Tz. 35

Stand: EL 36 – ET: 06/2022

Durch die schuldhaft pflichtverletzende Handlung bzw. Unterlassung des Vorstandsmitglieds muss ein Schaden der Gesellschaft kausal und zurechenbar verursacht worden sein. Hinsichtlich der Zurechnung gelten die allg. Grundsätze. Die Äquivalenztheorie findet Anwendung, wonach die Pflichtverletzung i. A. und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet sein muss, den eingetretenen Schaden herbeizuführen. Der Einwand hypothetischer Schadensverursachung kraft rechtmäßigen Alternativverhaltens schließt grds. die Zurechnung aus. Voraussetzung ist allerdings der sichere Nachweis, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Vorstandsmitglieds eingetreten wäre. Die bloße Möglichkeit des Schadenseintritts bei pflichtgemäßem Verhalten reicht nicht aus. Bedeutungslos ist die Berufung auf die hypothetische Überlegung, ein bei pflichtgemäßem Verhalten erwirtschafteter Gewinn der Gesellschaft wäre an die Aktionäre ausgeschüttet worden. Darüber hinaus soll nach Teilen der Literatur bei einem Verstoß gegen formale Vorschriften, wie Organisations-, Kompetenz- und Verfahrensnormen (z. B. Zustimmungsvorbehalt des AR; vgl. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG), der Schutzzweck dieser Vorschriften eine Berufung auf den Grundsatz rechtmäßigen Alternativverhaltens grds. ausschließen (vgl. KK-AktG (2010), § 93, Rn. 55; AktG-GroßKomm. (2015), § 93, Rn. 413ff.). Die Rspr. ist dem aus guten Gründen nicht gefolgt. So hat der BGH entschieden, dass dem Vorstand bei Verstoß gegen einen Zustimmungsvorbehalt des AR der Einwand offensteht, der AR hätte den von ihm durchgeführten Maßnahmen zugestimmt, wenn er ihn gefragt hätte. Allerdings obliegt dem Vorstandsmitglied insoweit die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BGH, Urteil vom 10.07.2018, II ZR 24/17, NJW 2018, S. 3574 (3578f.); BeckOGK-AktG (2021), § 93, Rn. 262).

 

Tz. 36

Stand: EL 36 – ET: 06/2022

Auch hinsichtlich des Schadens gelten die allg. Grundsätze. Der Schaden ergibt sich damit aus der Differenz zwischen der Vermögenslage der Gesellschaft vor und nach dem pflichtverletzenden Verhalten des Vorstandsmitglieds. Ein Schaden liegt vor, wenn das Gesellschaftsvermögen nach der pflichtverletzenden Handlung gemindert und nicht durch eine damit im Zusammenhang stehende Vermögensmehrung ausgeglichen worden ist. Dagegen will Mertens den Schadensbegriff durch das Kriterium der den Zwecken der Gesellschaft nicht entsprechenden Vermögensminderung weiter einschränken. Ebenso wie eine Pflichtverletzung soll danach auch ein Schaden nur dann vorliegen, wenn die Vermögensminderung auf einer Entscheidung des Vorstandsmitglieds beruht, die sich außerhalb des Rahmens pflichtgemäßer unternehmerischer Ermessensausübung hält. Damit scheiden z. B. angemessene Aufwendungen für soziale, kulturelle oder politische Zwecke von vornherein aus dem Schadensbegriff aus (vgl. Mertens (1990), Rn. 48; KK-AktG (2010), § 93, Rn. 59). Gegen diese Auffassung spricht, dass die unter dem Kriterium der Zweckverfehlung bei dem Schaden diskutierten Überlegungen zu einer Einbeziehung von Tatbestandselementen in den Schadensbegriff führen, die zur Ebene der Pflichtwidrigkeit gehören und dort auch zu diskutieren sind (vgl. Meyer-Landrut/Miller/Niehus (1987), § 43 GmbHG, Rn. 13). Praktische Bedeutung hat der Streit für die Beweislastverteilung (vgl. HdR-E, AktG § 93, Rn. 39). Umstritten ist, ob Bußgelder und sonstige Strafzahlungen der Gesellschaft einen ersatzfähigen Schaden darstellen, insbesondere bei Verhängung von Kartellbußgeldern. Die wohl h. M. bejaht die Regressfähigkeit einer solchen Vermögenseinbuße dem Grunde nach, befürwortet allerdings eine Regressreduzierung der Höhe nach (vgl. im Überblick Hüffer-AktG (2022), § 93, Rn. 87ff., 96ff., m. w. N.; bereits HdR-E, AktG § 93, Rn. 32; a. A.: LAG Düsseldorf, Urteil vom 20.01.2015, 16 Sa 459/14, ZIP 2015, S. 829, 830ff. (kein Regress)). Ersatzfähig sind überzeugenderweise ferner RA-Kosten, die der Gesellschaft infolge einer Pflichtverletzung entstehen, etwa durch Internal Investigations (vgl. LG München I, Urteil vom 10.12.2013, 5 HKO 1387/10, ZIP 2014, S. 570 (576); überdies, indes mit abweichender Begründung, Lüneborg/Resch, NZG 2018, S. 209 (212ff.)). Die Gesellschaft soll sich nicht aufgrund eines Fehlers der Organmitglieder auf deren Kosten bereichern. Deshalb sind auf den Schadensersatzanspruch nach § 93 Abs. 2 AktG die Grundsätze der Vorteilsausgleichung anzuwenden und Vorteile bei der Schadensbegründung zu berücksichtigen, soweit das haftungsbegründende Ereignis zu adäquat kausalen Vorteilen bei der Gesellschaft geführt hat und deren Anrechnung nach Sinn und Zweck der Schadensersatzpflicht entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2013, II ZR 90/11, WM 2013, S. 456 (459); BGH, Urteil vom 20.09.2011, II ZR 234/09, NZG 2011, S. 1271 (1272)).

 

Tz. 37

Stand: EL 36 – ET: 06/2022

Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ist bei der Übernahme v...

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