Leitsatz (amtlich)
Der Tatrichter verstößt gegen § 286 Abs. 1 ZPO, wenn er den ihm unterbreiteten Sachverhalt verfahrensfehlerhaft nicht ausschöpft und die Beweise nicht umfassend würdigt.
Normenkette
ZPO § 286
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 14.10.2003) |
LG München I |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 19. Zivilsenats des OLG München v. 24.1.2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger fordert von dem Beklagten, einem Bankdirektor, Schadensersatz wegen des Vorwurfs täuschender Angaben bei der Bewilligung einer Bürgschaft und einer Grundschuld für an den Zeugen H. und dessen Ehefrau gewährte Kredite.
Die Bank des Beklagten gewährte im März 1991 dem Ehepaar H. zwei Barkredite über 100.000 DM und 40.000 DM, die bereits per 24.4.1991 mit fast 70.000 DM überzogen waren. Sie forderte die Eheleute deshalb an diesem Tag auf, die Überziehung bis spätestens 6.5.1991 zurückzuführen.
Am 15.5.1991 übernahm der Kläger für die Verbindlichkeiten eine Höchstbetragsbürgschaft über 200.000 DM und gab für eine bereits am 8.8.1990bestellte Grundschuld i. H. v. 200.000 DM an seinem Hausgrundstück die Zweckbestimmungserklärung ab, dass die Grundschuld Forderungen der Bank gegen das Ehepaar H. sichern solle. Zu diesem Zeitpunkt wies der Bankkredit einen Sollsaldo von rund 227.000 DM auf.
Am 23.5.1991 räumte die Bank dem Ehepaar H. einen Ratenkredit i. H. v. 200.000 DM ein, der teilweise zur Umschuldung des Barkredits verwandt wurde, so dass im Endergebnis die weitere Krediteinräumung 100.000 DM betrug. Da das Ehepaar die Kredite nicht bediente, wurden diese am 6.8.1992 mit einem Sollsaldo von insgesamt 433.931,88 DM gekündigt. Der Kläger wurde von der Bank aus der Bürgschaft in Anspruch genommen; sein Hausgrundstück wurde zwangsweise verwertet.
Der Kläger macht den erlittenen Schaden gegen den Beklagten geltend, weil er bei der Gewährung der Kreditsicherungen von dem Zeugen H. und dem Beklagten getäuscht worden sei. Der Beklagte habe die Rückführung des ungesicherten Kredits gefährdet gesehen. Daher habe er mit dem Zeugen H. vereinbart, im Rahmen seines neuen Kreditwunsches einen Sicherungsgeber beizubringen, dem er vorspiegeln sollte, dass es um einen Erstkredit gehe, bei dessen Absicherung es sich nur um eine Formsache handle. Dies habe der Beklagte bei der der Sicherungsstellung vorausgehenden Besprechung bestätigt.
Nachdem das LG die Klage abgewiesen hatte, hat das Berufungsgericht den Beklagten zur Zahlung von 290.506,14 DM abzgl. 10.800 DM verurteilt. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Beklagte nach § 823 Abs. 2 BGB, §§ 263, 26 StGB zum Schadensersatz verpflichtet. Es ist auf Grund der Aussage des Zeugen H. davon überzeugt, der Beklagte habe diesen wegen des überzogenen und ungesicherten Kredits angesprochen und an R. verwiesen mit dem Hinweis, dass dieser jemanden - nämlich den Kläger - kenne, der ihm früher mit einer Grundschuld ausgeholfen habe. Er habe dem H. auch gesagt, dieser dürfe dem Sicherungsgeber nicht sagen, dass es sich um einen bereits laufenden Kredit handele, der schon überzogen sei, vielmehr solle er erklären, es handle sich um einen neuen Kredit, um geschäftlich expandieren zu können. Damit habe er den Kläger durch falsche Angaben und Verschweigen des wahren Sachverhalts zur Stellung von Sicherheiten bewegt. Dies habe letztlich zum Verlust von dessen Hausgrundstück geführt.
II.
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Diese Würdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht nach § 561 ZPO a. F., § 559 ZPO gebunden ist. Revisionsrechtlich ist indessen zu überprüfen, ob der Tatrichter sich mit dem Prozess-Stoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinander gesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH, Urt. v. 1.10.1996 - VI ZR 10/96, MDR 1997, 147 = VersR 1997, 362 [364]; Urt. v. 9.7.1999 - V ZR 12/98, MDR 1999, 1253 = NJW 1999, 3481 [3482]; Urt. v. 14.1.1993 - IX ZR 238/91, MDR 1993, 1239 = NJW 1993, 935 [937]).
2. Die Revision macht mit Recht geltend, dass das Berufungsgericht unter Verstoß gegen § 286 Abs. 1 ZPO den ihm unterbreiteten Sachverhalt verfahrensfehlerhaft nicht ausgeschöpft und die Beweise nicht umfassend gewürdigt habe.
a) Eine tragende Erwägung der angegriffenen Entscheidung ist die Annahme, der Beklagte habe den Zeugen H. wegen des überzogenen und ungesicherten Kredits angesprochen und an R. verwiesen, dem der Kläger früher mit einer Grundschuld ausgeholfen hatte. Die "Beibringung" des Klägers als Sicherungsgeber für den Zeugen H. habe auf dem "Beklagtentip R." beruht. Diese Würdigung stützt das Berufungsgericht entscheidend auf die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen H. und dessen Glaubwürdigkeit.
Insoweit beanstandet die Revision zu Recht, dass sich das Berufungsgericht nicht mit dem Vorgang auseinander gesetzt hat, den der Zeuge G. bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung geschildert hat und den das Berufungsgericht lediglich im Tatbestand seines Urteils erwähnt, noch mit weiteren, sich im Zusammenhang mit dieser Aussage aus der beigezogenen Strafakte ergebenden objektiven Umständen, deren Berücksichtigung möglicherweise zu einem für den Beklagten günstigen Ergebnis geführt hätte.
Mit Recht macht die Revision geltend, dass sich hieraus Zweifel an der Darstellung des Zeugen H. und des Klägers ergeben könnten. Sie verweist darauf, dass der Kläger am 10.4.1991, also deutlich vor dem Schreiben der Bank v. 24.4.1991, durch das die Gespräche zwischen dem Beklagten und dem Zeugen H. in Gang gesetzt wurden, die Eintragung einer Grundschuld über 120.000 DM für den Zeugen G. bewilligt habe, die dann allerdings nicht zum Tragen gekommen sei. Ausweislich des Protokolls seiner erstinstanzlichen Vernehmung habe der Zeuge G. dazu ausgesagt, er habe im Zusammenhang mit einer Kreditvergabe an den Zeugen H. auf einer dinglichen Sicherheit bestanden. Dieser habe ihm dann eine nachrangige Grundschuld des Klägers gebracht. Die Sache habe sich aber dadurch erledigt, dass der Kredit nicht ausgereicht worden sei. Diese Aussage werde dadurch gestützt, dass ausweislich des vom Beklagten vorgelegten Grundbuchauszugs des AG R. tatsächlich am 10.4.1991 auf dem Grundstück des Klägers eine Grundschuld für den Zeugen G. bewilligt worden sei.
Zudem habe der Beklagte vorgetragen, der Zeuge H. habe die Rechte und Ansprüche aus einer am 10.4.1991 abgeschlossenen Lebensversicherung über 100.000 DM an den Kläger abgetreten. Die Revision weist insoweit darauf hin, dass sich aus dem amtsgerichtlichen Strafurteil gegen den Zeugen H. und aus dem in der beigezogenen Strafakte befindlichen Lebensversicherungsantrag ergebe, dass der Zeuge H. am 10.4.1991 einen solchen Lebensversicherungsvertrag beantragt habe und der Kläger im Ablebensfall als Begünstigter eingesetzt worden sei.
b) Die vorstehend erörterten Gesichtspunkte sind geeignet, die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts in Frage zu stellen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung dieses Sachvortrags die Glaubwürdigkeit des Zeugen H. und des Klägers sowie die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben für den Beklagten günstiger gewürdigt hätte. Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass sowohl der Zeuge H. als auch der Kläger schriftsätzlich und bei ihren Aussagen vor dem Berufungsgericht die Sache so dargestellt haben, dass sie sich erst nach dem Tip des Beklagten und zeitlich erst im Mai 1991 kennen gelernt hätten. Daran haben sie in Kenntnis der abweichenden Darstellung des Beklagten und auch auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht festgehalten. Ihre Behauptung wird jedoch durch die Aussage des Zeugen G. und durch die im Zusammenhang mit dem "Vorgang G." vorliegenden Unterlagen in Frage gestellt.
3. Deshalb kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Bei der neuerlichen Beweiswürdigung wird das Berufungsgericht auch die unterschiedliche Darstellung der Parteien zum Zeitpunkt der Bekanntschaft zwischen dem Kläger und dem Zeugen H. zu würdigen haben, soweit sich hieraus Schlüsse auf die Überzeugungskraft und Glaubhaftigkeit der Aussagen ergeben. Es wird auch Gelegenheit haben, das weitere Vorbringen der Revision zu berücksichtigen.
Fundstellen
Haufe-Index 1077163 |
BGHR 2004, 185 |
BauR 2004, 390 |
NJW-RR 2004, 425 |
r+s 2005, 131 |