Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme der Ernennung. Tätigkeit für das MfS. Arglist. Rechtsmissbrauch. Rücknahme der Beamtenernennung
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Rücknahme der Ernennung zum Beamten auf Probe wegen einer Tätigkeit für das MfS.
2. Die Verwaltungsgerichte haben die Rechtmäßigkeit eines Rücknahmebescheides auch dann am Maßstab des § 15 Abs. 1 Nr. 1 SächsBG zu prüfen, wenn sich die Behörde zur Begründung des Bescheides ausschließlich auf § 15 Abs. 1 Nr. 3 SächsBG i.d.F. vom 17.12.1992 (SächsGVBl. S. 615) gestützt hat.
3. Die Rücknahme der Ernennung zum Beamten auf Probe ist rechtsmissbräuchlich und deshalb rechtswidrig, wenn sich schon aus den Angaben des Bediensteten vor seiner Ernennung ein außerordentlicher Kündigungsgrund gemäß der Anlage I, Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III, Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 des Einigungsvertrages ergibt, der Dienstherr den Bediensteten dennoch zum Beamten auf Probe ernennt und die persönliche Belastung des Betroffenen durch neu bekannt gewordene Umstände nicht in einem anderen Licht erscheint.
Normenkette
SächsBG § 15 Abs. 1
Verfahrensgang
VG Chemnitz (Urteil vom 25.06.1996; Aktenzeichen 6 K 708/96) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 25. Juni 1996 – 6 K 708/96 – geändert.
Der Rücknahmebescheid des Polizeipräsidiums Chemnitz vom 23. Juni 1994 und der Widerspruchsbescheid des Polizeipräsidiums Chemnitz vom 1. Dezember 1994 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner Ernennung zum Beamten auf Probe.
Der Kläger wurde am 18.2.1949 geboren. Von 1967 bis 1970 leistete er seinen Wehrdienst im Wachregiment „Feliks Dzierzynski” ab. Nachdem er verschiedene Berufe ausgeübt hatte, war er seit 1.10.1974 Angehöriger der ehemaligen Deutschen Volkspolizei, zuletzt im Dienstgrad eines Oberleutnants der Volkspolizei.
Am 14.12.1990 beantwortete der Kläger in seinem Personalfragebogen die Frage: „Haben Sie jemals offiziell oder inoffiziell, hauptamtlich oder sonstwie für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen DDR gearbeitet?” mit „ja” unter Hinzufügung des Zusatzes „Im Rahmen dienstlicher Maßnahmen”. Auf die Frage „Wenn ja: In welcher Weise, wo und von wann bis wann? Aus welchen Gründen wurde die Tätigkeit beendet?” antwortete der Kläger „inoffiziell von 1985 bis Februar 1989, siehe beiliegende Erklärung”.
Die beiliegende Erklärung vom 12.12.1990 hat folgenden Wortlaut: „Ergänzend zu den von mir gemachten Angaben möchte ich noch zum Ausdruck bringen, dass ich die Zusammenarbeit mit dem MfS auf der Grundlage der damals herrschenden Sicherheitsdoktrin, in der die damalige VP auch eine Rolle spielte, realisiert habe. Im Laufe der Zeit wurden in mir Zweifel über die Richtigkeit dieser Doktrin wach, da die an mich gestellten Forderungen und die Entwicklung immer weniger den tatsächlichen Gegebenheiten und meinen Vorstellungen entsprach. Das habe ich auch gegenüber dem Mitarbeiter des MfS zum Ausdruck gebracht. Ich teilte weiterhin mit, dass ich an einer weiteren Zusammenarbeit, über den dienstlichen Rahmen hinaus, nicht mehr interessiert sei. Ich habe deshalb seit Februar 1989 keine weiteren Treffs mehr wahrgenommen. Daraufhin wurde ich mehrfach in der Dienststelle und in der Wohnung aufgesucht, um weitere Treffs zu vereinbaren. Ich habe das wie bereits erwähnt nicht mehr realisiert.”
Am 12.2.1991 wurde der Kläger von der sogenannten Ein-Mann-Kommission des Sächsischen Staatsministeriums des Innern (Polizeidirektor …) angehört. Er gab dabei an, dass er 1985 freiwillig Mitarbeiter des MfS geworden sei und den Decknamen … geführt habe. Er habe eine schriftliche Verpflichtungserklärung abgegeben. Er habe schriftliche und mündliche Berichte erstellt. Die im Formular vorgesehene Frage nach der Anzahl der Berichte blieb unbeantwortet. Als Abschnittsbevollmächtigter der Polizei habe eine Dienstpflicht zur Information bestanden (DV 11-80 MdI). Er habe die Überwachung eines Bürgers im Wohngebiet durchgeführt, über die Stimmungen in der Bevölkerung und in Kollektiven berichtet sowie anfangs in drei bis vier Fällen Charakterisierungen von Polizisten vorgenommen, was er später abgelehnt habe. Dabei sei die Berichterstattung über den unmittelbaren Aufgabenbereich hinausgegangen. Es sei zu ein bis zwei Treffen im Monat in einer konspirativen Wohnung oder im Dienstzimmer gekommen. Im Februar 1989 sei der letzte Treff gewesen, 1988 die letzten Treffs in der konspirativen Wohnung. Nach seiner Meinung seien aufgrund seiner Berichtstätigkeit keine Nachteile für Personen entstanden. Er habe für seine Tätigkeit etwa fünfmal jährlich 50,– Mark als Entschädigung für Auslagen erhalten. Das Gesprächsprotokoll endet mit der Einschätzung der Ein-Mann-Kommission, dass die Intensität der Mitarbeit inoffizieller Art für das MfS den Fall nicht schwerwiegend erscheinen lasse. Es seien allenfalls Bericht...