Entscheidungsstichwort (Thema)
Aushändigung der sog. Scientology-Erklärung nur nach sorgfältiger Prüfung des Einzelfalles
Leitsatz (amtlich)
Das Neutralitätsgebot in Fragen weltanschaulicher und religiöser Bekenntnisse schließt eine Befugnis des Staates nicht aus, den Bürger und Unternehmen über eine richtige und sachliche Information hinaus zu beraten, es begrenzt aber diese Befugnis. Es ist zwischen der Beeinträchtigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit und dem berechtigten Schutzbedürfnis der zu beratenden Bürger unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit abzuwägen.
Verfahrensgang
VG Hamburg (Urteil vom 07.04.2000) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin zu 1) wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 7. April 2000 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines Zwangsgeldes bis zu … für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen folgende Erklärung:
…
wörtlich oder sinngemäß einer Firma oder einer Person deshalb zur Verfügung zu stellen,
- weil diese Firma oder Person eine geschäftsschädigende Beeinträchtigung ihres Rufes befürchten, wenn ihre Waren von Scientologen vertrieben werden; und/oder
- weil diese befürchten, dass bei Gelegenheit des Vertriebs ihrer Waren Verkäufer, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zu ihnen stehen, die Lehren von L. Ron Hubbard gegenüber Endverbrauchern oder anzuwerbenden Verkäufern verbreiten.
Tatbestand
Die Klägerin zu 1) erstrebt mit ihrer Klage, dass die Beklagte es in Zukunft unterlässt gegenüber Dritten die sogenannte Technologie-Erklärung im Geschäftsverkehr zu verwenden. Nach dieser Erklärung erklärt der Unterzeichner, ….
Dem liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Klägerin zu 1) ist Mitglied der Scientology-Kirche Deutschland, Hubbard Scientology Organisation … und betreibt seit dem Jahre 1997 mit ihrem Sohn in Gesellschaft Bürgerlichen Rechts ein Wickelstudio in …. Den Kunden der Klägerin zu 1) wird dabei ein so genannter Ganzkörperwickel nach einer bestimmten Methode angepasst, wodurch Gewichts- und Figurprobleme gelöst werden sollen. Zu den von der Klägerin zu 1) angebotenen Leistungen an ihre Kunden gehört u.a. die Verabreichung eines Vitaminkonzentrats mit der Bezeichnung …, das von der Firma … GmbH im Wege des partnerschaftlichen Direktmarketings vertrieben wird. Um dieses Vitaminkonzentrat selbst erwerben und weiter veräußern zu können wurde von der Klägerin zu 1) im November 1996 ein so genannter Beraterantrag gegenüber der … GmbH gestellt (Anlage K 22, Bl. 109 ff. d.A. OVG Bs III 53/97). Sie verpflichtete sich darin, als Zwischenhändlerin und für eigene Rechnung zu handeln. Die Ware ging entweder an sie oder direkt an die Kunden. Ihre Tätigkeit sollte darin bestehen, einerseits selbst persönliche Einzelberatungen und Präsentationen durchzuführen, sowie ihre Stammkundschaft zu betreuen und andererseits neue Geschäftspartner anzuwerben, zu betreuen und beide Gruppen von Kunden durch Weitergabe des Wissens zu schulen. Ihr Verdienst lag in der Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis und konnte durch Eigenumsatz und durch eine Beteiligung am Umsatz der von ihr geworbenen Mitarbeiter zusätzlich gesteigert werden. Die Klägerin zu 1) erhielt im Jahre 1997 ein Schreiben der Firma …, in dem diese ihr mitteilte, dass sie sich wie viele andere Großunternehmen auch von der Beklagten habe beraten lassen. Es werde täglich durch die Medien darauf hingewiesen, wie ruf- und geschäftsschädigend es für namhafte Unternehmen und Personen sei, mit den Lehren von L. Ron Hubbard in Verbindung gebracht zu werden. Im Direktvertrieb sei ein unkontrollierter Einstieg möglich, so dass sich die Lehren von L. Ron Hubbard leicht verbreiten könnten. Vorsorglich habe man deshalb eine Erklärung ausgearbeitet, die sie – die Klägerin zu 1) – spätestens bis zum 1. März 1997 an die Firmenzentrale zurücksenden solle. Es wurde weiter in diesem Schreiben darauf hingewiesen, dass derjenige, der die Erklärung nicht bis zum 1. März 1997 oder einer weiter gesetzten Nachfrist bis zum 14. März 1997 unterschrieben zurückgesandt habe, als Mitarbeiter ausscheiden müsse (Anlage K 25 – Bl. 118 d.A. OVG Bs III 53/97 –). Inhalt der geforderten Erklärung war.
Die Erklärung war von der von dem Senat der Beklagten eingesetzten Arbeitsgruppe Scientology (AGS) ausgearbeitet und von der Leiterin der Arbeitsgruppe bei verschiedenen Vorträgen vor Industrie- und Handelskammern vorgestellt sowie in einem von der Leiterin verfassten Artikel der Zeitschrift Wirtschaftsspiegel 1/97 veröffentlicht worden.
In der Folgezeit stellte die Klägerin zu 1) mit Schriftsatz vom 14. April 1997 bei dem Verwaltungsgericht Hamburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dahingehend, dass es der Beklagten bei Meidung eines Zwangsgeldes von bis zu 2.000,– DM für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt würde gegenüber Dritten die Empfehlung auszusprechen, im geschäftlichen Verkehr die Technologie-Erklärung zu verwenden. Das ...