Leitsatz
- Der Erbe kann einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlustabzug nach § 10d EStG nicht bei seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen. Jedoch ist die bisherige gegenteilige Rechtsprechung des BFH aus Gründen des Vertrauensschutzes weiterhin in allen Erbfällen anzuwenden, die bis zum Ablauf des Tages der Veröffentlichung dieses Beschlusses eingetreten sind.
- Da der Große Senat des BFH die vorgelegte erste Rechtsfrage im Grundsatz verneint hat, erübrigt sich eine Stellungnahme zu der vom vorlegenden Senat nur hilfsweise gestellten zweiten Rechtsfrage.
Sachverhalt
Ein im Jahr 1983 verstorbener Landwirt, der in seinen letzten Lebensjahren mit seinem Hof erhebliche Verluste erwirtschaftet hatte, bestimmte seinen Sohn testamentarisch zum alleinigen Hoferben. Der Erbteil des Sohnes am hoffreien Vermögen betrug 10 %, die restlichen Erbteile fielen auf seine Mutter und die vier Geschwister. Der Sohn führte den Hof fort und ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1 EStG. Bei seiner Einkommensteuerveranlagung 1986 ließ das Finanzamt lediglich 10 % der Verluste seines verstorbenen Vaters zum Abzug zu. Das FG wies die Klage, mit der der Sohn geltend machte, ihm als Hoferben stünde der Verlust des Vaters allein und in voller Höhe zu, mit der Begründung ab, dass der Verlustabzug nicht vererblich sei.
Entscheidung
Der Große Senat des BFH gelangte zu der Auffassung, dass – entgegen der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BFH – der Sohn den vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlustabzug nicht bei seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen kann.
Ein Übergang des Verlustabzugs vom Erblasser auf den Erben kann weder auf zivilrechtliche noch auf steuerrechtliche Vorschriften und Prinzipien gestützt werden. Nach § 1922 Abs. 1 BGB geht mit dem Erbfall das Vermögen als Ganzes auf den Erben über. Dieses Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge gilt im Grundsatz auch im Steuerrecht (§ 45 Abs. 1 AO). Die Frage, ob ein vom Erblasser nicht aufgezehrter Verlustabzug i. S. des § 10d EStG auf seine(n) Erben übergeht, ist aber in erster Linie durch Auslegung dieser Vorschrift unter Heranziehung der das Einkommensteuerrecht beherrschenden Prinzipien zu beantworten.
Die Einkommensteuer ist eine Personensteuer, die vom Grundsatz der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit beherrscht wird. Die persönliche Steuerpflicht erstreckt sich auf die Lebenszeit einer Person und endet mit deren Tod. In diesem Fall ist die Veranlagung auf das bis zum Tod erzielte Einkommen zu beschränken. Erblasser und Erbe sind verschiedene Rechtssubjekte, die – jeder für sich – zur Einkommensteuer herangezogen werden und deren Einkünfte getrennt ermittelt und dem jeweiligen Einkommensteuerrechtssubjekt zugerechnet werden. Mit diesen Grundsätzen ist es nicht vereinbar, die beim Erblasser bis zu seinem Tod nicht verbrauchten Verlustvorträge auf den Erben zu übertragen und diesem zu gestatten, die Verluste mit eigenen positiven Einkünften zu verrechnen.
Hinweis
Der BFH ist mit dieser Entscheidung von seiner fast 46 Jahre währenden gegenteiligen Rechtsprechung abgerückt. Obwohl auch die Finanzverwaltung die bisherige Rechtsauffassung ständig in der Praxis angewendet hat, ist der BFH davon ausgegangen, dass sich zwischenzeitlich keingewohnheitsrechtlicher Rechtssatz über die Vererblichkeit des Verlustabzugs herausgebildet hatte. Allerdings hat es der BFH aus rechtsstaatlichen Gründen für geboten gehalten, eine Übergangsregelung zu treffen und die neue Rechtsprechung zur (Nicht-)Vererblichkeit des Verlustabzugs erst mit Wirkung für die Zukunft anzuwenden. Deshalb kann nun ein vom Erblasser nicht verbrauchter Verlustabzug erst in solchen Fällen nicht bei der Veranlagung des Erben berücksichtigt werden, in denen der Erbfall nach dem 12.3.2008 eingetreten ist (Tag der Veröffentlichung dieses Beschlusses).
Bei dem im Streitfall vererbten landwirtschaftlichen Betrieb, in dem die Verluste entstanden waren, hat es sich um einen Hof gehandelt, der nach der Höfeordnung vererbt worden ist. Deshalb haben der Hof als solcher und das sog. hoffreie Vermögen des Erblassers zwei Nachlassteile gebildet, die zum einen auf den Hoferben und zum anderen auf die Erbengemeinschaft übergegangen waren. Falls der Große Senat zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass der Verlustabzug vererblich ist, hätte er darum die weitere Frage beantworten müssen, die der XI. Senat in seinem Vorlagebeschluss (BFH, Urteil v. 28.7.2004, XI R 54/99, BStBl 2005 II S. 262) hilfsweise gestellt hatte: Ob der Verlustabzug in voller Höhe dem Hoferben zusteht oder ob dieser den Verlust nur anteilig abziehen kann und wie dieser Anteil ggf. zu ermitteln ist. Auf diese Frage bezieht sich der zweite Teil des Leitsatzes der Entscheidung.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss v. 17.12.2007, GrS 2/04.