aa) Klassifizierung in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Entstehung und Auflösung

 

Rn. 315

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Der Ansatz und die Auflösung von latenten Steuern auf temporäre Differenzen der Organgesellschaft erfordert eine rechtsträger- und zeitraumbezogene Betrachtung. Ausschlaggebend für die Beurteilung, ob der Ansatz von latenten Steuern der Organgesellschaft oder dem Organträger obliegt, ist der Zeitpunkt der Umkehrung der temporären Differenzen. Fällt diese in die vor- oder nachorganschaftliche Zeit, ist ein Ansatz bei der (künftigen oder ehemaligen) Organgesellschaft geboten, weil sie selbst Steuerschuldner ist. Kehren sich temporäre Differenzen hingegen während des Bestehens der Organschaft um, sind sie dem Organträger zuzurechnen. Daher sind folgende Kategorien zu unterscheiden:

Übersicht: Kategorien temporärer Differenzen auf Ebene der Organgesellschaft (in Anlehnung an: Braun (2015), S. 150)

Kategorie (1) betrifft die vororganschaftliche Entstehung und Auflösung von temporären Differenzen ohne Auswirkung auf die organschaftlichen oder nachorganschaftlichen Zeiträume. Demnach setzt die (künftige) Organgesellschaft die latenten Steuern an.

Kategorie (2) umfasst die temporären Differenzen, die vororganschaftlich entstanden sind und sich während des Bestehens der Organschaft auflösen. In diesem Fall sind die latenten Steuern im Abschluss des Organträgers anzusetzen.

Bei Kategorie (3) handelt es sich um den typischen Anwendungsfall latenter Steuern in Organschaftsverhältnissen. Temporäre Differenzen entstehen in organschaftlicher Zeit und kehren sich vor Beendigung der Organschaft vollständig um. Damit stellen sie Mehr- und Minderabführungen i. S. v. § 14 Abs. 4 Satz 1f. KStG dar, die das dem Organträger zuzurechnende Einkommen erhöhen bzw. reduzieren. Diese künftigen steuerlichen Mehr- und Minderbelastungen, die sich aus der Veränderung von temporären Differenzen der Organgesellschaften ergeben, hat der Organträger bei der Ermittlung der aktiven bzw. passiven latenten Steuern zu berücksichtigen.

Den Kategorien (4) und (5) ist gemeinsam, dass sowohl die Ursache für das Entstehen der temporären Differenzen als auch die künftigen steuerlichen Wirkungen (Mehr- respektive Minderbelastungen) bei demselben Rechtsträger, der Organgesellschaft, zusammenfallen und somit Personenidentität vorliegt (vgl. Herzig/ Fuhrmann (2012), S. 330). Latente Steuern sind bei der Organgesellschaft anzusetzen (vgl. DRS 18.34).

bb) Beginn und Ende der Organschaft

 

Rn. 316

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Die dargestellte Konzeption der Bilanzierung von latenten Steuern erfordert an den Übergängen von einer nicht organschaftlich verbundenen Gesellschaft zu einer Organgesellschaft sowie deren Ausscheiden aus dem Organkreis eine Prüfung, welcher Rechtsträger in welchem Umfang latente Steuern ansetzt und ob bereits erfasste latente Steuern bei dem einen Rechtsträger auszubuchen und beim anderen einzubuchen sind. Während eine Zuordnungsänderung bei den Kategorien (1) und (3) denklogisch ausscheidet, weisen die Kategorien (2), (4) und (5) Übergänge auf und somit die Notwendigkeit, Informationen über den Zeitpunkt der Umkehrung der temporären Differenzen sowie über den Steuerschuldner zu erheben.

 

Rn. 317

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Zu jedem BilSt ist eine Einschätzung erforderlich, wann sich die temporären Differenzen der Organgesellschaft umkehren und ob sie zu diesem Zeitpunkt (noch) in den Organkreis des Organträgers eingebunden sind. Ausgehend von den Planungen des Organträgers und unter Anwendung eines Schätzverfahrens scheint zunächst eine verlässliche Ermittlung möglich zu sein. In einer Vielzahl von Fällen zeigt sich in praxi jedoch, dass insbesondere die Bestimmung des Zeitpunkts des Ausscheidens einer Gesellschaft aus einem Organkreis sehr schwierig ist. Es gibt vielfältige und sachlich gerechtfertigte Gründe, die organschaftliche Einbindung einer Gesellschaft vorzeitig zu beenden (z. B. bei Verkauf der Organgesellschaft) oder eine bestehende Organschaft über den geplanten Zeitpunkt hinaus fortzuführen (z. B. für den Fall eines noch nicht vollständig verrechneten steuerlichen Verlustvortrags des Organträgers). Zudem lässt sich – selbst bei fiktiver – exakter Bestimmung des Zeitpunkts des Ein- bzw. Austritts einer Gesellschaft in den bzw. aus dem Organkreis nicht immer verlässlich bestimmen, wie sich die temporären Differenzen bis dahin entwickeln, weil der Zeitpunkt der Realisierung von Sachverhalten sich ändern kann (z. B. bei Verschiebung der Veräußerung eines Grundstücks wegen vorübergehenden Verfalls des erzielbaren Veräußerungspreises durch die Organgesellschaft).

 

Rn. 318

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Die skizzierten konzeptionellen Anforderungen und die geforderte Vorgehensweise stoßen in praxi an Vollzugsgrenzen. Trotz bestmöglicher Schätzung des Zeitpunkts der Umkehrung von temporären Differenzen kann ein nicht unerheblicher Effekt auf das Steuerergebnis wirken, wenn der Eintritt der Steuerbe- oder -entlastung von der ursprünglichen Schätzung abweicht. Daher wird im Schrifttum zu Recht darauf hingewiesen, dass in der Praxis jene Konstellationen schw...

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