Leitsatz (amtlich)
Zur Überspannung der Substantiierungsanforderungen an die Darlegung von Folgeschäden, die durch ein Software-Update zur Beseitigung einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei Dieselfahrzeugen hervorgerufen werden.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; BGB § 440 S. 1 Alt. 1, § 326 Abs. 5
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 15. Januar 2020 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens wird auf bis zu 22.000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Der Kläger erwarb im Jahr 2012 von der beklagten Fahrzeughändlerin ein Gebrauchtfahrzeug Audi A 4 Avant 2.0 TDI zum Preis von 26.400 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Volkswagen AG (im Folgenden: Hersteller) hergestellten Dieselmotor des Typs EA 189 (Abgasnorm Euro 5) ausgestattet. Dieser verfügt über eine Software mit zwei unterschiedlichen Betriebsmodi. Auf dem Prüfstand (Modus 1) wird der Stickoxidausstoß infolge einer höheren Abgasrückführungsrate gegenüber dem normalen Fahrbetrieb (Modus 0) reduziert. Im Herbst 2015 wurde die Verwendung dieser Software zur Motorsteuerung öffentlich bekannt gemacht.
Rz. 2
Nachdem das Kraftfahrtbundesamt die Software als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet hatte, entwickelte der Hersteller für mit dem EA 189-Motor und einem Hubraum von 1,2 beziehungsweise 2,0 Liter ausgestattete Fahrzeuge ein Software-Update, das hinsichtlich des Stickoxidausstoßes einen vorschriftsgemäßen Zustand herstellen sollte. Die Audi AG bot nach Freigabe des Updates für Fahrzeuge des vorliegenden Fahrzeugtyps durch das Kraftfahrtbundesamt am 5. September 2016 unter anderem dem Kläger an, das Update kostenfrei aufzuspielen. Hiervon machte der Kläger keinen Gebrauch.
Rz. 3
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 16. Mai 2017 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangte dessen Rückabwicklung. Dem kam die Beklagte nicht nach, sondern verwies den Kläger mit Schreiben vom 29. Mai 2017 auf das Software-Update und erklärte, bis zum 31. Dezember 2017 auf die Erhebung der Verjährungseinrede im Hinblick auf etwaige - auch verjährte - Ansprüche im Zusammenhang mit der in Fahrzeugen mit dem Motortyp EA 189 eingebauten Software zu verzichten. Das Software-Update ließ der Kläger nach wie vor nicht durchführen.
Rz. 4
Die auf Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 4.952,19 €, auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen gerichtete Klage hat vor dem Landgericht überwiegend Erfolg gehabt. Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 20.341,91 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, verurteilt und festgestellt, dass sich der Rechtsstreit in Höhe von 4.952,19 € erledigt habe und sich die Beklagte im Annahmeverzug mit der Rücknahme des Fahrzeugs befinde.
Rz. 5
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Mit der hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
II.
Rz. 6
Das Berufungsgericht (OLG Saarbrücken, Urteil vom 15. Januar 2020 - 2 U 7/19, juris) hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde von Interesse - im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 7
Trotz des Vorliegens eines Sachmangels aufgrund der in dem Fahrzeug eingebauten Software scheide ein Rücktritt nach § 323 Abs. 1 BGB aus, weil der Kläger der Beklagten keine Gelegenheit zur Nacherfüllung gegeben habe. Eine Fristsetzung zur Nacherfüllung sei entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht entbehrlich gewesen. Zwar scheide eine Nacherfüllung in Form der Nachlieferung aus, weil es sich um den Kauf eines Gebrauchtwagens gehandelt habe, bei dem die Nachlieferung regelmäßig unmöglich sei. Eine Nacherfüllung sei allerdings zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung durch Nachbesserung in Form der Durchführung eines durch das Kraftfahrtbundesamt gebilligten Software-Updates möglich gewesen, so dass eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung nach § 326 Abs. 5 BGB ausscheide.
Rz. 8
Es unterliege - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers - keinem Zweifel, dass das durch den Hersteller zur Verfügung gestellte Software-Update zur Beseitigung des Sachmangels geeignet sei. Wie sich aus dem durch die Beklagte vorgelegten Bescheid des Kraftfahrtbundesamts vom 5. September 2016 ergebe, sei nach dem Aufspielen des Software-Updates die den Sachmangel begründende Gefahr einer Betriebsuntersagung nicht mehr gegeben. Im Fall der Nachrüstung des Fahrzeugs mittels des Software-Updates sei - ungeachtet der Bindungswirkung dieses Bescheids und seiner inhaltlichen Richtigkeit - ein Widerruf der EG-Typgenehmigung durch das Kraftfahrtbundesamt und eine daran anschließende Betriebsuntersagung in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug objektiv nicht mehr zu befürchten.
Rz. 9
Die vom Kläger geäußerte Befürchtung, das Software-Update werde mit ungünstigen Folgen für Motorleistung, Kraftstoffverbrauch, Emissionsverhalten (Erhöhung der Emissionswerte) und Lebensdauer (Verschleißerscheinungen) verbunden sein, reiche als bloße Vermutung, der eine objektivierbare Grundlage fehle, zur Begründung eines konkreten Mangels in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug nicht aus.
Rz. 10
Eine Fristsetzung zur Nacherfüllung sei vorliegend auch nicht nach § 440 Satz 1 Alt. 3 BGB entbehrlich gewesen. Die Unzumutbarkeit der Nacherfüllung könne sich zwar grundsätzlich auch aus der begründeten Befürchtung ergeben, die Sache werde trotz Nacherfüllung nicht mangelfrei sein. In diesem Zusammenhang reiche jedoch der lediglich subjektive Verdacht eines trotz Nachbesserung verbleibenden Nachteils nicht aus. Es bedürfe vielmehr im Zeitpunkt des Rücktritts konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die Nachbesserung zu neuen Sachmängeln führen werde, wobei pauschale Behauptungen ebenso wenig ausreichten wie der Hinweis auf Unwägbarkeiten oder nicht geklärte Langzeitfolgen. Den Anforderungen an die sich hieraus ergebende Darlegungslast sei der Kläger nicht hinreichend nachgekommen.
Rz. 11
Soweit er behauptet habe, das Software-Update habe nachteilige Auswirkungen auf das Fahrzeug und es bestehe die Befürchtung von Folgeschäden, insbesondere am Motor, seien Anhaltspunkte dafür, dass sich diese Befürchtung auf eine konkrete und plausible Tatsachengrundlage stütze, nicht ersichtlich. Vielmehr handele es sich bei dem Vortrag des Klägers offenbar lediglich um Vermutungen und letztlich "ins Blaue hinein" aufgestellte Behauptungen, hinsichtlich derer eine Beweiserhebung auf eine prozessual unzulässige Ausforschung des Sachverhalts hinausliefe.
III.
Rz. 12
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, insbesondere übersteigt der Wert der Beschwer die Wertgrenze des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Denn das Berufungsgericht hat gehörswidrig das hinreichend substantiierte Vorbringen des Klägers zu durch das Software-Update hervorgerufenen Folgeschäden übergangen und in der Folge versäumt, den hierfür von dem Kläger angebotenen Sachverständigenbeweis zu erheben.
Rz. 13
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfGE 86, 133, 145; 96, 205, 216; BVerfG, NVwZ 2016, 1475 Rn. 14; NVwZ-RR 2021, 131 Rn. 26; Senatsbeschlüsse vom 26. Mai 2020 - VIII ZR 64/19; NJW-RR 2020, 1019 Rn. 13; vom 10. November 2020 - VIII ZR 18/20, juris Rn. 11; vom 22. Juni 2021 - VIII ZR 134/20, NJW-RR 2021, 1093 Rn. 13). Der Anspruch auf rechtliches Gehör als grundrechtsgleiches Recht soll sicherstellen, dass die Entscheidung des Gerichts frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben.
Rz. 14
In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (st. Rspr.; vgl. nur BVerfGE 50, 32, 35 f.; 65, 305, 307; 69, 141, 143 f.; BVerfG, Beschlüsse vom 19. Dezember 2016 - 2 BvR 1997/15, juris Rn. 15; NVwZ 2018, 1555 Rn. 31; vom 20. Dezember 2018 - 1 BvR 1155/18, juris Rn. 11; Senatsbeschlüsse vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 4; vom 26. Mai 2020 - VIII ZR 64/19, NJW-RR 2020, 1019 Rn. 13; vom 29. September 2021 - VIII ZR 226/19, juris Rn. 11; jeweils mwN).
Rz. 15
Dies gilt auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots darauf beruht, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag der Partei gestellt hat. Eine solche nur scheinbar das Parteivorbringen würdigende Verfahrensweise stellt sich als Weigerung des Tatrichters dar, in der nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotenen Weise den Parteivortrag zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihm inhaltlich auseinanderzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 2009 - II ZR 143/08, NJW 2009, 2598 Rn. 2; Senatsbeschlüsse vom 21. Oktober 2014 - VIII ZR 34/14, NJW-RR 2015, 910 Rn. 13; vom 21. Februar 2017 - VIII ZR 1/16, NJW 2017, 1877 Rn. 10; vom 22. Juni 2021 - VIII ZR 134/20, NJW-RR 2021, 1093 Rn. 16; vom 29. September 2021 - VIII ZR 226/19, aaO Rn. 12).
Rz. 16
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Das Berufungsgericht hätte das Vorbringen des Klägers zu etwaigen Folgeschäden durch das von der Beklagten zur Nachbesserung angebotene Software-Update nicht als "bloße Vermutungen" und "ins Blaue hinein" aufgestellte Behauptungen zurückweisen dürfen, sondern hätte den von dem Kläger zum Nachweis seiner Behauptungen angebotenen Sachverständigenbeweis erheben müssen. Denn der Kläger ist insofern den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an ein substantiiertes Vorbringen gerecht geworden.
Rz. 17
a) Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 17. Dezember 2014 - VIII ZR 88/13, NJW 2015, 934 Rn. 43; vom 29. Januar 2020 - VIII ZR 80/18, BGHZ 224, 302 Rn. 55; vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20, WM 2021, 1609 Rn. 20; Beschlüsse vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 7; vom 22. Juni 2021 - VIII ZR 134/20, NJW-RR 2021, 1093 Rn. 33). Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat (BGH, Beschlüsse vom 26. Oktober 2016 - IV ZR 52/14, NJW-RR 2017, 22 Rn. 27; vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, aaO; vom 22. Juni 2021 - VIII ZR 134/20, aaO). Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, aaO; vom 22. Juni 2021 - VIII ZR 134/20, aaO). Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 17. Dezember 2014 - VIII ZR 88/13, aaO; vom 29. Januar 2020 - VIII ZR 80/18, aaO; vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20, aaO; Senatsbeschlüsse vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, aaO).
Rz. 18
Dabei ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält (vgl. Senatsurteil vom 29. Januar 2020 - VIII ZR 385/18, NJW-RR 2020, 615 Rn. 83 mwN; Senatsbeschlüsse vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, aaO Rn. 8 mwN; vom 29. September 2021 - VIII ZR 226/19, juris Rn. 16). Sie darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen insbesondere dann als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von entscheidungserheblichen Einzeltatsachen hat (BGH, Urteil vom 18. Mai 2021 - VI ZR 401/19, NJW-RR 2021, 886 Rn. 19 mwN; Senatsbeschluss vom 29. September 2021 - VIII ZR 226/19, aaO). Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufgestellt worden ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 26. April 2018 - VII ZR 139/17, NJW 2019, 76 Rn. 34; vom 7. Februar 2019 - III ZR 498/16, NJW 2019, 1137 Rn. 37; vom 29. Januar 2020 - VIII ZR 385/18, aaO; vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20, aaO Rn. 22; jeweils mwN; Beschluss vom 29. September 2021 - VIII ZR 226/19, aaO). Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt sein können (BGH, Urteil vom 27. Mai 2003 - IX ZR 283/99, NJW-RR 2004, 337 unter II 1; Beschlüsse vom 16. April 2015 - IX ZR 195/14, NJW-RR 2015, 829 Rn. 13; vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, aaO; vom 29. September 2021 - VIII ZR 226/19, aaO).
Rz. 19
b) Gemessen hieran hat der Kläger hinreichend substantiiert dargelegt, dass nach seiner Auffassung das von der Beklagten zur Beseitigung des Sachmangels in Form der unzulässigen Abschalteinrichtung (vgl. hierzu ausführlich Senatsurteil vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 254/20, aaO Rn. 24 ff. mwN) angebotene Software-Update zu Folgeschäden an dem Fahrzeug führe, weshalb die für einen Rücktritt nach § 323 Abs. 1 BGB grundsätzlich erforderliche vorherige Fristsetzung zur Nacherfüllung vorliegend entbehrlich gewesen sei (§ 323 Abs. 2 Nr. 3, § 440 Satz 1 Alt. 3, § 326 Abs. 5 BGB).
Rz. 20
aa) Der Kläger hat vorgetragen, dass es nach der Durchführung eines Updates in vielen Fällen zu weiteren Mängeln in Form einer Erhöhung der Emissionswerte und des Kraftstoffverbrauchs, einer Verschlechterung der Motorenleistung sowie zu Verschleißerscheinungen komme; ab einer Geschwindigkeit von 121 km/h springe zudem der "Dreckmodus" wieder an. Er hat insofern auf verschiedene Entscheidungen von Instanzgerichten sowie auf einen Medienbericht verwiesen und seine Ansicht unter auszugsweiser Vorlage einer fachlichen Publikation damit begründet, dass eine Verringerung des NOx-Ausstoßes ohne Nutzung einer unzulässigen Abschalteinrichtung zwingend zu einer Erhöhung der CO2-Werte, des Kraftstoffverbrauchs und des Dieselpartikelausstoßes führe. Zum Nachweis seiner Behauptungen hat er wiederholt die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten.
Rz. 21
bb) Damit hat der Kläger hinreichend die fehlende Eignung des ihm angebotenen Software-Updates zur Mangelbeseitigung dargelegt, aufgrund derer eine Fristsetzung nach § 323 Abs. 1 BGB entbehrlich sein könnte (vgl. Senatsurteil vom 29. September 2021 - VIII ZR 111/20, juris Rn. 31, 38, 39, 47, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt). Insbesondere durfte er sich dabei als Laie - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - auf nur vermutete Tatsachen stützen, denn er kann mangels eigener Sachkunde und hinreichenden Einblicks in die Funktionsweise des Software-Updates keine genaue Kenntnis von dessen konkreter (Aus-)Wirkung haben, weswegen er betreffend die von ihm befürchteten Folgeschäden letztlich auf Vermutungen angewiesen ist und diese naturgemäß nur auf entsprechende Anhaltspunkte stützen kann (vgl. BGH, Urteile vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 254/20, NJW 2021, 2958 Rn. 85 f., zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt; vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20, WM 2021, 1609 Rn. 21; Beschlüsse vom 29. September 2021 - VIII ZR 226/19, juris Rn. 20; vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 7 ff.; vom 26. März 2019 - VI ZR 163/17, VersR 2019, 835 Rn. 11 ff.).
Rz. 22
cc) Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts, dass die von dem Kläger vorgetragenen Vermutungen, denen eine "objektivierbare Grundlage" fehle, zur Begründung eines konkreten Mangels in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug nicht ausreichten und es sich letztlich um "ins Blaue hinein" aufgestellte Behauptungen handele, hinsichtlich derer eine Beweiserhebung auf eine prozessual unzulässige Ausforschung des Sachverhalts hinausliefe, lassen eine Kenntnisnahme dieses Klägervorbringens in der nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotenen Weise und eine inhaltliche Auseinandersetzung hiermit sowie mit den von ihm in Bezug genommenen Unterlagen vermissen. Der Kläger hat nicht nur einzelne Mängel, sondern auch konkrete Umstände benannt, die für deren Eintritt bei Durchführung des Updates sprechen. Weitergehende Angaben waren ihm nicht abzuverlangen und würden ihn mangels eigener Sachkunde zur Einholung eines kostenträchtigen Privatgutachtens zwingen.
Rz. 23
dd) Soweit die Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung demgegenüber meint, der Kläger habe aufgrund der Ausführungen des Kraftfahrtbundesamts zu den Auswirkungen des Software-Updates nicht bloße Vermutungen äußern dürfen, führt dies nicht zu erhöhten Substantiierungsanforderungen. Den in Bezug genommenen Angaben in der Freigabebestätigung des Kraftfahrtbundesamts vom 5. September 2016 lässt sich bereits nicht entnehmen, worauf sich diese Erkenntnisse stützen. Allenfalls führt der Bescheid des Kraftfahrtbundesamts dazu, dass die Beklagte das Vorbringen des Klägers unter Berufung auf die Freigabebestätigung des Kraftfahrtbundesamts substantiiert bestreiten kann (siehe bereits Senatsurteil vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 254/20, NJW 2021, 2958 Rn. 87; Senatsbeschluss vom 29. September 2021 - VIII ZR 226/19, juris Rn. 22).
Rz. 24
Auch die weiteren Ausführungen der Beschwerdeerwiderung sind nicht geeignet, eine hinreichende Substantiierung des Klägervorbringens in Frage zu stellen. Es ist nicht ersichtlich, dass es an hinreichend bezeichneten Anknüpfungstatsachen für die Einholung eines Sachverständigengutachtens fehlt.
Rz. 25
3. Die von dem Kläger geltend gemachte Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich (§ 544 Abs. 9 ZPO), weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht unter Zugrundelegung des genannten Vorbringens des Klägers zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
Rz. 26
Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht, hätte es das Vorbringen des Klägers in gebotener Weise zur Kenntnis genommen und den angebotenen Sachverständigenbeweis erhoben, zu der Überzeugung gelangt wäre, dass die von der Beklagten angebotene Nachbesserung durch das Software-Update zu Folgemängeln führt und eine Fristsetzung zur Nachbesserung daher entweder bei Abwägung der beiderseitigen Interessen (§ 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB), wegen Unzumutbarkeit für den Kläger nach § 440 Satz 1 Alt. 3 BGB oder gegebenenfalls wegen Unmöglichkeit (beider Arten) der Nacherfüllung nach § 326 Abs. 5 BGB entbehrlich ist (vgl. hierzu Senatsurteil vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 254/20, NJW 2021, 2958 Rn. 82 mwN, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt; Senatsbeschluss vom 29. September 2021 - VIII ZR 226/19, juris Rn. 33). In diesem Fall hätte der Kläger eine Rückabwicklung des Kaufvertrags wegen des Vorliegens eines Sachmangels verlangen können.
Rz. 27
4. Die weiteren von der Nichtzulassungsbeschwerde erhobenen Rügen hat der Senat geprüft, jedoch nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 544 Abs. 6 Satz 2 ZPO).
IV.
Rz. 28
Nach alledem ist das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 9 ZPO).
Rz. 29
1. Für das weitere Berufungsverfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass gegebenenfalls auch zu prüfen sein wird, ob es sich bei dem durch das Update entstehenden sogenannten Thermofenster - dessen Vorhandensein als solches die Beklagtenseite nicht bestreitet - um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG handelt. Das Berufungsgericht hat diese Frage bislang mit der Begründung offengelassen, dass angesichts der Ausführungen des Kraftfahrtbundesamts in dem Freigabebescheid vom 5. September 2016 zu dem für den streitgegenständlichen Fahrzeug- beziehungsweise Motortyp entwickelten Software-Update - unabhängig von der Bindungswirkung und der inhaltlichen Richtigkeit dieses Bescheids - eine Entziehung der EG-Typgenehmigung und eine sich daran anschließende Betriebsuntersagung nicht zu befürchten sei, so dass eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters nicht vorliege.
Rz. 30
a) Dem Freigabebescheid vom 5. September 2016 kommt zunächst keine (für das hiesige Verfahren) bindende Tatbestandswirkung zu. Denn bei den Ausführungen des Kraftfahrtbundesamts, wonach vorhandene Abschalteinrichtungen zulässig seien, handelt es sich um Begründungselemente, die von dem Regelungsgehalt und damit der Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts selbst nicht erfasst werden (vgl. Senatsurteil vom 8. Dezember 2021 - VIII ZR 190/19, unter II 2 c dd (1) (a) (bb) (aaa) mwN, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt; Senatsbeschluss vom 14. Dezember 2021 - VIII ZR 386/20, unter III 2 c bb, zur Veröffentlichung bestimmt). Sollte das Software-Update - dessen genaue Funktionsweise gegebenenfalls durch Sachverständigengutachten zu klären ist - (wiederum) eine Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG darstellen, die nach Maßgabe der Bestimmung des Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG unzulässig ist, wäre die von der Beklagten angebotene Nachbesserung bereits aus diesem Grund unzureichend (vgl. Senatsurteil vom 8. Dezember 2021 - VIII ZR 190/19, unter II 2 c dd (1) (a), aaO; Senatsbeschluss vom 14. Dezember 2021 - VIII ZR 386/20, aaO).
Rz. 31
b) Anders als das Berufungsgericht meint, steht der Annahme der Gefahr einer Betriebsuntersagung auch nicht entgegen, dass das Kraftfahrtbundesamt in dem vorgenannten Freigabebescheid - unabhängig von dessen Bindungswirkung - festgestellt hat, dass nach dem Software-Update keine unzulässigen Abschalteinrichtungen mehr vorlägen. Denn die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung besteht im Fall des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht nur bei einer bereits erfolgten Umrüstungsanordnung der zuständigen Typgenehmigungsbehörde, sondern liegt auch in den Fällen vor, in denen die zuständige EG-Typgenehmigungsbehörde eine entsprechende Maßnahme gegenüber dem Hersteller nicht gefordert beziehungsweise noch nicht ihr Einverständnis mit einem solchen Vorgehen erklärt hat. Denn auch dann ist im Ansatz bereits ein Sachverhalt (ʺMangelanlage/Grundmangelʺ) gegeben, der in Verbindung mit weiteren Umständen dazu führen kann, dass die deutsche Zulassungsbehörde eine Betriebsuntersagung oder -beschränkung nach § 5 Abs. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) vornimmt, weil das Fahrzeug wegen der gegen Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG verstoßenden Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ (§ 3 Abs. 1 Satz 2 FZV) entspricht (vgl. Senatsurteil vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 254/20, NJW 2021, 2958 Rn. 33 f.).
Rz. 32
2. Darüber hinaus wird das Berufungsgericht auch der Frage nachzugehen haben, ob die Eigenschaft des streitgegenständlichen Fahrzeugs als vom sogenannten Abgasskandal betroffenes Fahrzeug mit einem nicht behebbaren merkantilen Minderwert verbunden ist. Anders als vom Berufungsgericht angenommen, lässt sich bislang nicht allgemeingültig und abschließend beantworten, ob die Eigenschaft eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs - insbesondere wenn es wie im vorliegenden Fall über einen Dieselmotor des Typs EA 189 verfügt - in vergleichbarer Weise wie grundsätzlich bei einem Unfallfahrzeug (vgl. hierzu Senatsurteile vom 7. Juni 2006 - VIII ZR 209/05, BGHZ 168, 64 Rn. 17; vom 20. Mai 2009 - VIII ZR 191/07, BGHZ 181, 170 Rn. 16; jeweils mwN) einen unbehebbaren Sachmangel darstellt (vgl. Senatsbeschluss vom 29. September 2021 - VIII ZR 226/19, juris Rn. 25). Ob das vom Kläger erworbene Fahrzeug tatsächlich von dem behaupteten Wertverlust betroffen ist - was die Beklagte bestreitet - und ob dieser tatsächlich kausal auf die Betroffenheit vom sogenannten Abgasskandal zurückzuführen ist, ist vielmehr eine Tatfrage, die gegebenenfalls durch Einholung des hierfür zum Beweis angebotenen Sachverständigengutachtens zu klären sein wird (vgl. Senatsbeschluss vom 29. September 2021 - VIII ZR 226/19, aaO Rn. 26; vgl. auch Senatsurteil vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 254/20, aaO Rn. 84).
Dr. Fetzer |
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Dr. Bünger |
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Kosziol |
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Dr. Matussek |
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Dr. Reichelt |
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Fundstellen
Haufe-Index 15070313 |
NJW-RR 2022, 703 |
CR 2022, 364 |
WM 2022, 347 |
JZ 2022, 163 |
JZ 2022, 167 |
MDR 2022, 426 |
VRS 2021, 234 |
VersR 2022, 1050 |