Leitsatz (amtlich)
Zum Vorsatz des Geschäftsführers einer Optionsgeschäfte ohne ausreichende Risikoaufklärung vermittelnden GmbH, Kapitalanleger in sittenwidriger Weise zu schädigen.
Normenkette
BGB § 826
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 07.05.2003; Aktenzeichen 25 U 105/00) |
LG Hagen |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 25. Zivilsenats des OLG Hamm v. 7.5.2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 31. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den Beklagten im Urkundenprozess auf Schadensersatz für Verluste aus Terminoptionsgeschäften an US-amerikanischen Börsen in Anspruch.
Der Beklagte ist Mitgeschäftsführer einer GmbH, die gewerbsmäßig Optionsgeschäfte vermittelt. Die Klägerin, eine Zahntechnikerin, schloss mit der GmbH am 31.3.1994 einen Optionsvermittlungs- und Betreuungsvertrag. Dieser enthielt eine Risikoaufklärung, die die Klägerin gesondert unterschrieb. Ferner erhielt sie die Broschüre "Grundlagen des Terminhandels". Bis zum 23.6.1994 zahlte die Klägerin der GmbH 90.000 DM, die an einen US-amerikanischen Broker weitergeleitet und für Optionsgeschäfte verwandt werden sollten. Hierbei hatte die Klägerin außer der Optionsprämie Gebühren der GmbH von bis zu 37,5 % der Prämie und Kommissionen des Brokers i.H.v. 90 US-Dollar je Geschäft zu entrichten. Die Optionsgeschäfte endeten insgesamt verlustreich.
Die Klägerin macht geltend, der Beklagte habe sie nicht ausreichend über die Risiken der Geschäfte aufgeklärt und durch den Abschluss einer Vielzahl von Geschäften Gebühren geschunden ("churning"). Der Beklagte behauptet, der Broker habe der Klägerin per Scheck 4.044,58 US-Dollar zurückgezahlt, und erhebt die Einrede der Verjährung.
Die Klage auf Zahlung von 90.000 DM nebst Zinsen ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Nachdem der erk. Senat das Berufungsurteil aufgehoben hat (BGH v. 28.5.2002 - XI ZR 150/01, BGHReport 2002, 731 = MDR 2002, 1262 = WM 2002, 1445 ff.), hat das Berufungsgericht die Berufung erneut zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Ein vorsätzliches Handeln des Beklagten i.S.d. § 826 BGB sei nicht feststellbar. Auf Grund der Entscheidung, mit der der Senat das erste Berufungsurteil aufgehoben hat, sei zwar davon auszugehen, dass die Klägerin nicht ausreichend aufgeklärt worden sei, weil in dem schriftlichen Aufklärungsmaterial der Hinweis fehle, dass der Aufschlag auf die Optionsprämie vor allem Anleger, die - wie die Klägerin - mehrere verschiedene Optionen erwerben, aller Wahrscheinlichkeit nach im Ergebnis praktisch chancenlos mache. Dieser Hinweis sei jedoch erstmals im Urteil des Senats v. 16.11.1993 (BGH v. 16.11.1993 - XI ZR 214/92, MDR 1994, 367 = WM 1994, 149 ff.) gefordert worden, das unmittelbar vor Abschluss des Vertrages mit der Klägerin veröffentlicht worden sei. Der Beklagte habe hierzu unwidersprochen vorgetragen, die GmbH habe einen Rechtsanwalt beauftragt, die Aufklärungsbroschüre jeweils auf den neuesten Stand der Rechtsprechung zu bringen. Man könne darüber streiten, ob die seit Juli 1994 verwendete Neufassung der Broschüre den Anforderungen des Urteils des Senats v. 16.11.1993 genüge. Jedenfalls könne dem Geschäftsführer einer Options-Vermittlungs-GmbH nicht der Vorwurf einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemacht werden, wenn er einen Rechtsanwalt beauftragt habe, die Aufklärung den Anforderungen der Rechtsprechung anzupassen.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, ein vorsätzliches Handeln des Beklagten sei nicht feststellbar, unterliegt als Ergebnis tatrichterlicher Würdigung i.S.d. § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Dieses kann lediglich prüfen, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denk- oder Erfahrungssätze gewürdigt worden ist (BGH, Urt. v. 9.7.1999 - V ZR 12/98, MDR 1999, 1253 = WM 1999, 1889 [1890]; v. 13.7.2004 - VI ZR 136/03, BGHReport 2004, 1561 = AG 2004, 552 = WM 2004, 1768 [1770]; jeweils m.w.N.). Solche Rechtsfehler liegen hier, wie die Revision zu Recht rügt, vor.
1. Bereits der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts ist fehlerhaft. Dieses ist zu Unrecht davon ausgegangen, der Hinweis, dass Erwerber mehrerer verschiedener Optionen aller Wahrscheinlichkeit nach im Ergebnis praktisch chancenlos seien, sei erstmals in dem Urteil des Senats v. 16.11.1993 (BGH v. 16.11.1993 - XI ZR 214/92, BGHZ 124, 151 [155 f.] = MDR 1994, 367 = WM 1994, 149 [150]) gefordert worden. Der II. Zivilsenat des BGH hat, vom Berufungsgericht übersehen, schon in einem Urt. v. 11.1.1988 (BGH v. 11.1.1988 - II ZR 134/87, MDR 1988, 560 = WM 1988, 291 [293]) entschieden, dass Anleger darüber aufzuklären sind, dass der Gebührenaufschlag auf die Optionsprämie eine Gewinnerwartung praktisch ausgrenzt. Diese Aufklärung, die mit dem vom Senat geforderten Hinweis auf die praktische Chancenlosigkeit des Anlegers inhaltlich gleich bedeutend ist, fehlt in dem der Klägerin ausgehändigten Informationsmaterial. Dieses erweckt vielmehr, wie der Senat in seinem ersten Revisionsurteil im Einzelnen ausgeführt hat, durch zahlreiche Formulierungen den falschen Eindruck realistischer Gewinnchancen. Auch angesichts dieser irreführenden Darstellung kann der Vorsatz des Beklagten nicht mit der Begründung verneint werden, er habe die Erforderlichkeit des Hinweises auf die praktische Chancenlosigkeit bei Abschluss des Vertrages mit der Klägerin noch nicht kennen können.
2. Auch die Würdigung der Bemühung des Beklagten, das Informationsmaterial mit Hilfe eines Rechtsanwalts den Anforderungen der Rechtsprechung anzupassen, ist rechtsfehlerhaft. Das Berufungsgericht hat die Ambivalenz dieses Verhaltens verkannt (vgl. hierzu: BGH, Urt. v. 22.1.1991 - VI ZR 97/90, MDR 1991, 993 = NJW 1991, 1894 [1895 f.]). Der Beklagte muss bei seiner Bemühung nicht das Ziel verfolgt haben, die Anleger sachgerecht aufzuklären. Er könnte ebenso gut die Absicht gehabt haben, durch die - unvollständige - Zitierung einschlägiger Gerichtsentscheidungen, so etwa auf S. 7 der seit Juli 1994 verwendeten Neufassung der Informationsbroschüre "Kurz gefasste Einführung in die Grundsätze des Termingeschäfts", Haftungsrisiken zu verringern, ohne die Anleger sachgerecht aufzuklären. Dafür spricht, dass auch diese Neufassung, wie der Senat in seinem in anderer Sache gegen den Beklagten ergangenen Urt. v. 21.10.2003 (BGH v. 21.10.2003 - XI ZR 453/02, BGHReport 2004, 308 = ZIP 2003, 2242 [2245 f.]) näher ausgeführt hat, nicht klar genug zum Ausdruck bringt, dass der Gebührenaufschlag Erwerber mehrerer verschiedener Optionen aller Wahrscheinlichkeit nach praktisch chancenlos macht.
Hinzu kommt, dass Formulierungen in Entscheidungen des Senats ohnehin nicht dazu dienen, den Text festzulegen, mit dem unerfahrene Optionsinteressenten ausreichend aufgeklärt werden könnten (BGH v. 16.11.1993 - XI ZR 214/92, BGHZ 124, 151 [155] = MDR 1994, 367), und dass auch ein nach anwaltlicher Beratung fortbestehender Irrtum über die Reichweite der Aufklärungspflicht vorsätzliches Handeln nicht ausschließt (BGH v. 16.11.1993 - XI ZR 214/92, BGHZ 124, 151 [163] = MDR 1994, 367; Urt. v. 17.5.1994 - XI ZR 144/93, WM 1994, 1746 [1747]; v. 16.10.2001 - XI ZR 25/01, WM 2001, 2313 [2315]).
III.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, war sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 S. 1 ZPO). Dabei hat der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 S. 2 ZPO Gebrauch gemacht.
Fundstellen
Haufe-Index 1283916 |
BB 2005, 128 |
DB 2005, 47 |
DStZ 2005, 91 |
BGHR 2005, 381 |
NJW-RR 2005, 558 |
EWiR 2005, 595 |
WM 2005, 27 |
WuB 2005, 273 |
MDR 2005, 224 |
VersR 2005, 1301 |
ZBB 2005, 54 |