Leitsatz (amtlich)

›Ein Apotheker verstößt nicht gegen § 1 UWG, wenn er Betriebsärzten apothekenpflichtige Arzneimittel liefert, die diese zur Verwendung unmittelbar an den Werksangehörigen im Rahmen von Erstbehandlungen bei akuten Erkrankungen bestellen.‹

 

Verfahrensgang

LG Bremen

OLG Bremen

 

Tatbestand

Die Klägerin ist die Berufsvertretung der Apotheker im Lande B in der Rechtsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts. Zu ihren gesetzlichen Aufgaben gehört es, "im Einklang mit den Interessen der Allgemeinheit die beruflichen Belange der Gesamtheit der Kammerangehörigen zu wahren".

Der Beklagte ist Inhaber der "H -Apotheke" in B und gehört der Klägerin an. Er beliefert seit einiger Zeit verschiedene Sanitätsdienste und werksärztliche Dienste gewerblicher Unternehmen in B und anderen Bundesländern mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Die Lieferungen erfolgen auf Verschreibung des jeweiligen Betriebsarztes, der bei der Belieferung den folgenden Revers unterzeichnet:

"1. Der betriebsärztliche Dienst der... wird von hauptberuflichen Betriebsärzten durchgeführt.

2. Der betriebsärztliche Dienst bezieht apothekenpflichtige Arzneimittel nur über eine Apotheke.

3. Apothekenpflichtige und verschreibungspflichtige Arzneimittel werden ausschließlich durch Rezeptur (Bestellung) mit dem Zusatz "ad usum medici" oder "pro praxi" bezogen.

4. Die über obigen Weg bezogenen Medikamente werden ausschließlich in betriebsärztlichen Dienststellen vom oder unter Aufsicht des Betriebsarztes angewendet oder in begründeten Ausnahmefällen dem behandelten Arbeitnehmer zur alsbaldigen Einnahme ausgehändigt.

5. Eine Abgabe von Medikamenten über die kurzfristige Versorgung zur alsbaldigen Einnahme hinaus findet nicht statt. "

Zu den teilweise in Klinikpackungen gelieferten Medikamenten gehören u.a. Fußpilzsalben, ABC-Pflaster, Schmerztabletten, Abführmittel und Nasenspray.

Die Klägerin hält diese Liefertätigkeit des Beklagten gemäß § 1 UWG i.V.m. § 43 UWG für sitten- und wettbewerbswidrig und hat Unterlassungsklage erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Betriebsärzte gäben die vom Beklagten gelieferten Medikamente an die Betriebsangehörigen weiter und unterliefen die Regelung des § 43 UWG, wonach die Versorgung des Endverbrauchers mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln allein den Apothekern vorbehalten sei. Die Betriebsärzte dürften aufgrund ihres gesetzlichen Tätigkeitsbereiches lediglich im Rahmen der Notfallversorgung von Betriebsangehörigen apothekenpflichtige Arzneimittel verwenden. Die darüber hinausgehende Abgabe sei unzulässig, und der Beklagte dürfe hierbei nicht durch seine Lieferungen mitwirken.

Dementsprechend hat die Klägerin beantragt,

dem Beklagten die Belieferung von sanitäts- oder werksärztlichen Diensten gewerblicher Unternehmen im Bundesland B, mit Ausnahme der unmittelbaren Belieferung von Werksärzten für Zwecke der Notfallversorgung, zu untersagen.

Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Beklagten verboten, sanitäts- oder werksärztliche Dienste im Bundesland B ansässiger Unternehmen mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln zu beliefern, soweit nicht sichergestellt ist, daß die Medikamente ausschließlich dort Verwendung finden und nicht an die behandelten Arbeitnehmer oder sonstige Personen weitergegeben werden. Den weitergehenden Unterlassungsantrag, mit dem eine Beschränkung auf die Belieferung zur Notfallversorgung begehrt worden war, hat es abgewiesen. Die hiergegen gerichteten Berufungen beider Parteien sind zurückgewiesen worden. Das Berufungsgericht hat lediglich hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs den Tenor dahin gefaßt, daß der Beklagte verurteilt wird,

es zu unterlassen, Betriebsärzte oder Werksärzte im Bundesland B ansässiger gewerblicher Unternehmen mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln zu beliefern; ausgenommen ist die Lieferung von solchen apothekenpflichtigen Arzneimitteln, die nach Art und Darreichungsform für die betriebsärztliche Erstbehandlung geeignet sind, an Betriebs- oder Werksärzte, die sich durch folgende Erklärung verpflichten, die Arzneimittel ausschließlich zur betriebsärztlichen Erstbehandlung in akuten Fällen durch Anwendung am Patienten zu verwenden:

"Der betriebsärztliche Dienst der... wird von hauptberuflichen Betriebsärzten durchgeführt.

Der betriebsärztliche Dienst bezieht apothekenpflichtige Arzneimittel nur über eine Apotheke.

Apothekenpflichtige und verschreibungspflichtige Arzneimittel werden ausschließlich durch Rezeptur (Bestellung) mit dem Zusatz "ad usum medici" oder "pro praxi" bezogen.

Die über obigen Weg bezogenen Medikamente werden ausschließlich in betriebsärztlichen Dienststellen zur Erstbehandlung in akuten Fällen vom oder unter Aufsicht des Betriebsarztes angewendet. "

Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin weiterhin den abgewiesenen Teil des Unterlassungsantrags, der die Belieferung von sanitätsärztlichen und betriebsärztlichen Diensten im allgemeinen sowie die Belieferung von Werks- und Betriebsärzten für die über die Notfallversorgung hinausgehende betriebsärztliche Erstbehandlung von akuten Erkrankungen betrifft. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hat hinsichtlich des in die Revision gelangten Teils des Klageantrags ausgeführt:

1. Ein Unterlassungsanspruch wegen der Belieferung von sanitätsärztlichen und betriebsärztlichen Diensten als solchen scheitere daran, daß die Klägerin die Belieferung solcher Dienste nicht dargelegt habe. Die von ihr beanstandeten Lieferungen durch den Beklagten seien stets für den in dem jeweiligen betriebs- oder sanitätsärztlichen Dienst tätig gewordenen Arzt bestimmt gewesen.

2. Die Belieferung von Werks- und Betriebsärzten sei abgesehen von der Belieferung für die Notfallversorgung - auch insoweit zulässig, als sie der betriebsärztlichen Erstbehandlung im Rahmen einer akuten Erkrankung diene. Ein Verstoß gegen § 43 Abs. 1 UWG, wonach apothekenpflichtige Arzneimittel im Einzelhandel nur in Apotheken in den Verkehr gebracht werden dürften, komme nicht in Betracht, soweit die Betriebs- und Werksärzte die Medikamente nicht an die Patienten weitergäben, sondern in der Praxis selbst oder durch das von ihnen überwachte Personal am Patienten anwendeten. Hierin liege keine Abgabe des Arzneimittels durch den Arzt und damit kein unzulässiges Inverkehrbringen außerhalb einer Apotheke. Im Rahmen ihres Aufgabenbereichs dürften die Werks- und Betriebsärzte daher Medikamente in dieser Weise verwenden. Zu ihren Aufgaben gehöre dabei nicht nur die Notfallbehandlung; vielmehr dürften sie die Unternehmensangehörigen auf deren Wunsch auch im Rahmen einer Erstbehandlung bei akuten Erkrankungen behandeln. Der Beklagte handelt daher nicht unlauter, wenn er Betriebs- oder Werksärzte mit Medikamenten beliefere, die nach Art und Darreichungsform zur Notfall- oder Erstbehandlung durch den Werks- oder Betriebsarzt in Betracht kämen, sofern er bei Medikamenten, die zur Weitergabe an den Patienten geeignet seien, durch ein entsprechendes Revers hiergegen Vorsorge treffe.

II. Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin ist nicht begründet.

1. Das Berufungsgericht hat einen Unterlassungsanspruch der Klägerin hinsichtlich der Belieferung von sanitäts- und betriebsärztlichen Diensten als solchen - also ohne Rücksicht auf ihre Leitung durch Arzte - mit der Begründung abgewiesen, daß die Klägerin eine solche Belieferung nicht dargelegt habe. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

Das Berufungsgericht hat hierzu festgestellt, daß die vom Beklagten vorgenommenen und von der Klägerin beanstandeten Arzneimittellieferungen stets für den in dem jeweiligen betriebs- oder sanitätsärztlichen Dienst tätig gewordenen Arzt bestimmt gewesen seien. Dies ergebe sich aus dem unstreitigen Sachverhalt, insbesondere aus der Tatsache, daß der Beklagte stets auf die Verschreibungen der Betriebsärzte gegen Unterzeichnung seines Revers durch sie geliefert habe und daß nach dem Text des Revers der Bezug der Arzneimittel "ad usum medici" oder "pro praxi" erfolgte.

Die hiergegen erhobenen Einwände der Revision greifen nicht durch. Soweit die Revision geltend macht, daß der Beklagte die Belieferung betriebsärztlicher Dienste zugestanden habe, übersieht sie, daß - wie der Zusammenhang ergibt - damit nur die Belieferung der von Betriebsärzten geleiteten Dienste zwecks Verwendung durch diese Arzte eingeräumt worden ist. Die Belieferung von betriebsärztlichen Diensten, bei denen eine andere Person als der Betriebsarzt über die gelieferten Medikamente entscheidet, ist nicht behauptet und nicht zugestanden worden.

Entgegen der Auffassung der Revision besteht insoweit auch keine Erstbegehungsgefahr; denn ohne dahingehende Anhaltspunkte kann nicht angenommen werden, daß über die Medikamente, die der Betriebsarzt mit der Klausel "ad usum medici" oder "pro praxi" bestellt, andere Personen als er selbst verfügen. Hiergegen spricht auch, daß der von den Betriebsärzten bei Empfangnahme der Arzneimittel zu unterzeichnende Revers mit der Klausel beginnt: "Der betriebsärztliche Dienst der... wird von hauptberuflichen Betriebsärzten durchgeführt. "

2. Die Revision wendet sich auch ohne Erfolg dagegen, daß das Berufungsgericht die Belieferung der Werks- oder Betriebsärzte mit apothekenpflichtigen Medikamenten zur Verwendung an den Patienten im Rahmen einer Erstbehandlung bei akuten Erkrankungen für zulässig angesehen und insoweit einen Unterlassungsanspruch verneint hat.

a) Einen Anspruch aus § 1 UWG in Verbindung mit § 43 UWG auf Unterlassung derartiger Lieferungen hat das Berufungsgericht mit der Begründung verneint, daß die Verwendung von apothekenpflichtigen Arzneimitteln unmittelbar am Patienten im Rahmen einer Erstbehandlung bei akuten Erkrankungen nicht gegen § 43 UWG verstoße und die dafür bestimmten Arzneimittellieferungen wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden seien. Diese Ausführungen lassen keinen Rechtsfehler erkennen.

Nach § 43 Abs. 1 UWG dürfen Arzneimittel, soweit sie nicht freigegeben sind, im Einzelhandel nur in Apotheken in den Verkehr gebracht werden. Ein Inverkehrbringen im Einzelhandel setzt voraus, daß das Arzneimittel an den Endverbraucher abgegeben und ihm die Verfügung darüber eingeräumt wird. Dies liegt, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, dagegen nicht vor, wenn der Arzt im Rahmen einer Behandlung selbst oder durch überwachtes Personal Arzneimittel am Patienten anwendet, z.B. durch Injektion, Infusion, Verabreichen einer einzelnen Dosis oder ähnliche Maßnahmen. Dabei werden die Medikamente nämlich nicht in die Verfügungsgewalt des Endverbrauchers gebracht, vielmehr. verbraucht der Arzt sie bei der Durchführung seiner Behandlung. Dieser Praxisverbrauch ist somit nicht als ein - Inverkehrbringen im Einzelhandel im Sinne von § 43 Abs. 1 UWG anzusehen. Hierfür spricht auch, daß die Einbeziehung einer solchen Arzneimittelverwendung in das Apothekermonopol des § 43 Abs. 1 UWG keinen Sinn ergäbe; denn die Apotheker sind nicht befugt, derartige ärztliche Behandlungen am Patienten vorzunehmen. Dagegen gehört es mit zu den Aufgaben des Arztes, und zwar auch eines Betriebsarztes, bei der Behandlung des Patienten Arzneimittel unmittelbar zu applizieren. Darin liegt kein Verstoß gegen § 43 Abs. 1 UWG (vgl. Sander/Köbner, Arzneimittelrecht, Erl. zu § 43 UWG, Anm. 3).

b) Ein Anspruch auf Unterlassung der Belieferung der Betriebsärzte mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln zur Verwendung im Rahmen einer nachgesuchten Erstbehandlung von Unternehmensangehörigen bei akuten Erkrankungen ergibt sich auch nicht aus § 1 UWG in Verbindung mit den für die Betriebsärzte maßgeblichen Vorschriften. Wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat, ist es den Betriebsärzten nämlich nicht untersagt, bei Unternehmensangehörigen auf deren Wunsch bei akuten Erkrankungen eine Erstbehandlung vorzunehmen und die dabei benötigten apothekenpflichtigen - Arzneimittel zu applizieren.

Hinsichtlich des Aufgabenbereichs der Betriebsärzte ist in § 3 des Gesetzes über die Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit vom 12. Dezember 1973 (ASiG) bestimmt, daß sie "insbesondere" die dort aufgeführten Aufgaben des Arbeitsschutzes, der Unfallverhütung und der Arbeitsmedizin zu erfüllen haben. Aus diesem Wortlaut hat das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß den Schluß gezogen, daß die gesetzliche Aufzählung nicht abschließend ist. Dies ergibt sich auch als Gegenschluß daraus, daß - wie z.B. in § 3 Abs. 3 ASiG - bestimmte Tätigkeiten dem Betriebsarzt ausdrücklich untersagt sind. Abgesehen hiervon können die Betriebsärzte neben den ausdrücklich vorgeschriebenen Aufgaben grundsätzlich auch andere ärztliche Tätigkeiten durchführen (vgl. Kliesch/Nöthlichs/Wagner, Arbeitssicherheitsgesetz, 1978, § 3, Anm. 5; Spinnarke/Schork, ASiR, Kommentar, § 3 ASiG, Anm. 1.1.6).

Der Beklagte handelt somit nicht wettbewerbswidrig, wenn er den Betriebsärzten auf deren Bestellung und gegen Unterzeichnung des vorgesehenen Revers apothekenpflichtige Arzneimittelliefert. Hinzu kommt, daß es grundsätzlich nicht Aufgabe der Apotheker ist, Verschreibungen und Bestellungen der Betriebsärzte zu überwachen, insbesondere nicht dahingehend, ob diese über die betriebsärztliche Tätigkeit hinaus auch sonstige Behandlungen von Unternehmensangehörigen vornehmen.

III. Im Ergebnis ist daher die Revision der Klägerin mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992928

NJW 1989, 1676

BGHR AMG § 43 Abs. 1 Inverkehrbringen 1

BGHR ASiG § 3 Betriebsärztlicher Dienst 1

BGHR UWG § 1 Schutz der Volksgesundheit 1

NJW-RR 1989, 550

GRUR 1988, 623

MDR 1988, 835

WRP 1988, 527

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