Entscheidungsstichwort (Thema)
Sorgerecht
Leitsatz (redaktionell)
1. Das rechtskräftige Urteil des EGMR, demzufolge ein Senatsbeschluss, mit dem die Übertragung der elterlichen Sorge auf den nicht ehelichen Kindesvater abgelehnt worden ist, das Recht des Vaters auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK verletzt, hat keinen Einfluss auf die Rechtskraft des beanstandeten Senatsbeschlusses (vgl. EGMR, 26. Februar 2004, Nr. 74969/01, FamRZ 2004, 1456).
2. Der Urteilsspruch des EGMR bindet unmittelbar nur die als Vertragspartei der Konvention fungierende Bundesrepublik Deutschland als exekutiv handelndes Völkerrechtssubjekt, nicht aber deren Organe oder Behörden und namentlich nicht die Gerichte, als nach Art. 97 Abs. 1 GG unabhängige Organe der Rechtsprechung. Die Wirkung des Urteilsspruchs erschöpft sich mithin de iure und de facto, vorbehaltlich einer innerstaatlichen Gesetzesänderung, in der Feststellung und der nach Maßgabe des Art. 41 EMRK vorgenommenen Sanktionierung einer in der Vergangenheit nach Ansicht des EGMR liegenden Rechtsverletzung.
3. Weder die EGMRK noch das GG verpflichten dazu, einem Urteil des EGMR, in dem festgestellt wird, dass die Entscheidung eines deutschen Gerichts unter Verletzung der Konvention zustande gekommen ist, eine die Rechtskraft dieser Entscheidung beseitigende Wirkung oder die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens gebietende Bedeutung beizumessen (im Anschluss an BVerfG, 11. Oktober 1985, 2 BvR 336/85, NJW 1986, 1425).
4. Nach § 1696 Abs. 1 BGB haben das Vormundschaftsgericht und das Familiengericht ihre bisherigen Entscheidungen, zu denen auch der hier in Rede stehende rechtskräftige Senatsbeschluss zum Sorgerecht gehört, zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Kindeswohl nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. Solche Gründe sind vorliegend nicht gegeben.
Normenkette
GG Art. 6, 97 Abs. 1; MRK Art. 8; MRK Art. 41; MRK Art. 44 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Wittenberg (Beschluss vom 19.03.2004; Aktenzeichen 5 F 741/02) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die befristete Beschwerde des Amtsvormundes und der Verfahrenspflegerin wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengerichts – Wittenberg vom 19. März 2004, Az.: 5 F 741/02 SO, aufgehoben und der Antrag, in Abänderung der Senatsentscheidung vom 20. Juni 2001, Az.: 14 UF 52/01, die elterliche Sorge für das am … geborene Kind C. F. auf den Vater zu übertragen, abgewiesen.
2. Die Anträge des Vaters, den derzeitigen Amtsvormund und die Verfahrenspflegerin des Kindes von ihren Funktionen zu entbinden, werden als unzulässig verworfen.
3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; der Antragsteller trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Geschäftswert von 5.000,– Euro.
4. Das Gesuch des Antragstellers, ihm für das Beschwerdeverfahren und seine auf Entpflichtung des Amtsvormundes und der Verfahrenspflegerin gerichteten Anträge Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
Die Parteien streiten im Beschwerdeverfahren über das dem Antragsteller als Vater erstinstanzlich – in Abänderung der gegenläufigen Senatsentscheidung vom 20. Juni 2001, Az.: 14 UF 52/01 – mit Beschluss des Amtsgerichts Wittenberg vom 19. März 2004 (Bl. 195 – 210 Bd. II d. A.) übertragene Sorgerecht für das am … in L. nichtehelich geborene Kind C. F..
Einen Tag nach der Geburt gab die leibliche Kindesmutter, K. F., das Kind zur Adoption frei und erklärte erstmals mit notarieller Urkunde vom 01. November 1999 und sodann nochmals, wegen der zwischenzeitlich gemäß § 1750 Abs. 4 Satz 2 BGB infolge Zeitablaufs eingetretenen Wirkungslosigkeit der ersten Erklärung, am 24. September 2002 (Bl. 9/10 Bd. I d. A.) ihre Einwilligung zur Adoption durch die Pflegeeltern R. und H. B., bei denen sich das – gemäß § 1751 Abs. 1 Satz 2 BGB kraft Gesetzes unter der Vormundschaft des Jugendamtes stehende – Kind seit dem 29. August 1999 aufhält und gemäß § 1744 BGB in Adoptionspflege befindet.
Erst im Oktober 1999 hatte der Kindesvater, infolge vorheriger Trennung von der Kindesmutter, von der Geburt seines Kindes und dessen Adoptionsfreigabe seitens der Mutter erfahren. Die Vaterschaft wurde aufgrund seiner Klage mit sog. Teilurteil des Amtsgerichts Wittenberg vom 20. Juni 2000 (Bl. 33 – 35 Bd. II d. A.), rechtskräftig seit dem 8. August 2000, gerichtlich festgestellt.
Der Beschluss des Amtsgerichts Wittenberg vom 09. März 2001, demzufolge antragsgemäß die elterliche Sorge für den Jungen auf den Antragsteller übertragen worden war, wurde auf Beschwerde des Jugendamtes des Landkreises W. als Amtsvormund durch Beschluss des Senats vom 20. Juni 2001, Az.: 14 UF 52/01, aufgehoben und der Antragauf Übertragung des Sorgerechtsabgewiesen.
Eine gegen den Senatsbeschluss gerichtete Verfassungsbeschwerde des Antragstellers wurde vom Bundesverfassungsgericht gemäß Beschluss vom 31. Juli 2001 einstimmig nicht zur Entscheidung angenommen.
Demgegenüber entschied der Europäisc...