaßten Erwerb des Führerscheins verlangt wurden, ohne wesentliche Beeinträchtigung seines sozialen Kontaktes leben. Eine vitale Indikation für den Eingriff lag mithin nicht vor, so daß jedenfalls nicht aus diesem Gesichtspunkt an die Intensität der ärztlichen Aufklärungspflicht geringere Anforderungen zu stellen waren. Eine Entscheidung des Klägers gegen die Operation lag deshalb nicht ganz fern und hätte sich sogar auf nachvollziehbare Erwägungen stützen können, so daß er über nicht ganz seltene Risiken des Eingriffs hätte aufgeklärt werden müssen (vgl. dazu das oben angeführte Senatsurteil und das Urteil vom 2. Februar 1968 - VI ZR 115/67 - VersR 1968, 558 = Laryngologie, Rhinologie, Otologie 1968, 883 ff).

bb)

Außerdem ist es, was das Berufungsgericht nicht genügend berücksichtigt, von besonderer Bedeutung, daß die Verletzung des nervus facialis bei einer Mittelohroperation ein zwar recht seltener, aber immerhin gerade für diese Operation typischer Zwischenfall ist, dessen Kenntnis bei einem Laien nicht (anders als z.B. die Kenntnis von der Gefahr eines Narkosezwischenfalls) vorausgesetzt werden kann. Über solche typische, dem Patienten nicht erkennbare Risiken ist dieser grundsätzlich auch dann aufzuklären, wenn sie sehr selten sind (Senatsurteil vom 23. Oktober 1979 - VI ZR 197/78 - VersR 1980, 68); dies vor allem dann, wenn ihre Folgen bei Verwirklichung des Risikos schwerwiegend sind (vgl. Senatsurteil vom 4. November 1975 - VI ZR 226/73 - VersR 1976, 293 unter II 2 a). Das ist bei einer Verletzung des nervus facialis der Fall, die häufig nicht reversibel ist, daher zu erheblichen Entstellungen des Gesichtes führen kann.

c)

Angesichts dieser Umstände machte schon die vom Berufungsgericht zugrundegelegte, wenn auch geringe Komplikationsdichte von 1: 2000 eine Aufklärung über das spezielle Risiko nicht entbehrlich. Bezeichnenderweise hat auch der gerichtliche Sachverständige Prof. Miehlke erklärt, er pflege vor Operationen im Mittelohr auf die Möglichkeit der Beschädigung des Gesichtsnervs hinzuweisen (s. auch Becker in Laryngologie, Rhinologie, Otologie 1975, 802). Im Streitfall liegt die Gefahr der Verwirklichung dieses Risikos nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon so fern, daß der Viertbeklagte davon ausgehen durfte, der Kläger als verständiger Patient werde diese Gefahr bei seinem Entschluß, ob er in die Operation einwilligen will, nicht mehr ernsthaft in Betracht ziehen, selbst wenn die Folgen einer dennoch eingetretenen Verletzung des Nervs in vielen Fällen objektiv weitgehend beseitigt oder doch gebessert werden können. Darüber hinaus folgt das Berufungsgericht bei der Feststellung der Komplikationsdichte zu Unrecht dem Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen, die sich auf allgemeine Durchschnittswerte in Spezialkliniken, also unter optimalen Verhältnissen bezogen haben. Dabei übersieht es nämlich, worauf übrigens der Kläger im Rechtsstreit mehrfach hingewiesen hat, daß der Umfang der Aufklärungspflicht von den konkreten Umständen des Falles abhängt, es mithin darauf ankommt, mit welcher Komplikationsdichte gerade in der Klinik der Erstbeklagten aufgrund des Könnens und der Erfahrung der dort tätigen und für die Operation des Klägers in Betracht kommenden Chirurgen zu rechnen war (Senatsurteil vom 26. September 1961 - VI ZR 225/60 - VersR 1961, 1039; vom 22. Juni 1971 - VI ZR 230/69 - VersR 1971, 929). Dazu fehlt es bisher an jeder tatsächlichen Feststellung. Immerhin hatten die früheren Beklagten zu 2) und 3) in ihrer Klageerwiderung die Komplikationsdichte selbst auf etwa 1 % geschätzt, was bereits darauf hindeuten kann, daß an der Klinik der Erstbeklagten mit erheblich höheren Zwischenfallsraten zu rechnen war als bei den an ihren Spezialkliniken besonders erfahrenen Chirurgen, die das Berufungsgericht als Sachverständige gehört hat. Bestand also, wovon bisher zugunsten des Klägers ausgegangen werden muß, ein nicht nur ganz entferntes Risiko der Schädigung des Nervs bei einer Operation im Krankenhaus der Erstbeklagten, dann hätte der Viertbeklagte den Kläger darüber aufklären müssen.

III.

Das Berufungsurteil kann danach mit den bisherigen Feststellungen nicht bestehen bleiben. Es bedarf vielmehr weiterer Aufklärung über die Größe des Risikos einer Schädigung des nervus facialis bei der geplanten Operation des Klägers gerade an der Klinik der Erstbeklagten. Dabei wird das Berufungsgericht auch der Frage nachzugehen haben, ob nicht der am Ohr des Klägers festgestellte Befund, der eine Tympanoplastik nahelegte, schon auf die Möglichkeit anatomischer Veränderungen im Mittelohr hinwies, die dann auch das Fehlen des knöchernen Kanales für den nervus facialis und seine dadurch hervorgerufene ungeschützte Lage wahrscheinlicher machten. Auch dadurch könnte ein im allgemeinen vielleicht entferntes Risiko der Schädigung des Nervs während der Operation im konkreten Fall höher einzuschätzen gewesen sein, worauf der Kläger dann erst recht hätte hingewiesen werden müssen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018791

NJW 1980, 1905

NJW 1980, 1905-1907

NJW 1980, 2753

NJW 1980, 2753-2754 (amtl. Leitsatz)

MDR 1980, 836-837 (Volltext mit amtl. LS)

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