Leitsatz (amtlich)

a) Die in § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 HGB geregelten, wahlweise gegebenen Ansprüche stellen bloße Modifikationen des Entschädigungsanspruchs dar, der dem Frachtführer gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 HGB zusteht, wenn der Absender den Frachtvertrag aus Gründen kündigt, die nicht dem Risikobereich des Frachtführers zuzurechnen sind.

b) Ein Frachtführer, der nach der Kündigung des Frachtvertrags durch den Absender zunächst den Anspruch auf die vereinbarte Fracht abzgl. seiner ersparten Aufwendungen gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB geltend gemacht hat, kann nachfolgend stattdessen noch die Fautfracht gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB beanspruchen.

 

Normenkette

HGB § 415 Abs. 2 S. 1 Nrn. 1-2

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 27.10.2015; Aktenzeichen 13 S 3147/15)

AG München (Urteil vom 05.02.2015; Aktenzeichen 275 C 21185/14)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des LG München I - 13. Zivilkammer - vom 27.10.2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als dort in Höhe eines Betrags von 924 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.7.2015 zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des AG München vom 5.2.2015 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung der Klägerin verurteilt, an sie 924 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.7.2015 zu zahlen.

Die Klägerin hat die Kosten der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme zu tragen. Von den übrigen Kosten der ersten Instanz tragen die Klägerin 11/20 und der Beklagte 9/20. Die Kosten der Berufung hat die Klägerin zu tragen; die Kosten der Revision fallen dem Beklagten zur Last.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Parteien schlossen am 2.6.2014 einen Vertrag über die Beförderung von Umzugsgut des Beklagten von M. in die Schweiz zum Preis von 2.772 EUR zzgl. Nebenkosten und Umsatzsteuer. Mit Schreiben vom 23.6.2014 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass der Umzug nicht stattfinden könne, weil sein Vater zwischenzeitlich schwer erkrankt sei.

Rz. 2

Im vorliegenden Rechtsstreit hat die Klägerin den Beklagten auf Zahlung der vereinbarten Fracht abzgl. ihrer ersparten Aufwendungen in Anspruch genommen. Das AG hat die auf Zahlung von 2.000,30 EUR Fracht, 281,30 EUR vorgerichtliche Anwaltskosten und Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben.

Rz. 3

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihren in zweiter Instanz hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf ein Drittel der vereinbarten Fracht (Fautfracht) weiter.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 4

I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nach den zutreffenden Feststellungen des AG die Vereinbarung eines Umzugs auf den 9.7.2014 nicht beweisen können und zu ihren auf den geltend gemachten Frachtanspruch anzurechnenden Ersparnissen, für die sie die Darlegungs- und Beweislast trage, keinen spezifizierten Vortrag gehalten. Der von der Klägerin im Berufungsverfahren geltend gemachte Anspruch auf Fautfracht i.H.v. 924 EUR sei nicht begründet, weil die Klägerin sich zuvor für die Geltendmachung ihres Anspruchs auf die vereinbarte Fracht entschieden habe. Das Gesetz wolle dadurch, dass es dem Frachtführer den Anspruch auf die pauschale Fautfracht gebe, nicht nur die Planungs-, Kalkulations- und Rechtssicherheit zwischen den Parteien, sondern auch eine prozessökonomische Streitbeilegung fördern. Dieser Zweck würde unterlaufen, wenn der Frachtführer von der Einzelabrechnung zur Fautfracht wechseln könnte, falls diese ihm auf einmal günstiger erschiene.

Rz. 5

II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Klägerin ist zulässig (dazu unter II 1) und begründet (dazu unter II 2).

Rz. 6

1. Die Revision der Klägerin ist aufgrund ihrer Zulassung durch das Berufungsgericht gem. § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Unerheblich ist dabei, ob das Berufungsgericht das Rechtsmittel - worauf die Formulierung im Tenor des Berufungsurteils unter 4 "Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen." hinweist - im vollen Umfang oder aber - wie die Formulierung unter III 3 der Entscheidungsgründe des Berufungsurteils "Zur Fortbildung des Rechts (Wahlrecht bei § 415 Abs. 2 Satz 1 HGB) war die Revision zuzulassen." nahelegt - lediglich im Blick auf den von der Klägerin erstmals mit Schriftsatz vom 26.6.2015 geltend gemachten Anspruch auf Fautfracht i.H.v. 924 EUR zugelassen hat. Die Klägerin hat mit ihrer Revision allein den von ihr im Berufungsverfahren hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Fautfracht weiterverfolgt.

Rz. 7

2. Die Revision ist begründet und führt i.H.v. einem Drittel der vereinbarten Fracht, in der die Klägerin ihren Klageanspruch im Revisionsverfahren weiterverfolgt hat, zur Stattgabe der Klage.

Rz. 8

a) Die Revision ist nicht deshalb unbegründet, weil die Klägerin - wie die Revisionserwiderung in der mündlichen Revisionsverhandlung geltend gemacht hat - ihr auf § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB gestütztes Zahlungsbegehren nicht wirksam in den Rechtsstreit eingeführt hat, da sie ihren Zahlungsanspruch in erster Instanz allein auf § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB gestützt, den von ihr aus § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB hergeleiteten Zahlungsanspruch im Berufungsverfahren nur hilfsweise und erst in dritter Instanz allein geltend gemacht und ihr im Rahmen des § 415 Abs. 2 Satz 1 HGB zustehendes Wahlrecht damit nicht rechtzeitig ausgeübt hat.

Rz. 9

aa) Eine Klageänderung ist allerdings nach §§ 263, 267 ZPO schon in erster Instanz nur unter den dort genannten Voraussetzungen und im Berufungsverfahren weitergehend nur unter den in § 533 ZPO genannten Voraussetzungen zulässig und damit wirksam. In der Revisionsinstanz, in der nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO neuer Tatsachenvortrag nicht zulässig ist, ist eine Klageänderung sogar regelmäßig ausgeschlossen. Sie ist jedoch nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässig, wenn sie nur eine Beschränkung oder Modifikation eines bereits zuvor gestellten Antrags darstellt und sich auf einen Sachverhalt stützt, den der Tatrichter bereits gewürdigt hat (st.Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 30.10.2013 - XII ZR 113/12, BGHZ 198, 337 Rz. 33; Urt. v. 14.3.2014 - V ZR 115/13, NJW 2014, 2199 Rz. 14; Urt. v. 19.11.2014 - VIII ZR 191/13, BGHZ 203, 256 Rz. 23; Urt. v. 20.8.2015 - III ZR 57/14, NJW-RR 2016, 115 Rz. 31, jeweils m.w.N.).

Rz. 10

bb) In dem zuletzt dargestellten Sinn verhält es sich im Streitfall.

Rz. 11

(1) Die in § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 HGB geregelten, wahlweise gegebenen Ansprüche stellen bloße Modifikationen des Entschädigungsanspruchs dar, der dem Frachtführer gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 HGB zusteht, wenn der Absender den Frachtvertrag aus Gründen kündigt, die nicht dem Risikobereich des Frachtführers zuzurechnen sind (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs des Transportrechtsreformgesetzes, BR-Drucks. 368/97, 44 re. Sp.: "Das in [§ 415] Abs. 2 [HGB] vorgeschlagene Rechtsfolgenmodell kombiniert die bisher im geltenden Recht dem Unternehmer für den Fall der Vertragsbeendigung eingeräumten Rechte."). Damit stellte der - zunächst hilfsweise und in der Revisionsinstanz endgültig erklärte - Wechsel der Klägerin von dem Anspruch gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB zum Anspruch gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB ebenso wenig eine Klageänderung dar wie etwa der Übergang des Klägers in einem Schadensersatzprozess vom "kleinen" zum "großen" Schadensersatz (vgl. dazu BGH, Urt. v. 23.6.2015 - XI ZR 536/14, NJW 2015, 3160 Rz. 33; Urt. v. 4.12.2015 - V ZR 142/14, VersR 2016, 597 Rz. 35, jeweils m.w.N.).

Rz. 12

(2) Das Berufungsgericht ist - von der Revisionserwiderung unangegriffen - vom Vorliegen der Voraussetzungen ausgegangen, von denen der Anspruch gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB ebenso abhängt wie der Anspruch gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB. Es hat die die Klage abweisende Entscheidung des AG allein deshalb bestätigt, weil es den der Klägerin bei dem Anspruch gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB obliegenden Beweis, dass sie über die von ihr angegebenen Aufwendungen hinaus nichts erspart hat, als nicht geführt und das Wahlrecht, auf den Anspruch gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB überzugehen, als bereits verbraucht angesehen hat.

Rz. 13

b) Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass die Klägerin nicht berechtigt war, statt des zunächst geltend gemachten Anspruchs gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB später den Anspruch gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB geltend zu machen. Die in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und im Schrifttum umstrittene und vom BGH (vgl. Urt. v. 15.10.2001 - II ZR 22/01, TranspR 2002, 36, 37) bislang offen gelassene Frage, ob ein Frachtführer, der nach der Kündigung des Frachtvertrags durch den Absender zunächst den Anspruch auf die vereinbarte Fracht abzgl. seiner ersparten Aufwendungen gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB geltend gemacht hat, nachfolgend stattdessen noch die Fautfracht gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB beanspruchen kann, ist zu bejahen.

Rz. 14

aa) Kein Streit besteht in diesem Zusammenhang darüber, dass es sich bei dem in § 415 Abs. 2 Satz 1 HGB geregelten Wahlrecht nicht um einen Fall der Wahlschuld i.S.d. §§ 262 bis 265 BGB, sondern um einen Fall der gesetzlich nicht geregelten, aber in Rechtsprechung und Lehre anerkannten sog. elektiven Konkurrenz handelt, bei der einem Gläubiger mehrere Ansprüche zustehen, die sich gegenseitig ausschließen, zwischen denen der Gläubiger aber wählen kann (vgl. Staub/Schmidt, HGB, 5. Aufl., § 415 Rz. 25; Koller, Transportrecht, 8. Aufl., § 415 HGB Rz. 15, jeweils m.w.N.; allgemein zur elektiven Konkurrenz Staudinger/Bittner, BGB [März 2014], § 262 Rz. 7 bis 10). Damit sind die §§ 262 bis 265 BGB und insb. § 263 BGB, wonach die vom Wahlberechtigten durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil gewählte Leistung als die von Anfang an allein geschuldete gilt, auf das Wahlrecht des Frachtführers gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 HGB weder unmittelbar noch analog anwendbar. Dementsprechend ist die Frage, ob eine vom Frachtführer in dieser Hinsicht vorgenommene Wahl bindend ist oder noch geändert werden kann, im Wege der Auslegung dieser Bestimmung zu beantworten (Staub/Schmidt, a.a.O., § 415 Rz. 25).

Rz. 15

bb) Nach der einen Ansicht, der das Berufungsgericht gefolgt ist, soll die erstmalige Ausübung des dem Frachtführer in § 415 Abs. 2 Satz 1 HGB eingeräumten Wahlrechts bindende Wirkung entfalten (vgl. Staub/Schmidt, a.a.O., § 415 Rz. 26; Koller, Transportrecht, 7. Aufl. [2010], § 415 HGB Rz. 15; ders. weiterhin in Koller/Kindler/Roth/Morck, HGB, 8. Aufl. [2015], § 415 Rz. 1; MünchKomm/HGB/Thume, 3. Aufl., § 415 Rz. 10; Heymann/Schlüter, HGB, 2. Aufl., § 415 Rz. 8; Oetker/Paschke, HGB, 4. Aufl., § 415 Rz. 4; Baumbach/Hopt/Merkt, HGB, 36. Aufl., § 415 Rz. 2; Ensthaler/Bracke/Janßen, GK-HGB, 8. Aufl., § 415 Rz. 2; Andresen/Valder, Speditions-, Fracht- und Lagerrecht, Lief. 1/05, § 415 Rz. 19a; BeckOK HGB/G. Kirchhof, Stand: 1.5.2016, § 415 Rz. 2; Holland in v. Waldstein/Holland, Binnenschifffahrtsrecht, 5. Aufl., § 415 HGB Rz. 6). Neben der vom Berufungsgericht herangezogenen Argumentation (vgl. oben unter I sowie Staub/Schmidt, a.a.O., § 415 Rz. 26) wird für diese Ansicht auch darauf verwiesen, dass die Pauschalierung gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB Prozesse und Streitigkeiten über die Berechnung des Anspruchs gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB soll vermeiden helfen. Es dürfe dem Frachtführer nicht erlaubt sein, von der Einzelabrechnung zur Fautfracht zu wechseln, da dieser sonst einen Anreiz hätte, zunächst immer die streitträchtigen Ansprüche gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB zu verfolgen (Koller, Transportrecht, 7. Aufl., § 415 HGB Rz. 15). Dass die dahinter stehenden prozessökonomischen Erwägungen maßgebliche Berücksichtigung verdienten, werde daran deutlich, dass das Gesetz lediglich eine einzige Methode der Anspruchsberechnung hätte vorsehen können. Im Verhältnis dazu stelle die nach dem geltenden Recht bestehende Wahlmöglichkeit den Frachtführer trotz seiner Bindung an die von ihm einmal getroffene Wahl immer noch besser (Staub/Schmidt, a.a.O., § 415 Rz. 26 a.E.).

Rz. 16

cc) Vorzugswürdig ist die Gegenansicht, nach der das Wahlrecht für den Frachtführer gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 HGB so lange besteht, bis der geltend gemachte Anspruch erfüllt ist (vgl. OLG Hamm, TranspR 2015, 382, 384; Koller, Transportrecht, 8. Aufl. [2013], § 415 HGB Rz. 15; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl., § 415 Rz. 6; Ruß in HK-HGB, 7. Aufl., § 415 Rz. 3; Pöttinger in Lammich/Pöttinger, Gütertransportrecht, 46. Lief., § 415 HGB Rz. 5; Bodis, jurisPR-TranspR 3/2015 Anm. 1 unter C).

Rz. 17

(1) Für die Ansicht, dass die vom Frachtführer einmal getroffene Wahl bindend ist, gibt es schon keinen Anhaltspunkt im Gesetz. Dieses geht im Gegenteil von der Parallelität der Anspruchsgrundlagen aus, da es bei einem aus der Risikosphäre des Frachtführers kommenden Kündigungsgrund gem. § 415 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 HGB nicht nur den geltend gemachten Anspruch, sondern beide Ansprüche entfallen lässt (vgl. Bodis, jurisPR-TranspR 3/2015 Anm. 1 unter C).

Rz. 18

(2) Es wäre zudem unbillig, dem bereits hinsichtlich des Umfangs seiner Ersparnis beweisbelasteten Frachtführer weitergehend auch nicht zu erlauben, bei Beweisschwierigkeiten, die sich häufig erst im Prozess herausstellen, von der Einzelabrechnung zur Fautfracht zu wechseln (vgl. Koller, Transportrecht, 8. Aufl., § 415 HGB Rz. 15; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, a.a.O., § 415 Rz. 6; Bodis, jurisPR-TranspR 3/2015 Anm. 1 unter C).

Rz. 19

(3) Die Vorschrift des § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB kann den mit ihr verfolgten Zweck einer prozessökonomischen Streitbeilegung unter bestimmten Umständen nur erfüllen, wenn die erstmalige Ausübung des dem Frachtführer in § 415 Abs. 2 Satz 1 HGB eingeräumten Wahlrechts keine bindende Wirkung entfaltet. Das fortbestehende Wahlrecht ermöglicht es dem Frachtführer, eine von ihm mit dem Absender auf der Grundlage des § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB begonnene Auseinandersetzung zu einem späteren Zeitpunkt, zu dem er absehen kann, dass der erfolgreiche Abschluss dieser Auseinandersetzung noch eine zeit- und kostenintensive Beweiserhebung erforderte, auf der Grundlage des § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB zu einem für ihn immerhin annehmbaren Abschluss zu bringen.

Rz. 20

(4) Die Annahme eines nicht schon mit seiner erstmaligen Ausübung erlöschenden Wahlrechts begründet für den Frachtführer auch keinen dem Zweck der gesetzlichen Regelung des § 415 Abs. 2 Satz 1 HGB widersprechenden Anreiz, zunächst immer Ansprüche aus § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB zu wählen. Ein Frachtführer, der sich vor die Frage gestellt sieht, ob er nach der vom Absender erklärten Kündigung des Frachtvertrags den - ggf. zu einer höheren Zahlung führenden, aber möglicherweise schwer zu beweisenden - Anspruch gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB oder den - ggf. zu einer geringeren Zahlung führenden, aber nicht mit entsprechenden Beweisrisiken behafteten - Anspruch gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB geltend machen soll, wird zu bedenken haben, dass er Gefahr läuft, bei einem Misserfolg der auf § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB gestützten Klage jedenfalls einen Teil der Prozesskosten tragen zu müssen. Er wird weiterhin zu berücksichtigen haben, dass er die Kosten einer wegen der bei § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB bestehenden Beweiserfordernisse durchgeführten Beweisaufnahme unter Umständen allein wird tragen müssen. Danach kann nicht davon ausgegangen werden, dass dem Frachtführer im Fall des § 415 Abs. 2 Satz 1 HGB mit der Gewährung eines Wahlrechts, das nicht schon mit seiner erstmaligen Ausübung erlischt, ein dem Zweck der gesetzlichen Regelung widersprechendes wirtschaftliches oder rechtliches Übergewicht gegenüber seinem Vertragspartner eingeräumt wird.

Rz. 21

c) Danach hat das Urteil des Berufungsgerichts im von der Klägerin mit der Revision angegriffenen Umfang weder mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung noch aus anderen Gründen Bestand. Es spricht nichts dafür, dass der Anspruch der Klägerin auf Fautfracht nach § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB gem. § 415 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 HGB deshalb nicht besteht, weil die Kündigung auf Gründen beruht, die dem Risikobereich der Klägerin zuzurechnen sind. Da der Rechtsstreit auch im Übrigen zur Endentscheidung reif ist, ist das Berufungsurteil teilweise aufzuheben und der Klage unter teilweiser Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils in dem Umfang stattzugeben, in dem der Klägerin ein - der Höhe nach unstreitiger - Anspruch auf Fautfracht zusteht (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Rz. 22

Die Entscheidung hinsichtlich der Zinsen beruht auf § 288 Abs. 1 und 2 BGB. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Anspruch auf Fautfracht erstmals im Schriftsatz vom 26.6.2015 hilfsweise geltend gemacht hat und dieser Schriftsatz der Beklagtenvertreterin am 16.7.2015 zugestellt worden ist.

Rz. 23

III. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens vor dem AG beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO und - soweit wegen des von der Klägerin dort allein auf § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB gestützten Klageanspruchs Beweis erhoben worden ist und dadurch Kosten entstanden sind - auf § 96 ZPO.

Rz. 24

Die hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens getroffene Entscheidung folgt, soweit die Klage endgültig ohne Erfolg geblieben ist, aus § 97 Abs. 1 ZPO und im Übrigen aus § 97 Abs. 2 ZPO. Die Klägerin hat den Anspruch gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB, mit dem ihre Klage letztlich teilweise Erfolg hatte, erstmals im Berufungsverfahren geltend gemacht.

Rz. 25

Die Entscheidung über die Kosten der Revision beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

DB 2016, 3041

DB 2016, 7

NJW 2016, 8

NJW-RR 2017, 416

NZM 2017, 741

JZ 2017, 111

MDR 2017, 40

VersR 2017, 380

RdTW 2017, 15

TranspR 2017, 22

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